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3D-Druck

Kaum blättere ich online in Fachzeitschriften, schon geht es wieder los mit all den Bildern und Ideen, die sich in meinem Kopf breit machen. Gerade habe ich es mir vor dem Bildschirm mit einer Tasse Tee gemütlich gemacht, da bleibe ich beim Thema 3D-Druck hängen. „Diese Technik ist echt revolutionär!“, murmle ich vor mich hin, dann wühle ich ein wenig in meinen Erinnerungen.

Vor langer Zeit ging es beim 3D-Druck um eine schnelle und kostengünstige Herstellung von Prototypen. Als Ingenieurin fand ich das extrem spannend. Ich hatte nicht direkt damit zu tun, für mich war es eher der Blick über den Tellerrand. Also verstand um mich herum auch eigentlich niemand meine Aufregung und das kleine Prickeln unter meiner Haut, von dem ich ungefragt fast jedem erzählte, der nicht bei drei auf dem Baum war.

Die Zeit verging, in China fielen wahrscheinlich tonnenweise Säcke Reis um, der Bau von Prototypen war für die meisten Menschen einfach nicht sexy.

Dann begann unsere Welt, sich scheinbar immer schneller zu drehen. Wir wollten nicht mehr so lange auf neue Sachen warten müssen. Die Firmen entdeckten das Thema „Losgröße 1“ neu. Damit war die kostengünstige Herstellung von Bauteilen in sehr kleinen Stückzahlen bis hin zu Unikaten gemeint. Weil der 3D-Druck ganz andere Geometrien erlaubte, taten sich grundsätzlich völlig neue Gestaltungshorizonte auf.

Vor ein paar Jahren nahm die Entwicklung endlich richtig Fahrt auf. Ich hörte das erste Mal davon, dass maßgeschneiderte Ersatzteile für unseren Körper ausgedruckt und dann implantiert werden können. Faszinierend! Und die Leute um mich herum staunten jetzt mit mir und nahmen nicht mehr gleich Reißaus, um auf den nächsten Baum zu klettern, wenn ich mit dem Thema anfing. „Na, geht doch!“, rufe ich aus.

Also gut, ich merkte mir damals die Stichworte „kleine Bauteile“ und „Kunststoff“. Von größeren Teilen aus anderen Materialien hörte und las ich von Zeit zu Zeit, aber dabei ging es immer um industrielle Anwendungen.

2018 wurde das Thema plötzlich viel größer, jedenfalls geometrisch betrachtet. Da las ich zum ersten Mal über eine Fußgänger-Brücke aus dem 3D-Drucker. Wow! Sie war 12m lang und 6m breit, ihr geschwungenes Design wirkte etwas schnörkelig. Vier Roboter haben sie innerhalb eines halben Jahres ausgedruckt. Mehrere Tonnen Edelstahl wurden dabei verwendet, auf bis zu 1500°C erhitzt und dann quasi in die Luft gespritzt. Ganz ohne Gerüst. Ich war fasziniert. Die Brücke wurde auf der Dutch Design Week präsentiert und sollte anschließend im nördlichen Bereich des Amsterdamer Rotlichtviertels De Wallen eine der alten Grachten überbrücken. Ein Haufen Sensoren machte die Brücke dann auch noch „smart“, sie sollten die Belastung, Vibration, Rotation und Verschiebung messen. Wahrscheinlich ließ das auch Rückschlüsse über die Zahl der Personen zu, die drüber liefen. Ich weiß nicht, was nach der Ausstellung wirklich aus der Brücke wurde.

Ich nippe an meinem Tee, wärme die Hände an der Tasse, lehne mich genüsslich im Stuhl zurück und widme mich wieder dem Text auf meinem Bildschirm. In dem Artikel, den ich da online vor mir sehe, lese ich, dass es jetzt richtig groß geht. In Beckum drucken sie nämlich gerade ein zweigeschossiges Einfamilienhaus aus Beton! Pro Geschoss entstehen dabei circa 80m² Wohnfläche. Auf der Baustelle steht eine große Metallrahmenkonstruktion, auf der sich der Druckkopf über drei Achsen überall hinbewegen kann. Und dann druckt er. Also er kleckert wurstartig eine breite Betonschicht auf die nächste. Innerhalb von fünf Minuten bringt er es auf einen Quadratmeter doppelschalige Wand. Ich sehe ein Bild davon, das mich ein bisschen an „Kalte Schnauze“ erinnert, diesen Schichtkuchen aus Keksen und Schokolade, den es vor vielen Jahren vornehmlich auf Kindergeburtstagen gab. Viele sagen dazu auch „Kalter Hund“.

