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Das ist Wucher

Hoch die Hände, Wochenende! Wird jetzt nur entspannt und gefeiert? Nein. Es reicht ein Blick nach draußen, um zu wissen, dass wir uns kümmern müssen. Hochtrabend könnte ich formulieren, dass wir uns um die Außenanlagen kümmern müssen. In Wahrheit geht es dabei um eher kleine Flächen, auf denen ohne unser eigenes Zutun grünes Zeug aller Art wächst. Gitti und ich greifen da nicht andauernd ein, aber unsere Toleranz kennt durchaus Grenzen.

Die Sonne lässt sich blicken. Endlich kriecht mir die Kälte nicht mehr in alle Knochen. Gitti stemmt die Fäuste in die Hüften und verkündet, dass sie heute dem Schmutz, der sich auf der Terrasse breitgemacht hat, den Kampf ansagt. Entschlossen rekrutiert sie ihre Erfüllungsgehilfen: Wasserschlauch und Hochdruckreiniger. Gestern bereits hat sie damit die Fliesen auf dem großen Balkon gereinigt. Das Ergebnis ist beeindruckend. Die hellen Fliesen sehen aus wie neu.

Ich werde mich um eine neue Frisur für die kleine Hecke kümmern und allem zu Leibe rücken, was an Stellen wächst, die ich lieber ohne Bewuchs sehen würde. Der Akku der Heckenschere ist geladen. Ich nehme außerdem einen Spachtel, eine kleine Gartenschere und so ein Ding, mit dem man kleinere Gewächse inklusive Wurzel ausstechen kann, mit. Eine Wanne, in der ich alles sammeln kann, was später in die Biotonne umziehen wird, darf natürlich nicht fehlen.

Zunächst steht eine kleine Inspektion auf dem Programm. Vorletztes Jahr hatte sich der Efeu explosionsartig verbreitet, letztes Jahr gab es unglaublich viel Löwenzahn und dieses Jahr scheint das Jahr des Mooses zu sein. In China ist gerade das Jahr des Hasen. Ob der sich wohl letztes Jahr über unseren Löwenzahn gefreut hätte?

Gitti werkelt bereits lautstark und ausdauernd mit dem Hochdruckreiniger. Bestimmt ist Nachbar Hubsi, der über die lautesten aller Gartengeräte verfügt, schon ganz neidisch. Sonst ist er der Herr des Krachs! Auf der Terrasse liegen Waschbetonplatten. Dem Moos, das sich dort festgekrallt hat, ist Gitti neulich schon sehr leise auf den Leib gerückt. Ganz ausgekocht hatte sie einen wahrlich abgebrühten Plan ersonnen und das Moos mit kochendem Wasser übergossen. Ein Teil des Mooses hat die Prozedur nicht überlebt, aber die braunen Überreste des bis dahin grünen Bewuchses ließen sich danach auch nicht einfach so wegfegen. Deshalb verleiht Gitti heute ihrem Anliegen, das Moos möge doch einfach woanders wachsen, Nachdruck. Mit Hochdruck.

Unterdessen frisiere ich zunächst die kleine Hecke mit der Heckenschere. Mit geschwungenen Bewegungen gebe ich ihr die Form für die nächste Zeit vor. Danach kann sie wieder machen, was eine Hecke halt so macht – zum Beispiel in alle Richtungen wachsen. Dann kommt der anstrengendere Teil. Es gibt einen kleinen Weg, der die Hecke teilt und zwischen ihr hindurchführt. Er endet auf einem kleinen gepflasterten Platz. Auf dem Weg liegen ein paar Platten. Das Moos hat sich auch hier festgekrallt. Zwischen und neben den Platten auf Weg und Platz sprießen allerlei Gewächse. Ich verbringe die meiste Zeit in der Hocke und stöhne mit jedem Mal mehr, wenn ich mich mühsam wieder aufrichte. Die Reichweite meiner Arme ist begrenzt. Wäre ich Elastigirl, so könnte ich alles gemütlich von einer zentralen Position aus erreichen. Ich bin aber nicht Elastigirl. Ohne Superkräfte bleibt es also beim Herumkriechen, Rupfen, Abschaben, Ausstechen, Abschneiden und Stöhnen.

