You are currently viewing Das kleine Funkeln

Das kleine Funkeln

Vielleicht liegt es an der Jahreszeit, vielleicht auch an den Umständen, jedenfalls ist es still, und wir wollen es gerade alle gar nicht mehr so still. Wir sind genervt, schlimmer noch, viele um mich herum haben regelrecht den Blues. Kein Wunder, das Jahr ist ja auch kompliziert. Wir wollen Hoffnung und schöne Aussichten! Wo bleibt eigentlich das kleine Funkeln?

Ich will das kleine Funkeln feiern! Den Lichtblick, der den Weg in eine tolle Zeit ankündigt.

Apropos Zeit: Es ist spät im Jahr, in einer guten Woche fängt ein neues an. Nur so zum Spaß rechne ich das ganze Jahr mal auf 24 Stunden um, als wäre es nur einen einzigen Tag lang. Wie spät ist es dann heute? Ich klimpere ein wenig auf dem Taschenrechner rum, mein Ergebnis: es ist zwischen 23:24 Uhr und 23:28 Uhr.

Wer unbedingt nachrechnen möchte: 2020 ist ein Schaltjahr und hat 366 Tage. Mit „heute“ meine ich den Tag, an dem ich diese Geschichte veröffentliche, also den 23.12.2020 und damit den 358.Tag. Jeder Tag dauert dieses Jahr 24h/366x60min/h= 3,9344min, also rund 4 Minuten. Mit heute bleiben 9 Tage bis Neujahr, ab morgen nur noch 8, die kann man dann mit 4 Minuten malnehmen und von 24 Uhr einfach abziehen. Oder so: Heute um Mitternacht waren 357/366×24=23,41 Stunden rum.

Egal wie, es ist also spät im Jahr, aber noch nicht zu spät. Zu spät fängt nämlich erst bei 5 vor 12 an! Immer!!

Hm, wenn ich jemandem entgegenwerfe: „Es ist 5 vor 12!“, was will ich dann eigentlich erreichen? Druck aufbauen will ich dann, genau! Wozu will ich das? Egal, jetzt bloß nicht ablenken lassen! Ich will also Druck aufbauen. Mein Gegenüber soll in Zeitnot geraten oder wenigstens ein schlechtes Gewissen bekommen, denn es ist ja dann schon fast zu spät. Und zwar egal wofür!

Im Sinne von 23:55 Uhr findet „5 vor 12“ dieses Jahr am 30.12. statt, rechne ich mir aus. Es ist also noch viel Zeit. Cool down! Ich entspanne mich.

„Oder ist ‚5 vor 12‘ etwa kurz vor High Noon, also 11:55 Uhr?“, fällt mir ein. „Wie im Western. Da geht es ja auch schon immer mittags zur Sache.“ Zack, jetzt bin ich nicht mehr gechillt, so ein Mist!

In meinem inneren Western weht der Wind einen Strohballen über die leeren, staubigen Straßen. Die Blechschilder an den Läden wackeln unheilvoll quietschend hin und her. Coole Helden reiten lässig in die Stadt, eine Gruppe von Norden her, eine andere kommt aus südlicher Richtung. Sie binden die Pferde an und suchen anschließend Streit. Immerhin nur miteinander. Versprengte Bürger bringen ihre Kinder und sich in Sicherheit, dann kommt es zum Showdown. In meinen Ohren dröhnt die passende Musik. Vor stahlblauem Himmel ziehen die Cowboys ihre Colts und…

Verloren hat am Schluss der, der als letzter vom Vordach des Gebäudes gegenüber gefallen ist und nun nass im Wassertrog liegt. Wahrscheinlich läuft die Show bereits am Mittag, damit die harten Jungs danach noch ausreichend viel Zeit im Saloon verbringen können. Mit prahlen, Whiskey und Bier trinken und den Frauen imponieren. Draußen warten derweil ihre Pferde geduldig darauf, dass jemand die betrunkenen Reiter über den Sattel legt. Die treuen Gäule bringen die Helden dann sicher heim.

Abrupt löse ich mich von meinem inneren Film. „Nein, das kann und darf nicht sein! 5 vor 12 ist es erst kurz vor Mitternacht!“, beschließe ich. „Sonst wäre ja schon seit dem 30.06.2020 quasi alles zu spät! Seit fast einem halben Jahr!!“ Ich spüre, wie mich diese Zeitangabe auch ohne konkretes Szenario unter Druck bringt. Wie bin ich jetzt da wieder reingeraten?!?