Meinem Magen ist egal, wie das Ding nun heißt, er signalisiert spontan freudige Erwartung, aber zu seiner Enttäuschung lese ich erstmal weiter. Leerrohre kann man bei diesem Haus schon parallel zum Druckvorgang platzieren. Außerdem wird die spätere Verlegung von Leitungen und Anschlüssen bereits berücksichtigt, der Druck wird also von vornherein darauf abgestimmt. Die Wandschalen werden mit Isoliermasse verfüllt. Der offene Kamin wird auch gleich mit ausgedruckt. Ich bin beeindruckt.

Mein Magen fühlt sich nicht gesehen und knurrt ein wenig, aber ich lese wieder nur weiter. Da gibt es nämlich noch zu erfahren, dass sich das Land NRW hier mit Fördergeldern beteiligt und die zuständige Ministerin der Baustelle einen Besuch abgestattet hat. Nebenbei fällt mir auf, für was die Ministerin alles zuständig ist: Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung!

„Ich will auch auf die Baustelle!“, saust es durch mein Hirn. Für einen Moment schließe ich die Augen. Meine Nase detektiert den typischen Geruch von Beton, der gerade zähflüssig aus dem Druckkopf quillt. An meinen Füßen spüre ich förmlich die festen Stiefel, mein Pulli fühlt sich plötzlich wie eine wattierte Weste an, die mich schwer umfängt. „Wo ist bloß mein Helm?“ Ich beruhige mich wieder und lese weiter.

Inzwischen zieht die 3D-Drucktechnik in die Kunst, aber auch in „Heimanwendungen“ ein, wie sich das ein bisschen sperrig nennt. Man kann kleine, eigene Konstruktionen hochladen und ausdrucken lassen. Und – oh, da finde ich noch etwas, da lautet die Botschaft nämlich: Lasse Dich selbst oder Dein Haustier in einem Laden in der Einkaufsmeile mal schnell scannen und bald wird eine kleine Skulptur von Dir selbst oder von Deinem Tier nach Hause geliefert. Das virtuelle 3D-Bild darfst Du dann auch als Avatar in Computerspielen verwenden. Diese Welt ist mir noch fremd, ich sehe sie bisher nur beim scheuen Blick über den Tellerrand.

Doch spätestens jetzt explodieren die Bilder in meinem Kopf. Zuerst sehe ich mich auf einer Baustelle, wo ich ein Haus drucke. Natürlich mit allem Schnick und Schnack und vor allem in tollen Formen, mit extravagant und zugleich praktisch geschnittenen Zimmern. Bestimmt ein Alptraum für jeden Statiker, aber definitiv ein Hingucker! Und nebenbei dank der Technik vermutlich auch bezahlbar. Dem Druckkopf ist es schließlich egal, wo er die nächste Schicht aufbringt und welche Form es sein darf.

Das Bild in meinem Kopf zoomt auf, bis es nur noch ein Bild auf dem Bildschirm meines Rechners ist – und ich sitze davor, beobachte und steuere meinen Avatar auf der Baustelle, von der ich ganz leise und insgeheim noch hoffe, dass sie sich irgendwo mal manifestiert, weil das Haus so toll aussieht.

Das reale Klingeln des Telefons baue ich sogleich in die laufenden Bilder ein: Gitti taucht auf der Baustelle auf und fragt: „Kommst Du jetzt hoch? Ich habe Hunger!“ „Aber das Haus… Ich kann doch jetzt nicht hier weg!“ „Was?!?“, schallt es aus dem realen Telefon an meinem Ohr, in meinem Arbeitszimmer. „Ist gut, ich komme.“

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Mauro und Gianna

    Einfach nur *DANKE* für diese beeindruckende Reise der überwältigenden Möglichkeiten der Technik!
    Du gibst da echt ein gutes Bild ab, so mitten im Geschehen 👍🏻😀….
    Sie hat uns im Griff, die Technik, in vielen Bereichen
    und wir sehen das auch positiv, besonders in der aktuellen Situation der weltweiten Pandemie ist sie
    ein Geschenk……

    Mauro & Gianna

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