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Begegnungsstätte

Ich habe den ganzen Tag an einem Kopflappenumleger gearbeitet. Das Ding braucht man für Verpackungsmaschinen. Denke an Mehl- oder Zuckerpackungen, und jetzt stelle Dir vor, Du füllst so ein Päckchen und verschließt es dann von Hand. Vielleicht drückst Du die Stirnseiten mit den Fingern ein und faltest den nach oben überstehenden Teil nach unten. Genau so macht es der Kopflappenumleger auch, dieser hier etwa einhundertfünfzig Mal in der Minute.

Die Konstruktion war nicht so einfach, aber jetzt ist das Ding endlich komplett. Alle Teile sind gezeichnet und bemaßt.

Ich kehre zu meiner Freundin Gitti zurück – ich bin hungrig und habe einen halben Laib Möhrenbrot im Auto. Die andere Hälfte hat die Fahrt mal wieder nicht überlebt, es hat so herrlich geduftet. Kaum zur Tür herein wird mir eröffnet: „Ich habe meinen Bausparvertrag gekündigt und außerdem habe ich es satt!“

Okay?!? Gitti nimmt zum Essen etwas weniger des guten Weines zu sich. Bald erkenne ich, dass wir das Haus noch mal verlassen werden. Sie fährt, ich kann eh nicht mehr, ich wollte den Rest der Flasche nicht verkommen lassen. Wir betreten ein Küchenstudio. Langsam beginne ich, zu begreifen: wir werden eine Küche kaufen! Heute allerdings nicht, es ist wohl noch nicht der richtige Laden – puh.

Am nächsten Morgen geht es weiter mit dem Thema. Es ist Samstag. Gegen neun Uhr entreißt Gitti mich dem Schlaf – präsenile Bettflucht. Ich wanke in die Küche, die es zu ersetzen gilt. Nach Kaffee und Brötchen krieche ich durch den Raum und ermittle Maße, wir zeichnen einen Grundriss. Es gibt auch noch bewegliche Dinge, die offensichtlich das Haus nicht so schnell verlassen sollen, also ein runder Tisch, eine hohe Kühl-Gefrier-Kombination und vier Stühle. Wir messen alles aus und fertigen Papierschnipsel, die wir dann über den Grundriss schieben können. Alles findet Platz in einer Plastik-Sichttasche, so eine, die man in einen Ordner heften kann.

Los geht es – mit einem Umweg über den Wertstoffhof, wo wir wieder Probleme mit den ortsansässigen Müllsheriffs bekommen. Wir sind nicht in der Lage, unseren Müll so zu sortieren, wie es in dieser Woche wohl angebracht gewesen wäre – egal, das ist in etwa so aussichtslos, wie das Unterfangen, beim Aldi den Wettlauf gegen die Kassiererin gewinnen zu wollen (meinen höchsten Respekt zolle ich diesen Frauen!!).

Am späten Nachmittag landen wir völlig erschöpft in einem Laden, in dem wir Dachmaar, wie wir sie später liebevoll nennen werden, begegnen. Ich glaube, Dachmaar hatte bis dahin einen beschaulichen Samstag hinter sich und freute sich schon auf den nahenden Feierabend und ein Gläschen Sekt, mit dem sie denselben zu beschließen gedachte. Wir kippen unsere Schnipsel aus der Plastik-Sichttasche auf einen Tisch und formulieren unser Anliegen.

Dachmaar zeigt uns fast alles, was der Laden zu bieten hat. Sie denkt sich ob unserer Kommentare und Überlegungen bezüglich der Zahl der Leute, die zur Not in der neuen Küche gemeinsam speisen können sollen, ob der Logistik, die die Zubereitung bestimmter Speisen erfordert und ob all der sonstigen Nebenbedingungen, die zu erfüllen sind, ihren Teil. Irgendwann muss sie dann doch fragen, was sich ihr aufdrängt: „Ist das eigentlich eine Begegnungsstätte?“ Wir antworten synchron, ich mit „Nein“, Gitti mit „Ja“. Dachmaar grinst. Sie schüttelt kaum merklich den Kopf und berät uns weiter. Am Ende sammeln wir unsere Schnipsel wieder ein und unterschreiben einen Vertrag. Dann gibt es endlich Sekt, für Dachmaar, Gitti und mich – guter Tag!

