Gitti hat einen Termin in der Stadt. Früh am Morgen, ausgerechnet zur allerbesten Rush-Hour-Zeit, soll sie vor Ort sein. Zurzeit ist der öffentliche Nahverkehr aufgrund von Arbeiten im Gleisbett bei uns etwas eingeschränkt. Auf das Abenteuer, sich dem Schienenersatzverkehr anzuvertrauen, möchte Gitti angesichts der frühen Uhrzeit lieber verzichten. Deshalb treiben sie nun diese Fragen um: Wo finde ich einen Parkplatz? Wie lange brauche ich, um hinzufahren? Kann ich einen Teil des zu erwartenden Berufsverkehrs geschickt umfahren?
Leise nörgelt und plant Gitti vor sich hin.
Der Termin ist am Freitag. Ich schließe die Augen und visualisiere meinen Bürokalender. Wie in einer Powerpoint-Präsentation schwebt mit meinem übernächsten Ausatmen von schräg hinten rechts nach ganz vorne in die Mitte das Wort „Flexzeitabbau“ ein. Ich öffne die Augen, wende mich Gitti zu und biete ihr meine Dienste als Chauffeurin an.
Gitti möchte unbedingt pünktlich sein. Wir kalkulieren reichlich Zeit ein, um möglicherweise aufkommenden Stress von vornherein einzudämmen. Auf dem Weg bemerken wir schnell, dass die Straßen erstaunlich leer sind. Wie kommt das denn? Wir sind fast schon am Ziel, als mir einfällt, dass wir uns mitten in den Sommerferien befinden. Seit Gitti nicht mehr an die Schulferien gebunden ist, habe ich die Ferienkalender nicht mehr auf dem Schirm. Einzig bei der Planung unserer Urlaube beschäftige ich mich kurz damit. Ich möchte mit Gitti außerhalb der Ferienzeit unterwegs sein. Außerdem halte ich es für fair, wenn die Ferienzeit den Kolleginnen und Kollegen vorbehalten bleibt, die auf sie angewiesen sind.
Ohne jeglichen Stau kommen wir an. Zu allem Überfluss finden wir sofort einen Platz, an dem wir das Auto abstellen können. Da sitzen wir nun, viel zu früh, am frühen Morgen …
Gitti und ich haben keine Lust, jetzt noch länger als eine halbe Stunde untätig im Auto herumzusitzen. Wir können uns wenigstens ein wenig die Beine vertreten. Ganz in der Nähe finden wir einen Platz. Zwischen Bäumen, Grünflächen und einem zu dieser Stunde noch verwaisten Spielplatz laden Hängematten und Parkbänke zum Verweilen ein. Wir nehmen auf einer Bank Platz und lassen die vom Himmel herabstrahlende Sonne unsere Haut und unsere Seelen wärmen.
Ein dick aufgeplusterter früher Vogel zieht einen fetten Regenwurm aus dem Boden. Oder ist der Vogel fett und der Wurm früh? Gitti kichert, als ich sie frage, ob hier der frühe Vogel den Wurm fängt oder der frühe Wurm zuerst gefressen wird.
Aus dem Rasen ragen in einigem Abstand zueinander ein paar Rohre hervor. Sie bilden einen Kreis. Das sieht ja merkwürdig aus! Die Dinger sind etwas mehr als zwei Meter lang. Ich schätze ihren Durchmesser auf etwa zwanzig Zentimeter. Jedes dieser Rohre trägt drei Rohrschellen, und bei allen sitzt auf dem obersten Rohrstück eine schwarze Abdeckkappe. In einiger Entfernung entdecke ich einen Betonquader. Er hat ein Dach und darunter befinden sich Lüftungsgitter. Weiter rechts erhebt sich ein schräges Metalldach aus dem Untergrund. Seitlich und vorne sehe ich Gitter.
Gitti steht auf. Wir sollten jetzt gehen, bedeutet sie mir mit einem energischen Klopfen auf ihre Armbanduhr. Ich bitte sie darum, auf dem Weg noch an dem schrägen Dings da vorne vorbeizulaufen. Gitti ist einverstanden. Das Dings entpuppt sich als Überdachung einer steilen, schmalen Betontreppe, die tief hinab in den Untergrund führt. Der Zugang ist mit einer Gittertür verschlossen. An der Tür hängt ein Zettelkasten. Wir entdecken kleine Heftchen mit Veranstaltungshinweisen. Eines dieser Heftchen wandert auf der Stelle in meine Tasche. Ansonsten wandern wir – und zwar zu Gittis Termin.
In der folgenden Nacht träume ich von dunklen Unterwelten, in denen sich dunkle Gestalten herumtreiben, die natürlich in dunkle Machenschaften verwickelt sind. Tief unter dem Platz mit den seltsamen Rohren verborgen, eröffnet sich im Laufe meiner verworrenen Träume dann aber doch eine recht bunte, laute, fröhlich schillernde Welt. Was ist da los?
Ich habe keine Ahnung, was ich mir weiter zusammengeträumt habe. Am nächsten Morgen fällt mir aber das Programmheftchen wieder ein. Es liegt immer noch ungelesen in meiner Tasche. Ich schäle mich aus dem Bett und hole das Heftchen hervor. Oben links prangt ein unauffälliges Logo. Darunter verrät ein in dünnen Lettern gedruckter Text, was es unter dem kleinen Platz zu entdecken gibt.
Hier ist ein alter Bunker verborgen, der seit ein paar Jahren Raum für Kunst und Kultur bietet. Es gibt ein buntes Programm mit Konzerten, Lesungen, Party-Nächten, Ausstellungen und natürlich Bunkerführungen. Das Ding hat eine bewegte Geschichte hinter sich und diente nach dem Krieg sogar eine Zeit lang als Hotel. Es freut Gitti und mich sehr, dass solche einst dunkle Orte inzwischen als Kulturstätten genutzt werden.
Ob wir dort je ein Konzert besuchen werden? Wie ich uns kenne, halten wir uns wohl doch lieber an der Erdoberfläche auf. Deshalb vermute ich, dass wir andere Unternehmungen vorziehen werden – aber wer weiß das schon so genau?
Liebe Miri,
so eine unterirdische Veranstaltung hat ihren eigenen Charme. Da, wo ich wohne, gibt es sogar Höhlen, in denen Weihnachtsmärkte stattfinden oder die man aufg einem Quad erkunden kann. (Im eingangsbereich des weinachtsmarktes musst unter Umständen auch Du auf deinen Kopf achten, danach kann man überall stehen.
Der Weihnachtsmarkt hat seinen eigenen Charme und es ist deutlich wärmer als auf den klassischen Weihnachtmärkte, es ist gut beleuchtet und auch für leib‘ und seele ist vorgesorgt, wenn man möchte.