Der Sommer hat nochmal richtig Fahrt aufgenommen. Die Sonne lacht, am Himmel hängt kein einziges Wölkchen. Gitti und mir ist heiß.
Am späten Nachmittag stehen wir in der Küche und beraten, was wir kochen wollen. Gittis Stirn zieren kleine Wasserperlen. Das sieht eigentlich ganz hübsch aus. Von der meinen rinnt gerade ein salziges Rinnsal langsam seitlich über die Schläfe herab. Unsere Blicke treffen sich. Die Luft zwischen uns beiden flirrt, und einer Fata Morgana gleich sind die großen Buchstaben unseres gemeinsamen Gedankens leicht zu entziffern: Kochen?!? Biergarten!!
Geschäftigkeit zieht ein. Schnell muss jede noch einmal zur Toilette, wir schlüpfen in bequeme Schuhe, stecken ein wenig Bargeld ein und machen uns auf, den kurzen Fußweg gen Biergarten zu absolvieren. Unterwegs beschränkt sich unsere Unterhaltung auf kurze Stoßseufzer. Boah, ist das heiß!
Im Biergarten lassen wir uns zuallererst zwei große Biere zapfen. Schon der Anblick des kühlen Nasses erfrischt mich. Essen sollten wir auch, aber bitte nichts Warmes! Die Wahl fällt auf ein Vesperbrett mit Obazda, Wurstsalat, einer üppigen Käseauswahl, Oliven, Brezeln und Bauernbrot. Das Brett ist hübsch und reichlich garniert. Im Obazda-Haufen stecken zwei Grissini, Cherry-Tomaten liegen in Frisée-Salat-Nestern. Gitti schwärmt begeistert von den Zwiebelringstückchen, die in Rote-Bete-Saft eingelegt wurden. Ein Teil des roten Saftes rinnt dem Rand des Brettes entgegen. Gitti baut schnell ein kleines Bauernbrot-Wehr und tunkt mit leuchtenden Augen den Saft auf, bevor er sich auf den Tisch ergießen kann.
Wir laben uns.
Leider erregt das, was da so alles auf unserem Vesperbrett liegt, auch das Interesse diverser ungebetener Gäste. Diese Gäste können fliegen. Sie kommen in kleinen Scharen. Gitti wedelt abwechselnd mit der Speisekarte und einem Bierdeckel über dem Brett herum. Die geflügelten Interessenten beeindruckt das weniger als geplant. So einfach lassen sie sich nicht vertreiben. Wir versuchen, sie mit einem kleinen Angebot etwas abseits unseres Brettes zu locken. Den Trick kennen die Dinger wohl schon. Sie verschmähen, was wir ihnen freiwillig überlassen würden. Eines dieser Tiere steht nun sogar mir direkt zugewandt kurz vor meiner Nasenspitze in der Luft. Ich beginne zu schielen und sehe direkt in zwei goldgelb umrandete Facettenaugen. Ihr Aussehen erinnert mich an kleine Sofakissen. Der dahinterliegende Korpus des Tieres ist quergestreift. Gelb auf schwarzem Grund. Ich verliere die Fassung sowie den Rest meiner Selbstbeherrschung und fuchtele nun kräftig mit meinen Händen umher.
Hätte ich doch bloß eine Blumenspritze zur Hand! Dann könnte ich kleine Wasserfontänen in die Luft spritzen und den Tieren Regen vorgaukeln. Sie würden daraufhin bestimmt schnell ins trockene Wespenheim entfliehen, und Gitti und ich könnten in aller Ruhe hier sitzen.
An einem der Nebentische lassen sich ein paar Minuten später Menschen nieder, deren Essensangebot im Vergleich zu dem unseren attraktiver zu sein scheint. Die geflügelte Räuberbande im gelb-schwarz geringelten Dress umschwärmt nun den Nebentisch. Bald verlieren sie auch dort das Interesse und ziehen weiter.
Gitti und ich gucken zur Verdauung ein paar Minuten lang spazieren. Der Biergarten ist gut besucht.
Querstreifen sind wieder in, oder? Nicht nur im Tierreich, wie eben noch in scharz-gelb zu bewundern. Ganz viele der Besucherinnen und Besucher tragen heute gestreifte Kleidung. Die uns umgebenden Oberteile sind sogar mehrheitlich mit Querstreifen verziert. Längsgestreifte Hosen liegen ebenfalls voll im Trend.
„Was machen wir jetzt eigentlich mit unserer Hornisse?“, fragt Gitti plötzlich. Ach ja, zu dem Thema bin ich ihr noch eine kleine Recherche schuldig!
