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Auf leisen Sohlen

Ein rücksichtsvoller Mensch vermeidet lautes Trampeln, stimmt’s? Was meinst Du dazu? Ist das eine antiquierte Vorstellung, immer noch zeitgemäß oder einfach Blödsinn?

Um einen leisen Gang beherrschen zu können, braucht es mehr als nur den unbedingten Willen zur Rücksichtnahme. Viel hängt vom Schuhwerk ab. In Holzpantinen kann man seine Füße nur schwer ganz leise aufsetzen – zumindest, wenn man darin auch noch unfallfrei und mit annehmbarem Tempo vom Fleck kommen möchte. Das Abrollen gelingt mit solchen Dingern nicht wirklich. Aus der Ferne bereits hört man die Leute nahen, die Schuhe mit sehr hohen Absätzen tragen. Je nach Sohle und Absatz machen auch flache Schuhe Krach. Es geht nicht nur um Form- oder Materialfragen, denn körperliche Nebenbedingungen spielen eine nicht zu unterschätzende Rolle. Deshalb ermahne ich mich selbst immer wieder zur Nachsicht, wenn mal wieder jemand unangenehm geräuschvoll um die Ecke trampelt.

Allen Trampeln gemein ist: Ihr Auftreten kündigt ihren Auftritt an!

Mir selbst gefällt es gut, wenn es mir gelingt, meine Füße mitsamt Schuhen sanft aufzusetzen, kraftvoll abzurollen und dennoch elegant dahinzuschweben. Möglicherweise gibt es da eine kleine Lücke zwischen meinem Eigen- und dem Fremdbild, welches ich nach außen hin abgebe. Also amüsiere Dich gerne darüber und desillusioniere mich anschließend bitte behutsam.

Gitti gewinnt manchmal den Eindruck, ich würde mich plötzlich vor, neben oder hinter ihr materialisieren. Dann entfährt ihr ein lautes „Huch“, und im Anschluss schimpft sie, ich solle mich nicht immer so leise anschleichen.

Vom Anschleichen ist es bestimmt nicht weit zum Einschleichen. Auf dem Papier muss man dazu nur die kleine Vorsilbe austauschen. Ohne die Vorsilbe bleibt das Schleichen übrig. Schwupps, ist das Tempo raus. Das ging jetzt echt flott. Diese Vorsilben sind wirklich tückisch!

Weil es schon wieder so nahe liegt, denke ich kurz über List und Tücke nach. Wo bin ich da bloß wieder hineingeraten? Mich kann man echt nicht alleine lassen!

Ich versuche also, mich zu konzentrieren und meine Gedanken wieder neu zu ordnen.

Ein Trampel trampelt seinen Mitmenschen auf den Nerven herum. Entweder nimmt es bewusst keine Rücksicht oder es kann nicht anders. Ein Teufelchen flüstert mir ein, dass der Grund dafür, nicht anders zu können auch in einem übergroßen Ego bestehen könnte. Das ist eine geradezu unverschämte Ausrede! Und die macht kaputt, was ich eigentlich noch betonen wollte, nämlich, dass man auch ungewollt als Trampel auftreten kann – und dann ist die Zeit reif für gegenseitige Hilfestellungen und vor allem für gegenseitige Rücksichtnahme.

Die Gegenseitigkeit drückt schon aus, dass der Pfad, auf dem man Rücksicht walten lässt, keine Einbahnstraße ist. Rücksichtnahme zielt darauf ab, dass am Ende alle ausreichend Platz haben, sich wohlfühlen und in Frieden leben können. Manchmal ist es nicht möglich, sein Gegenüber für das Wandeln auf diesem Pfad zu begeistern. Das ist frustrierend und kostet viel Kraft. Dennoch bin ich nicht bereit, das hehre Ziel aufzugeben!

Mit List und Tücke gelingt es mir, diese Kraft immer wieder aufzubringen. Ich habe herausgefunden, dass ich Kraft aus Zuversicht schöpfen kann. Seither nähre ich unermüdlich meine Zuversicht. Dazu zerlege ich meine Erlebnisse in all ihre Bestandteile. Ich nehme dabei ganz bewusst wahr, was gut oder schön ist. Diesen Teil würdige ich dann auch gleich, serviere ihn also meiner Zuversicht als herrlich duftenden, köstlichen Gang. Meine Zuversicht teilt sich die Nahrung bereitwillig mit meiner Kreativität. Na ja, und die Kreativität hilft mir im Gegenzug dabei, den weniger gut verdaulichen Aspekten meiner soeben zerlegten Erlebnisse neue Ideen entgegenzusetzen. Den Rest, also die eigentlich gänzlich unverdaulichen Aspekte, die zudem noch weit außerhalb meines Einflussbereiches liegen, muss ich wohl ertragen, und dazu steht mir ja dann auch wieder ein Teil der neu gewonnenen Kraft zur Verfügung.

Natürlich wäre es schön, wenn es auch mit weniger List und Tücke ginge.

Von meinem Gedankenausflug ein wenig erschöpft lasse ich für einen kleinen Moment meinen Kopf hängen, senke also das Kinn und spüre die angenehme Dehnung im Nacken. Auf meinem Shirt entdecke ich plötzlich ein Fädchen. Dieses Fädchen war vorhin noch nicht da, es muss sich also eingeschlichen haben. Als ich versuche, es zu entfernen, krallt es sich am Gewebe fest. Frechheit! Meine Hartnäckigkeit obsiegt, und so lasse ich den kleinen Faden alsbald über dem nächsten Papierkorb fallen.

Zufrieden trete ich sodann auf leisen Sohlen meinen Weg in die Küche an, in der Gitti bereits herumwirbelt. Sie trachtet dort unseren Appetit zu stillen, der uns beide gewiss in ein paar Minuten heimsuchen wird.

Kaum habe ich die Schwelle zur Küche überwunden, vollführt Gitti eine schwungvolle Drehung und kommt abrupt direkt vor mir zum Stehen. Ihre Augen weiten sich vor Schreck. Dann entfährt ihr ein lautes „Huch“, und im Anschluss schimpft sie, ich solle mich nicht immer so leise anschleichen.

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