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Athletische Nerven

Denke ich an Athletik, so denke ich an durchtrainierte Körper. Dann kann ich quasi durch die Kleidung des Athleten hindurch deutlich seine darunter liegende Muskulatur erkennen. Das Spiel seiner Muskeln lässt mich erahnen, wie fit dieser Mensch ist. Schnell werde ich ein wenig neidisch auf den ästhetischen Körper, den ich zugegebener Weise da gerade anstarre.

Bevor ich unnötig kritisch meinen eigenen Körper begutachte, reiße ich mich zusammen und trete die Flucht nach vorne an. Heute geht das so: Ich lasse den Begriff der Ästhetik durch mein Hirn turnen und erinnere mich zunächst an dessen ursprüngliche Bedeutung. Die Lehre der Ästhetik dreht sich um die Wahrnehmung und um das sinnliche Anschauen. Sinnlich! Wie schön!! Gleich fühle ich mich besser.

Dann fällt mir ein: Sinnlich ist in diesem Zusammenhang nicht unbedingt positiv oder gar erotisch gemeint, sondern wird ganz wörtlich genommen – man schaut eben mit allen Sinnen. Also kann das auch mal nach hinten losgehen. So ein Mist! Zum Beispiel, wenn mir beim sinnlichen Anschauen ein übler Geruch entgegenschlägt. Schnell sieht der Körper, von dem dieser Geruch ausgeht, für die Summe meiner Sinne gleich nicht mehr so toll aus. Auch wenn er nicht oder vielleicht sogar angenehm riecht, kann mein sinnliches Anschauen die heimlich gehegten Erwartungen herb enttäuschen. Was bedeutet das? Hat ein Mensch, der vor einer nach ranzigem Fett stinkenden Frittenbude steht, schlechtere Chancen als einer, der von frischer Waldesluft umweht wird? Mach Dich ehrlich! Das Gesamturteil kann nämlich aus eigentlich nichtigen Gründen vernichtend ausfallen. Das mit der Ästhetik ist also eine sehr gefährliche Angelegenheit. Was soll das? Das muss ich doch trennen können!

Das Problem ist die Wahrnehmung. Aus unterschiedlichen äußeren und inneren Reizen filtere ich Teilinformationen heraus, führe sie zusammen, bewerte sie und stelle sie dann zu einem subjektiven Gesamteindruck zusammen. Die inneren Reize kommen aus mir selbst. Sie haben mit dem Objekt meiner Betrachtung zunächst einmal nichts zu tun. Sie verändern sich mit meinen aktuellen Befindlichkeiten. Weil meine inneren Reize beim Wahrnehmen eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen, komme ich dann leider auch je nach Laune oder Wohlbefinden zu völlig verschiedenen Gesamteindrücken. Der Geruch ranzigen Fetts macht in solch einem Fall alles nur noch schlimmer.

Unter Rechtfertigungsdruck berufe ich mich gerne auf die Ausstrahlung, die jemand oder etwas hat. Sie ist allerdings schwer an harten Fakten festzumachen und in Wahrheit auch so ein Wahrnehmungs-Dings, das ich schon zu einem subjektiven Eindruck verquirlt habe.

Wie bin ich da bloß wieder reingeraten? Und wo ist der Typ mit dem athletischen Körper abgeblieben, den ich gerade eben noch so genüsslich anstarrte? Ich seufze ein wenig enttäuscht.

Du möchtest Dich ausschließlich mit Schönem beschäftigen? Dann lege ich Dir die Kallistik ans Herz, die Lehre vom Schönen. Ich mache einen kleinen Ausflug zum Thema Kallistik und blättere ein wenig im Internet herum, also virtuell in ein paar Artikeln. Dann tauche ich wieder auf – und hier ist nun mein Rat: Beschäftige Dich lieber einfach mit dem Schönen, und lasse Dich nicht andauernd davon ablenken. Nimm etwas wahr, was Du gerade schön findest und lass Dich fallen. Male Dir das Schöne weiter aus. Genieße den Augenblick!

Genau das setze ich jetzt um.

Vor meinem inneren Auge betritt der Typ mit dem athletischen Körper wieder die Bühne. Ich starre ihn eine Weile lang an. Niemand merkt es, denn das alles passiert ja nur vor meinem inneren Auge. Wie praktisch! Stilles inneres Starren hat den Vorteil, dass sich die Szene ganz nach meinen Wünschen entwickeln kann. In diesem Fall führt sie mich zurück zur Athletik. Mein Athlet muss sich vor meinem inneren Auge nun ein bisschen im Turnen üben. Auf diese Weise kommen die beeindruckenden Muskelgruppen besonders gut zur Geltung. Sie sind nicht so übertrieben ausgebildet, wie ich es bei Bodybuildern schon mal sah. Seine Muskulatur ist exakt so, wie ich sie in gerade diesem Augenblick ideal finde. Das läuft echt gut, also genieße ich weiter.

Bei seinen Übungen turnt sich mein Turner durch recht komplexe Bewegungsabläufe hindurch. Mit höchster Konzentration absolviert er schnell und ruhig zugleich seine Choreografie. Ja, ich weiß, in diesem Fall ist es meine Choreographie, aber das ist jetzt gerade mal egal! Manche Bewegungen sind extrem langsam. Nur, damit ich besser zugucken kann. Andere sprühen vor Spritzigkeit und überraschen mich selbst. Die ganze Vorstellung wird mehr und mehr zum Tanz. Ich kann sogar die passende Musik hören. Vor meinem inneren Auge betreten weitere Tänzer meine private Bühne. Sie reißen mich mit, tragen mich fort in eine Welt voller fließender Bewegungen. Mitten unter ihnen entdecke ich plötzlich mich selbst. Ich bin Teil der Szene geworden – und mitten in einem Rausch der Sinne.

Deutlich spüre ich meine eigene Konzentration. Jede Faser meines Körpers ist gespannt und entspannt zugleich. Alles ist leicht. Elegant bewege ich mich zusammen mit den anderen Tänzern, vollführe ausdrucksstarke Bewegungen, springe leichtfüßig umher und spüre dabei mich, die Umgebung und sogar die Luft ganz intensiv. Die kleinen Luftströmungen, die wir verursachen, kann ich sogar sehen. Sie folgen in bunten Farben unseren Bewegungen. Ein Hauch frischer Luft kitzelt meine Nase. Ich bin ganz bei mir. In völliger Harmonie. Eins mit allem. Zufrieden. Glücklich.

Irgendwann löse ich mich sanft wieder von der Szene. Gut erholt und frisch kehre ich ins Hier und Jetzt zurück. Das wohlige Gefühl bleibt. Wow, welch eine Reise!

Ich sitze noch eine Weile untätig da und genieße so vor mich hin. Dann gestehe ich mir ein, dass das einzig Athletische an mir wahrscheinlich meine Synapsen sind. Nicht immer, aber für meinen Geschmack immerhin oft genug.

Moderne Sportler, fällt mir dabei ein, trainieren häufig ganz gezielt ihre Nervenstärke und ihre Reaktionsschnelligkeit. Mit speziellen Übungen für ihr Gehirn und ihr Nervensystem gelingt es diesen Sportlern, ihre Körperbewegungen noch viel besser zu steuern. Wenn bekannte Leute so etwas tun, dann kennen wir natürlich auch den wohlklingenden Namen, den es dafür gibt: Neuroathletiktraining.

Ob das auch was für mich wäre? Na ja, ich weiß nicht. Also: Reaktionsschnell bin ich auch. Außer am frühen Morgen natürlich!

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