Vor geraumer Zeit flog eine ansehnliche Hornisse mit großer Beharrlichkeit wieder und wieder ums Haus herum. Eingehend begutachtete sie die Zugänge zu diversen Rollladenkästen. Auf dem Balkon konnten wir das Tier ausreichend oft stören. Wer will schon an der sommerlichen Hauptverkehrsader menschlichen Daseins einziehen? Da hat man als Hornisse ja keine Ruhe!
Leider hat sie sich dann im Rollladenkasten oberhalb eines der Küchenfenster niedergelassen und sich dort gemütlich eingerichtet. Die Gründung des kleinen Hornissenstaates erfolgte während unserer Abwesenheit, und seither ist reger Flugverkehr zu beobachten. Hornissen stehen unter Naturschutz, ein Kammerjägereinsatz verbietet sich. Wir hörten davon, dass Hornissen auch von alleine wieder ausziehen. Die Ist-Situation lässt sich als friedliche Koexistenz beschreiben. Gitti und ich fühlen uns allerdings genervt, weil aus dem kleinen Spalt, der den Gurt des Rolladens am Boden des Kastens umgibt, immer wieder Dreck herausrieselt. Natürlich ist das schnell weggeputzt, aber dauerhaft möchten wir diesen Service nicht leisten!
Neulich war die Hornisse spät am Abend wohl noch unterwegs. Welches Hornissen-Familiendrama sie wohl aus dem Haus getrieben hatte? Wir wissen es nicht. Jedenfalls fand sie nicht wieder zurück und landete stattdessen bei uns im beleuchteten Wohnzimmer.
Wir löschten das Licht, verließen den Raum und wünschten uns und ihr, dass sie den Weg nach draußen durch die geöffnete Balkontür alleine finden möge. Da standen Gitti und ich nun im Flur. Vor lauter Hektik war es uns nicht gelungen, auch noch den Fernseher auszuschalten. Stellvertretend guckte nun also drinnen die Hornisse den Film, den wir gerade sehen wollten. Wer zahlt hier eigentlich die Miete und den Strom?
Gitti fasste sich ein Herz und ging wieder rein. Weil sie nur im Schein des Fernsehfilms nicht genug sehen konnte, schaltete Gitti die neben der Tür stehende Stehlampe wieder ein. Die Hornisse missdeutete das Signal und flog freudig auf Gitti zu. Mit Schwung schloss die daraufhin wieder die Tür zum Flur. Ergebnis: Hornisse drinnen, mit Fernsehfilm und Licht, und wir draußen im dunklen Flur. In Gitti breitete sich Mordlust aus.
Wegen des Naturschutzes boten wir der Hornisse eine weitere Chance. Neben dem Wohnzimmer befindet sich Gittis Arbeitszimmer. Die beiden Räume sind durch eine Schiebetür miteinander verbunden. Beide Zimmer haben einen Zugang zum Balkon. Wir schlichen auf leisen Sohlen ins Arbeitszimmer, schlossen und verriegelten die Schiebetür und trugen eine große Laterne auf den Balkon. Gitti musste dort noch mehr Licht bieten, um die Hornisse wieder aus dem Haus zu locken. Nach einer gefühlten Ewigkeit ging der Plan endlich auf.
Zwischenstand: Die Hornisse umschwirrte draußen das Licht, während wir drinnen im Dunklen standen und uns beide Nasen von innen an der Balkontür plattdrückten. Der Fernseher ging von alleine aus. Das macht er immer nach ein paar Stunden, denn er verfügt über einen versteckten Timer. Immerhin kündigt er die Abschaltung drei Minuten zuvor an. Dann muss man irgendeine Taste auf der Fernbedienung drücken, um den Vorgang abbrechen zu können. Die Ankündigung hatten wir wohl verpasst.
Wir sind dann erstmal ins Bett gegangen.
Gitti trieb die Vorstellung, dass der Balkon die restliche Nacht über hell erleuchtet sein könnte, nach einer kurzen Weile wieder aus dem Bett. Wenn ich es richtig verstanden habe, lag die Hornisse erschöpft vor der Lampe, als Gitti das Licht löschte. Ob es im Rollladenkasten wegen des ausgedehnten nächtlichen Ausfluges zu Ehestreitigkeiten gekommen ist, wissen wir nicht. Am nächsten Morgen war die Hornisse jedenfalls nicht mehr auf dem Balkon. Der Flugverkehr am Hornissenheim ist weiterhin rege.
Inzwischen weiß ich, dass Hornissen nur eine Saison lang bleiben. Im November könnte der Spuk vorbei sein. Gitti und ich werden auf jeden Fall davon absehen, im nächsten Hornissen-Anzeiger ein Wohnungsinserat aufzugeben!
Kleine Anmerkung zum Schluss: Menschen in quergestreifter Freizeitkleidung begegne ich lieber als kleinen quergestreiften Flugtieren.