Die neue Küche soll direkt nach Weihnachten in Gittis Haus geliefert werden und es sind viele Vorbereitungen zu treffen. Der Boden ist hässlich, wir wollen also Laminat verlegen. Es ist egal, dass wir keine Ahnung davon oder gar Erfahrung damit haben, und Gittis Schwägerin hat uns Hilfe angedroht. „Alles kein Problem“, lässt sie uns wissen. „Ich komme. Besorgt einfach alles, was man dazu so braucht.“ Wir trauen uns nicht, nach Details zu fragen. Die Wände wollen wir bei der Gelegenheit auch neu tapezieren. In einem der ortsansässigen Baumärkte erstehen wir ein größeres Gebinde Laminat, Tapete, Kleister, Werkzeug und was-weiß-ich-was, eben alles, was man so brauchen könnte.

Die alten Küchenmöbel werden entsorgt und die Schwägerin mitsamt Kreissäge einbestellt. Ein großer Teil des Kühlschrankinhaltes muss draußen gelagert werden, sonst können wir den wichtigsten Schrank unseres Haushalts nicht verschieben. Zum Glück ist es draußen kalt. Die Laminat-Verlege-Aktion mit den beiden startet. Es läuft richtig gut. Beim drittletzten Brett erleichtert sich der Schwägerin Gewissen: „Das ist ja einfach, das hätte ich gar nicht gedacht, das muss ich dringend zu Hause auch mal probieren!“ Und ich hatte geglaubt, sie hätte schon gefühlte tausend Quadratmeter mit dem Zeug ausgelegt.

Weihnachten verbringen Gitti und ich bei der Schwägerin, bei uns gibt es ja zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal eine Küche! Sturm Lothar fegt übers Land. Wir müssen trotzdem nach Hause, weil doch morgen der Küchenbauer kommt. Wir haben keine Ahnung davon, dass der ebenfalls stundenlang durch den Schwarzwald gurkt, weil er ja am nächsten Morgen eine Küche ausliefern muss. Ich vermute, wir sind uns auf der Irrfahrt mindestens zehn Mal begegnet – es gab ja wirklich überall nur umgefallene Bäume und skurrile Gegenden, in denen die Feuerwehr alle verfügbaren Kettensägen testen durfte. Einige Wochen später ist der Raum endlich wieder nutzbar. Es hat halt etwas länger gedauert, bis alle Arbeitsplatten so zugesägt waren, dass sie zu den schiefen Wänden passen.

Die Küche, die bei uns fortan nur noch Begegnungsstätte heißt, wird wieder in Betrieb genommen. Wir laden Freunde ein. Es gibt eines unserer gefürchteten Menüs „mit nix“, also mit allem, was aus dem wieder gefüllten Kühlschrank so herauszuoperieren ist. Ein herrlicher Abend mit viel Essen, viel Wein und viel Gelächter. Die Begegnung einer der Weinflaschen mit dem Laminat hat nur ein Plong-Ding-Ding zur Folge. Die Diskussionen über Sinn und Unsinn von Laminat in Küchenräumen finden so ein jähes Ende. Es folgen weitere kulinarische Genüsse, begleitet von noch mehr Wein.

Meine Auseinandersetzungen mit der wild gewordenen Personenwaage im oberen Stockwerk verliere ich im Laufe der nächsten Wochen, mein Gewicht nicht – macht nichts. Der Gürtel hat noch ein Reserveloch, ich muss noch keine neuen Hosen kaufen, Glück gehabt.

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Tom

    Hallo Miri, vielen Dank für die herrlichen Geschichten, ich hoffe auf viele Weitere.

    1. Miriam

      Hallo Tom, freut mich, dass sie Dir gefallen. Ich versuche, einigermaßen regelmäßig weitere Geschichten online zu stellen.

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