Und was wollte ich eigentlich heute? Ach ja, ich wollte das kleine Funkeln feiern!! Das erste Anzeichen für den nächsten Lichtblick, den Wink, dass es weitergeht. Wenn ich irgendwo das kleine Funkeln entdecke, weiß ich, dass die Hoffnung nicht zuletzt stirbt. Ich weiß dann wieder, dass sich Hoffnung lohnt, und zwar immer! Egal, wie spät es ist.

Also los, die Feier beginnt! Den letzten Lichtblick gab es gestern, denn: Seit dem 22. Dezember werden die Tage wieder länger, also ist es wieder länger hell als dunkel. Ein Lob und Dank an die Wintersonnenwende, zumindest stellvertretend für alle, die dem Sonnenlicht eher zugetan sind! Na, geht doch. Und der nächste Lichtblick steht kurz vor der Tür: Weihnachten. Okay, vielleicht nicht ganz so, wie es sich die Menschen wünschen, weil ja draußen vor der Tür nicht nur der Weihnachtsmann steht, sondern auch die blöde Pandemie…

Mein Freund Tom hat übrigens neulich überlegt, ob man dieses Jahr eine „normale“ Krippe aufbauen kann oder ob es sich geziemt, dabei die zuletzt so strengen Regeln zum Thema „Kontaktbeschränkung“ einzuhalten. Er hat mir vorgerechnet, was das für ein Aufwand ist und überlegt, wie er nun herausfinden könnte, aus wie vielen Haushalten alle aufzustellenden Figuren stammen: Jesus, Maria und Josef, das sind ja schon drei Leute aus einem Haushalt. Tom veranschlagte mindestens zwei Hirten. Meine Vermutung war und ist, dass sich die Anzahl der Hirten nach dem Zustand der Figuren richtet, die er noch aus dem Keller holen muss, aber wir sind damit bei fünf Leuten oder mehr gelandet.

„Wer teilt sich da eigentlich gemeinsam in Eurem Keller eine Schachtel?“, wollte ich wissen. Wir vereinbarten, jeweils eine Schachtel als einen Haushalt zu zählen. Es ging weiter: Drei Weise, unverhandelbar! Tom weiß, dass die Weisen alle eine eigene Schachtel haben, darauf hat seine Frau letztes Jahr bestanden. Natürlich ausdrücklich und nur zum Schutz der Weisen! Das macht mindestens acht Leute aus mindestens fünf Schachteln!

„Müssen die drei Weisen unbedingt zusammen ankommen? Die sprengen ja alleine schon alle Regeln!“ Tom hatte eine Idee: „Abstand, Markierungsband, Einbahnstraßensystem, Zettel für die Kontaktnachverfolgung! Die gehen dann, falls nötig an Herodes. Vielleicht bastelt noch jemand Masken und kleine Spender für Desinfektionsmittel.“ Ich glaubte nicht, dass er damit zu Hause durchkommt und fragte lieber: „Wollt Ihr nicht einfach in Urlaub fahren?“ Ups, das geht ja auch nicht einfach so. Außerdem dämmerte uns, dass man sich jetzt ja nicht mit allen nacheinander treffen soll, also heute zehn und morgen andere zehn und übermorgen wieder…

„Kannst Du nicht einfach jetzt schon mal die Figuren im Keller in einem WG-Karton zusammenziehen lassen?“ Wir identifizierten noch ein weiteres Problem: Vielleicht gilt dann noch das Beherbergungsverbot. Unsere Lösung: Na gut, dann machen eben alle die Nächte durch. Das wird eine Sause!

Ich muss Tom mal fragen, wie er das umgesetzt hat. Gitti und ich bleiben einfach zu Hause.

Wir brauchen alle ein kleines Funkeln! Vorhin habe ich noch eins im Spiegel gesehen. Es hat mir aus meinem Augenwinkel zugezwinkert und ein kleines Lächeln auf mein Gesicht gezaubert. Wer weiß, vielleicht gibt es in Deinem Spiegel auch ein kleines Funkeln – guck doch mal nach!

Dieser Beitrag hat 3 Kommentare

  1. Tom

    Wir haben eine Lösung gefunden, aber die verrate ich Euch erst nach Weihnachten….

  2. Mauro und Gianna

    Einfach nur schön, deine Geschichte 🤩🤩
    DANKE dafür, und wir bleiben auch zu Hause, und müssen nicht nach komplizierten Lösungen suchen!

    Schöne Weihnachten 🎄Gitti und Dir ✨💫

  3. Tom

    So, hier meine Lösung:

    Wir haben einfach zweimal täglich gewechselt, immer streng nach den Vorgaben an meinem Wohnort. Nur das eine Schaf musste immer auf der Krippe stehen, wann immer wir es weg gestellt haben, hat es Tamchen schwupps wieder auf die Krippe gestellt.

Schreibe einen Kommentar