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Das Fallenlassen

Gitti und ich beschäftigen uns gerade viel mit der Kraft des Einfühlungsvermögens. Das Einfühlungsvermögen ist eine besondere Fähigkeit, die wir sehr schätzen und über die wir immer wieder miteinander reden. Gitti und ich möchten unsere Sinne schärfen und das soziale Miteinander in unserer kleinen Welt positiv mitgestalten. Dafür müssen wir die Situationen und die Reaktionen darauf verstehen. Wir fühlen uns also ein und lassen uns dabei auch in die Welt der anderen fallen. Gitti und ich bilden uns ein, uns sehr gut in andere Menschen und Situationen einfühlen zu können.

Ich muss es aber nicht nur können, sondern auch freiwillig und ohne Not tun!

Beim Einfühlen in einen anderen Menschen erkenne ich neben den Stärken natürlich auch die Schwächen meines Gegenübers. Jetzt muss ich mich entscheiden. Ich kann die gewonnenen Erkenntnisse auffangen und rücksichtsvoll mit seinen Schwächen umgehen. Ich kann die Schwächen aber auch ausnutzen, um den anderen Menschen zu manipulieren, ihm zu schaden oder einfach nur mir selbst einen Vorteil zu verschaffen. Bei der Beurteilung anderer Leute ist mir immer wichtig, was die aus ihren Fähigkeiten so alles machen. Ich gucke also genau hin, wozu eine Fähigkeit genutzt wird. Andere machen das auch. Das gemeine, schamlose Ausnutzen steht einem friedvollen und fröhlichen Miteinander meistens im Weg. Deshalb urteilen wir Menschen auch so gerne hart und geradezu herzlos über jemanden, der Situationen oder im schlimmsten Fall uns schamlos ausnutzt.

Andere Leute werden mich als empathisch beschreiben, wenn ich die Fähigkeit, mich in Menschen oder Situationen einzufühlen, verantwortungsvoll und vor allem nicht zu ihrem Nachteil nutze. Und ich werde das dann als Kompliment verstehen. Diese Leute werden mich jedoch eine Psychopathin schimpfen, wenn ich aus dieser Fähigkeit immer nur egoistischen Nutzen für mich selbst ziehe. Zu Recht!

Psychopathen, so glaubte man übrigens bisher, können sich nicht in andere einfühlen. Der aktuelle Stand der Wissenschaft ist jedoch der, dass ein Psychopath das durchaus kann. Er kann sogar noch mehr: Er kann das Einfühlen gezielt einschalten. Es erscheint mir so, als ob er eine Lampe anknipsen würde. Der Empath kann das nicht. Bei empathischen Menschen ist das Einfühlen quasi immer eingeschaltet, und sie können es fast nicht ausschalten. Bei Psychopathen, so scheint es, ist die Empathielampe in der Regel aus und wird nur gezielt eingeschaltet, zum Beispiel, wenn ein Nutzen winkt.

Leider weiß ich nicht immer, wie andere ticken und mit wem ich es zu tun habe. Es gibt natürlich Hinweise, nach denen meine Sinne auch unermüdlich fahnden. Der Rest braucht Zeit. Schon wieder muss ich mich entscheiden: Lasse ich mich fallen? Öffne ich mich so, dass andere in mir lesen dürfen, wie in einem offenen Buch? Ohne Vorbedingungen? Gehe ich das Risiko ein? Schenke ich mein Vertrauen oder muss der andere sich das hart erarbeiten und verdienen?

Wenn ich mich fallen lasse, gebe ich einen Teil der Kontrolle ab. Immer. Nur Mut! Es winken spannende Erfahrungen, neue Erkenntnisse, vielleicht auch angenehme, im besten Falle sogar ganz tolle Überraschungen. Bei genauer Betrachtung erweist sich das Risiko meist als überschaubar.

Heute Morgen habe ich mich beim Yoga mal wieder ganz tief fallen lassen. Gitti und ich lagen im Wohnzimmer auf unseren Matten. Gianna und Mauro saßen quasi in unserem Fernseher und leiteten uns online an. Komm einfach mal mit, fühle Dich ein in das, was passierte:

Unsere Augen sind geschlossen. Wir liegen auf dem Rücken. Unsere Arme strecken wir neben dem Köper aus, unsere Handflächen weisen nach unten. Wir atmen bewusst und tief ein und aus. Stück für Stück entspannen wir unseren Körper. Gianna spricht mit ruhiger Stimme. Unsere Aufmerksamkeit durchwandert nach und nach alle Körperteile. Ich atme tief durch die Nase ein und sende meinen Atem zu einer bestimmten Stelle im Lendenwirbelbereich. Dort habe ich eine kleine Verspannung bemerkt und durch das gezielte Da-hinein-Atmen kann ich sie auflösen. Gianna sagt, ich soll den Atem nun durch mein ganzes rechtes Bein hindurchleiten und verbrauchte Energien über die Fußsohle ausatmen. Ich weiß, das es verrückt klingt, aber ich weiß auch, das es funktioniert. Ich atme. Und ich lasse mich weiter fallen. Irgendwann geht es durch das linke Bein. Jetzt sagt Gianna: „Atme alle verbrauchte Energie in kleinen grauen Wölkchen über die Fußsohle aus. Lasse sie ziehen!“

Ich bin tief entspannt, aber bei diesem Satz sehe ich plötzlich vor meinem inneren Auge eine kleine Gestalt, die mir zu Füßen steht. Sie hält ein Tuch in Händen und wedelt damit oberhalb der Stelle, durch die gerade die grauen Wölkchen ins Freie dringen. Durch das gezielte Wedeln bilden sich Rauchzeichen, die nun als wohlformulierte Botschaft nach oben und dann durch die Decke hindurch fortziehen. Irgendwo anders steht bestimmt noch eine Gestalt. Und die weiß die Rauchzeichen zu lesen. Ich muss kichern – und mich den anderen gegenüber erklären. Zum Glück sind Gitti, Gianna und Mauro schon Kummer mit mir und meinen Assoziationen gewohnt.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Mauro und Gianna

    Liebe Miri, es ist nicht nur schön, deine Schmunzelstories zu lesen, es ist schön, dich und Gitti bereits seit vielen Jahren im Yoga anzuleiten und dabei an deinen bildlichen Vorstellungen teilhaben zu dürfen!
    Danke dafür und für all die vielen Freuden und für die gemeinsame Zeit, die wir sehr oft mit herzlichen Lachen verbringen!

    Mauro und Gianna

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