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Ausflug zum See

Gitti weckt mich, sie singt leise die Melodie aus der Werbung, die heute vielleicht kaum noch einer kennt: „Der Kaffee ist fertig!“ Herrlich duftenden Cappuccino hat sie zubereitet. Welch ein toller erster Eindruck des Tages! Ich hebe vorsichtig ein Lid und riskiere einen Blick hinaus durchs Fenster. Die Sonne lacht. Das fängt gut an. Letzte Woche noch habe ich an so manchem Tag gedacht: „Der Morgen graut und mir graut es. Oder graut es dem Morgen auch?“ Heute ist das anders. Dem Charme der lachenden Sonne habe ich nichts entgegenzusetzen. Und Gittis Charme und dem köstlich duftenden Getränk erst recht nicht.

Schnell beschließen wir, heute frei zu haben. Putzen wird überschätzt!! Gitti erinnert mich daran, dass sie für den Abend einen Tisch im Gourmettempel reserviert hat. „Wie schön! Wo war das nochmal?“, frage ich noch etwas desorientiert. „In Aasen.“ Wo um Himmels Willen ist das denn? Den Ortsnamen habe ich noch nie gehört. Gitti klärt mich auf, dass Aasen in der Nähe von Donaueschingen liegt. Wie weit ist das von hier weg? Ach, ich frage lieber nicht. Wir nippen an unseren Bechern.

Nach einer Weile bin ich am Grund des Kaffeebechers angelangt, und infolgedessen werde ich bald schon zurechnungsfähig sein. Das Wetter ist so berauschend schön! Ich finde, wir sollten unseren Ausflug nach Aasen und vor allem die dort anstehende Schlemmerei mit einem ausgedehnten Spaziergang vorbereiten. Ob wir wohl in der Nähe unseres Ausflugsziels eine Runde durch die Sonne laufen können? Gitti recherchiert. Sie berichtet von Schluchten. Das ist bestimmt wild romantisch, aber doch auch recht schattig, oder? So langsam erschließt sich mir, wohin die Reise geht. Und plötzlich erinnere ich mich an unseren tollen Ausflug, den wir im Sommer nach Überlingen unternommen haben, als dort die Landesgartenschau veranstaltet wurde. Schlagartig bin ich hellwach. „Wie weit ist das vom Bodensee entfernt?“, möchte ich von Gitti wissen. „Nicht so weit“, findet sie und hält mir kurz darauf einen Kartenausschnitt unter die Nase.

„Auf nach Überlingen!“, rufe ich. Behände springen Gitti und ich auf, starten frohgemut durch und fahren der Sonne entgegen. Bald sind wir am Bodensee und promenieren auf der wunderschönen Promenade direkt am Seeufer. Der See liegt blau und still plätschernd vor uns, im Hintergrund können wir die schneebedeckten Alpen sehen. Kitsch pur! Die Sonne legt eine funkelnde Spur über das Wasser. Dies ist ein wunderbarer Ort zum Auftanken!

Was ist das eigentlich? Wieso strahlt dieser Ort solch eine Ruhe und Kraft aus? Gitti überlegt, dass es an dem stehenden Gewässer liegen könnte. Das Wasser ist so ruhig, es gibt keine Tide, es fließt nicht schnell, wie ein Fluss dahin. Der Blick ist weit.

In Brauneberg an der Mosel haben wir auch so ein Gefühl. Die Mosel fließt zwar, aber sie fließt dort so scheinbar langsam und gemächlich. Auf der einen Seite gibt es eine Allee mit alten Nussbäumen, zwischen Allee und Fluss liegt eine Wiese. Der Blick auf die steilen Hänge der Weinberge, die sich am gegenüberliegenden Ufer erheben, verankert das Gefühl des tiefen Friedens, das wir dort immer spüren.

Heute und hier am Ufer des Bodensees stellt sich ein ganz ähnliches Gefühl ein. Zufrieden verweilen wir und sehen einer Frau zu, die ein paar der Steine am Seeufer zu einem kleinen Steinmännchen aufhäuft. Dann wandern wir weiter, lassen uns treiben und spüren der wunderbaren Atmosphäre nach, die uns umspült. Und wir tanken auf.

Am späten Nachmittag reißen wir uns los und fahren nach Aasen. Wir wollen auf keinen Fall zu spät kommen, deshalb sind wir rechtzeitig auf der Piste. Genaugenommen kommen wir viel zu früh an. Der Laden hat noch geschlossen. Gitti dirigiert mich den Berg hinauf. Oben gibt es ein weites Feld, einen winzigen Parkplatz, einen tollen Blick ins Tal und in einiger Entfernung einen Wald. Und da zieht es sie jetzt hin. Schnellen Schrittes laufen wir den Feldweg entlang auf den Wald zu. Ich frage mich leise, was Gitti so antreibt.

Am Waldesrand gabelt sich der Weg. An der Gabelung steht ein Hochsitz. Gitti drückt mir ihre Tasche in den Arm und läuft stracks auf den Hochsitz zu. Sie will doch nicht etwa die Leiter hinaufsteigen? Ich höre noch die Anweisung, nach Leuten Ausschau zu halten. Weit und breit ist niemand zu sehen. Gitti hockt derweil unter dem Hochsitz. Als ein Wanderpaar hinten rechts aus dem Wald heraustritt, ist Gitti bereits wieder bei mir. Sie guckt auf die Uhr, klopft mit dem Zeigfinger ein paar Mal auf das Glas über dem Ziffernblatt und sagt: „Jetzt können wir gehen. Die machen gleich auf. Ich möchte nicht zu spät kommen.“ Und dann nimmt sie mich an der Hand und läuft schnellen Schrittes zurück zum Auto und unserem nächsten Genuss entgegen.

Der Sommelier des Gourmettempels bereitet uns einen warmen Empfang, geleitet uns zu unserem Tisch und lässt uns Platz nehmen. Einen Aperitif später teilen wir dem guten Mann mit, für welches Menu wir uns entschieden haben und welche Getränke wir zur Begleitung wünschen. Der Auftakt ist gemacht. Es folgen unglaublich spannende kulinarische Kunstwerke, fein zubereitet und toll angerichtet. Gitti und ich versuchen, die Zutaten und Gewürze herauszuschmecken. Jeder bunte Klecks auf den Tellern hat seine eigene Note. Wir schwelgen im Genuss und unterhalten uns angeregt über den herrlichen Tag, den wir mit diesem Essen krönen.

Der Vorteil von Hamsterbäckchen besteht darin, dass man auf der Heimfahrt immer noch dem einen und dem anderen Genuss nachspüren kann.

Ich freue mich schon sehr auf unseren nächsten Ausflug – wann und wo auch immer der stattfinden mag. Und bis dahin schwelge ich in den Erinnerungen meiner ideellen Hamsterbäckchen. Die realen sind ja längst schon wieder sauber und aufnahmebereit!

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Mauro und Gianna

    Danke für die Entführung mit deiner Story zu einem unserer Lieblingsorte. Sehr viel Zeit haben wir, über viele Jahre immer wieder dort verbracht! Jetzt fühlen wir uns direkt motiviert, nach einer längeren Auszeit den Bodensee wieder zu besuchen!
    Danke für diese Erinnerung!

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