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Das Schnippchen

Wir besuchen die Landesgartenschau. Beim ausgedehnten Spaziergang durchs schön angelegte Gelände entdeckt Gitti eine Bank. Eigentlich stehen da überall Bänke herum, aber diese eine soll es sein, auf genau dieser mag Gitti nun Platz nehmen. Jetzt! Die magische Anziehungskraft der Sitzgelegenheit spiegelt sich auf Gittis Gesicht wider. Schnellen Schrittes wird die Bank erobert. Freudig und zufrieden zugleich lässt Gitti sich nieder.

Vor der Bank und sowohl links als auch rechts neben dem Platz, den Gitti gewählt hat ist jeweils ein kleines Gerät installiert. Dessen Aufbau: Auf einem Fuß thront eine Trommel und die ist links und rechts mit Pedalen ausgestattet. Die Gestalter der Gartenschau laden so zum bewegten Innehalten ein. Eigentlich mag Gitti ja hier ausruhen, also nur innehalten! Vielleicht noch in die Gegend gucken, aber ansonsten eben innehalten. Ruhe im Sinne von Ausruhen trifft den Zweck der Geräte eher nicht. Unsere Neugierde ist dennoch geweckt.

Gitti entscheidet sich, eines der Dinger mal auszuprobieren. Sie wechselt den Platz, stellt die Füße auf die Pedale und beginnt zu treten. Ein leises Surren begleitet die gleichmäßige Bewegung. Irgendwann fällt Gitti ein, ihr Smartphone zu zücken. Sie tritt und guckt, dann legt sie das Smartphone auf dem rechten Oberschenkel ab. Dort muss sie es natürlich festhalten, sonst würde es herunterfallen. Das Surren geht weiter, es lullt mich geradezu ein.

Und dann hört das Geräusch abrupt auf. Gitti hält inne, die Füße immer noch auf den Pedalen. Gekonnt wischt sie auf ihrem Display herum, dann triumphiert sie: „Das zählt auch!“

Es dauert eine Weile, bis ich begreife, worum es geht. Gitti bewegt sich nicht mehr. Sehr zufrieden mit sich und der Welt genießt sie, ihrem smarten Begleiter soeben ein Schnippchen geschlagen zu haben. In ihren Augen kann ich deutlich lesen, dass sie der Schrittzähler-App haufenweise Schritte und so mindestens einen angeblich selbst gelaufenen Kilometer vorgegaukelt hat.

Ich bin beeindruckt. Gitti hat sich das echt mühsam erarbeitet. Für mich steht fest, dass solche Schritte auf jeden Fall mitzählen müssen. Gut, dass sie in ihrer App nicht die Einstellung gewählt hat, der die Zahl der Schritte schnuppe ist. Solch eine Einstellung hätte sich nämlich nur auf Geodaten bezogen und daraus Gittis Strecken berechnet. Alles wäre umsonst gewesen, nicht auszudenken! Mein Smartphone kennt solche Apps nicht, und das bleibt mindestens mittelfristig auch so!!

Wir schlendern weiter, bestaunen die vielen Pflanzen und genießen die friedliche Atmosphäre.

Später am Abend, zu Hause auf dem Sofa: Gitti sitzt gemütlich da, sie hat die Füße hochgelegt und genießt sichtlich die Entspannung. Auf einmal reckt sie ihren Arm in die Luft. Dann schwenkt sie den ausgestreckten Arm hin und her, als wolle sie mir aus der Ferne zuwinken und sicherstellen, dass ich das auch aus sehr großer Entfernung noch erkennen kann. Eine wirklich groß angelegte Geste. Ihr Smartphone hält Gitti dabei fest in der Hand. Leise zählt sie mit. Dann kontrolliert sie das Ergebnis, lacht wie befreit auf und ruft: „Jetzt ist der letzte Kilometer voll! Super, Feierabend!!!“

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Tom

    Wir hatten von meinem Arbeitgeber mal eine ähnliche Aktion: Jeder Mitarbeiter erhielt einen Schrittzähler und man sollte die so ermittelten Schritte sowie analoge Werte fürs Radfahren oder schwimmen eingeben. In Teams traten wir gegeneinander an und es gab Pokale für das Erreichen bestimmter Ziele.

    Ach da gab es viele Leute, die in den damals noch vor Ort stattfindenden Terminen ihre Schrittzähler in der Hand hielten und mit mehr oder weniger wirren gesten für ein stetiges „Vorankommen“ ihres jeweiligen Teams sorgten.

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