Gitti ist derweil selbst schon sehr hübsch dekoriert. Das folgt den Gesetzen, die wir aus der Optik kennen. Trifft ein Strahl auf eine Fläche, so wird er seinem Einfallswinkel gemäß im Ausfallwinkel gleicher Größe an der Fläche reflektiert. Hier trifft nun der Wasserstrahl mit allem, was er so mit sich reißt, auf die aus dem Waschbeton hervorschauenden Kieselsteinchen. Mit der Lanze des Hochdruckreinigers gibt Gitti die Richtung des reinigenden Wasserstrahls vor, und die Geometrie der Kiesel bestimmt die Richtung der Reflexion. Gitti hat keine Chance. Völlig versprenkelt ruft sie mir zu: „Ich sehe aus wie ein Schwein!“

Später wird Gitti die an der Hauswand klebenden Moosstücke ohne großen Druck abspülen, und bald werden wir die Fenster putzen.

Ich wende mich weiter dem Grünzeug zu. Diese Art körperlicher Arbeit fordert eine gewisse Konzentration ein, die mich in erster Linie vor unbeabsichtigter Selbstverstümmelung bewahrt. Ich erwische mich dabei, wie ich mit der einen Hand tief ins Dickicht greife, dort beherzt an ein paar Efeuranken ziehe und mit der anderen Hand die Gartenschere ins dichte Grün stecke. Kurz vorm Schneiden erinnere ich mich daran, dass es von Vorteil sein könnte, besser auf die eigenen Körperteile zu achten. Also ziehe ich wenigstens die Hand mit den Ranken so weit heraus, dass ich sie ganz sehen kann. Auch beim Abschaben von Moos muss man ein bisschen aufpassen. Der Spachtel sollte zum Beispiel nie in Richtung der anderen Hand geführt werden, mit der ich mich manchmal abstütze. Jeder Handwerker weiß, wie gefährlich das ist!

Dennoch bleibt Raum für frei umherfliegende Gedanken. Die Natur macht, was in ihrer Natur steckt: sie wächst. Überall. Wo auch nur der kleinste Platz ist, wird irgendwann etwas wachsen. Wenn mir das nicht in den Kram passt, habe ich nur begrenzte Chancen, meine Vorstellungen da einzubringen. Ich erkenne: Wenn ich eine Efeuranke weiter kürze, als sie bis zum nächsten Mal nachwachsen kann, dann wird sie bestimmte Regionen nicht erreichen. Ich muss nicht alles ausrotten! Der Efeu wächst aber eben auch nicht jedes Jahr gleich schnell und wechselt dabei manchmal überraschend seine Rank-Richtung.

Die andere Erkenntnis meines Tages ist: Sobald man irgendetwas gemacht hat, sieht man die Dinge, die man nicht gemacht hat, umso deutlicher.

Als Gitti mich fragt, wie es bei mir aussieht, rufe ich ihr, zwischen den Gewächsen kauernd, nur zu: „Das hier ist echt Wucher!“

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Tom

    Hallo,

    es ist wirklich Zeit, daß Ihr und euer Hochdruckreiniger mal bei uns zu Besucht kommt. Unsere Terrasse hat so eine liebevolle Zuwendung und Umzugshilfe in Richtung Biotonne auch nötig.

    Spaß beiseite, unser Löwenzahn ist ja vom Unkraut zum hochwillkommenen Futter für die Schildkröten mutiert – auch eine Überlegung: Wie schnell wird aus einem „Un“kraut ein Kraut, was macht den Unterschied aus, und wer entscheidet das eigentlich, was nun „Un“ ist und das nicht und nach welchen Gesichtspunkten? Bei uns sind das hauptsächlich ästhetische und locative Aspekte: Was nett aussieht, nicht mitten auf der Terrasse oder auch sonst im Weg wächst oder nicht giftig für die Schildbürger ist, darf wachsen, der Rest zieht eben um in die grüne Tonne.

    Hoffentlich können wir heute das neue Schildkrötengehege ertigstellen und dann habt Ihr wirklich was zum Ansehen, wenn Ihr mal wieder in der Region seit.

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