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Das Kissen quiekt

Mit Strohbesen, Kehrschaufel und Handfeger bewaffnet trete ich hinaus in die kühle Luft. Vor unserem Hauseingang steht ein Nadelbaum, irgendetwas Immergrünes. Der Baum lässt kleine rote Beeren regnen, wann immer es ihm gefällt. Diese Beeren passen wunderbar in die Ritzen von Schuhsohlen. Sie platzen leicht und kleben hervorragend – an allem, außer an der Fußmatte! Die Rechnung ist einfach: Keine Beeren auf dem Weg ins Haus bedeutet keine Beeren im Haus, auf der Treppe, im Flur, auf irgendeinem Teppich. Putzen ist für mich ein notwendiges Übel, draußen fegen gehört auch nicht zu meinen Leidenschaften. Und doch: Ich nehme den Kampf auf und verwandle mich kurz in den geplagten Sisyphos, dem ich mich gerade so nah fühle.

Stumpfes Fegen mag meditativ sein. Ich bin ganz Besen und das regelmäßige Geräusch des Fegens lullt mich ein… stelle ich mir jedenfalls einfach mal so vor. Einen Versuch ist es wert, also los: Der Atem fließt leicht durch meine Nase in mich hinein, strömt wohlig durch die Lungen in den Leib, füllt mich ganz aus und verleiht mir wohltuende Kraft und Herzenswärme. Ich lenke den Atem bewusst weiter. Bald verlässt er über die Innenflächen der Hände meinen Körper in den Stiel des Besens und… bläst die scheiß Beeren weg, wird‘s bald! Nein, es wird nicht. Das kleine rote Ding zu meinen Füßen ist gerade von der Einfassung des den Baum umgebenden Beetes zurückgeprallt, dann wieder auf mich zu gekullert und grinst mich nun frech an. Unverschämt!!

Ich muss mich sammeln. Ein zweiter Versuch gelingt schon besser. Von Besenstreich zu Besenstreich gelingt es mehr, mich in einen Zustand zu atmen, in dem es nur noch den Besen und mich gibt, eins geworden in der pendelnden Bewegung, frei von jedem Gedanken an die Sinnhaftigkeit des Fegens an sich.

„Guten Morgen!“, flötet unsere Nachbarin von gegenüber und entreißt mich meiner Meditation. Normalerweise winkt sie dazu fröhlich mit dem Arm herüber, aber winken kann sie gerade nicht, denn auf ihrem Arm thront ihr Hund. Ein noch junges Tier mit weißem Fell, die Hundeohren wippen bei jedem Schritt der Hundemama auf und ab. Ich winke und grüße zurück. Sie sieht meinen prüfenden Blick, der nach Anzeichen dafür sucht, warum es dem Tier vielleicht nicht so gut geht. Die Nachbarin presst ihre Wange an die Fellschnauze und schaukelt das Tier glücklich hin und her. Wäre ich der Hund, müsste ich mich ob des Geschaukels wohl bald übergeben.

Dem Tier geht es gut, erfahre ich. „Aber er ist ja noch so klein“, lässt mich die Hundemama wissen. Ich schätze den weißen Fellhaufen auf knapp zwanzig Kilo und bewundere die Leichtigkeit, mit der die Nachbarin ihn trägt. Der Spaziergang ist für das kleine Wesen zu lang oder zu langweilig. Verlässt die Lust das Tier, so bleibt es stehen oder setzt sich einfach hin. Und dann trägt sie es halt nach Hause. „Wie lange gehören Sie dem Hund schon?“, frage ich. Zum Glück hat sie Humor und lacht. Sie trägt das Fell jetzt heim, und ich werde wieder eins mit meinen Gerätschaften.

Am nächsten Tag sehe ich schon von weitem den Schwiegersohn der Nachbarin, wie er die Straße herunterkommt. Mit jedem Schritt wippen die Hundeohren auf seinem Arm. Klar, wer da der Chef ist!

Dem Abend dämmert es, dem Nachbarn gegenüber spontan auch, und das geht so: Gitti und ich drehen draußen noch eine Runde und kommen am Balkon des Nachbarn vorbei. Er ist immer freundlich und der Mann der Hundemama. Einen großen Teil des Tages verbringt unser Nachbar auf seinem Balkon, dort grillt er, raucht, trinkt Kaffee, daddelt auf dem Handy oder sitzt einfach nur da. Als wir vorbeikommen, steckt er sich gerade eine Zigarette an, schlägt den Kragen hoch und winkt herüber. Kurz sortiert er sich und seine Zutaten, also den Ascher, das Feuerzeug, die Zeitung und den Kaffeebecher. Dann lässt sich auf seinen Balkonstuhl fallen, auf dem ein großes weißes Kissen liegt.

Das Kissen quiekt, der Nachbar fährt wieder hoch, verschüttet vor Schreck seinen Kaffee, und die Hundemama stürmt auf den Balkon, um zu sehen, welches Leid dem kleinen Tier wohl widerfahren sein mag. Das Quieken endet jäh, wird von Begrüßungsgebell abgelöst, und wir lernen: quieken und vor Freude mit dem Schwanz wedeln, um die Hundemama zu begrüßen, das geht nicht zugleich, da muss sich das Fellbündel schon entscheiden.

„Ich will kein quiekendes Kissen“, flüstert Gitti mir zu.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Mauro und Gianna

    Danke, wieder herzlich gelacht!
    Das neue Kehr Yoga hört sich echt cool an; einatmen, Atem weiterleiten, ausatmen über die Hand-Innenflächen, meditieren, wow……
    Und das ganze draußen, an der frischen Luft….
    ….und, und, und Nachbarin, Nachbar, Hund……
    Was willst du mehr?

    Bravo👏🏻😀

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