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Der Backkurs

Am Ende des Tages wird vielleicht etwas gebacken sein!

Nach Feierabend fahre ich zur Zinßer-Mühle nach Hochdorf. Am heutigen Donnerstag findet dort ein Backkurs zum Thema Brot, Brötchen & Co statt. Vor längerer Zeit schon habe ich meine Teilnahme angemeldet. Jetzt empfinde ich vorsichtige Vorfreude, denn bislang würde niemand Backfee zu mir sagen. Was mit sehr heißen Öfen zu tun hat, fällt in Gittis Ressort, und die ist schon sehr gespannt auf die Rezepte. Ich soll gut aufpassen, schärft sie mir noch ein. Gitti ist heute nicht dabei, diesen Abend werde ich zusammen mit ein paar Kollegen und anderen Leuten verbringen, die ich noch nicht kenne.

Den Straßenverkehr habe ich total unterschätzt. Vor lauter Homeoffice bekomme ich vom Berufsverkehr meistens gar nichts mehr mit und empfinde das als sehr entspannend. Wo wollen bloß die vielen Menschen hin? Der Blechlawine endlich entkommen, bin ich zum Glück nur wenige Minuten zu spät dran, aber eben zu spät. Na toll! Zur Begrüßung jedoch gibt es sofort ein Gläschen Sekt, ein warmes Hallo und Prost von allen Seiten, und so ist die Schmach des Zu-spät-Kommens schnell vergessen. Vermutlich habe ich nur die Vorstellungsrunde verpasst.

Zuallererst lerne ich: Schürzen nennt man hier Vorbinder. Wir kleiden uns ein und nehmen rituelle Waschungen an unseren Händen vor, um sowohl uns selbst als auch den anderen hygienisch einwandfrei zu begegnen.

An der Wand hängt eine alte Schiefertafel. Der gute Müllermeister hat dort bereits notiert, was wir heute alles backen werden. Ich zähle sieben Begriffe und stelle mich auf einen längeren Abend ein.

Umringt von uns tatendurstigen Teilnehmern setzt der backkundige Müller einen Sauerteig an und bereitet uns auf die handwerklichen Griffe vor, die wir später auch selbst anwenden dürfen. Ist er jetzt Müller oder Bäcker oder beides? Ich habe es mir nicht gemerkt, mir ist das gerade auch völlig egal, denn: Der Mann ist nett, weiß ganz offensichtlich, was er tut und hat unser aller Vertrauen längst gewonnen.

Die Kultur für den Sauerteig ist übrigens eine recht heikle Angelegenheit, so bestätigen es auch einige der anderen Kursteilnehmer mit wissendem Kopfnicken. Sie enthält Milchsäurebakterien, die sich bilden, wenn man Mehl und Wasser eine Weile miteinander alleine lässt. Die Kultur muss jedoch regelmäßig gepflegt und mit weiterem Mehl und Wasser „gefüttert“ werden. Solch eine Kultur kann man aber auch einfach portionsweise käuflich erwerben, beispielsweise hier im Mühlenladen.

Neulich hat mir jemand davon berichtet, dass es in der Schweiz ein Sauerteighotel gibt. Möchte man selbst in Urlaub fahren, so kann man seine Sauerteigkultur zusammen mit etwas Mehl im Sauerteighotel einchecken. Dort verbringt der Sauerteigansatz dann seinen eigenen Wellness-Urlaub. Vor meinem geistigen Auge entsteht sofort eine dramatische Abschiedsszene. Sie spielt in der Lobby des Sauerteighotels. Ansatz und Hobbybäckerin trennen sich schweren Herzens für geschlagene drei Wochen voneinander. Ein uniformierter Page trägt den Liebling mit seinem Gepäck, also den kultivierten Sauerteigansatz und das Mehl davon und zeigt ihm sein Zimmer. Die Hobbybäckerin winkt ihm mit einem blütenweißen Taschentuch nach, dann tupft sie sich mit bebenden Lippen ein Tränchen aus dem traurigen Gesicht. Wird ihr Liebling überleben? Geht es ihm hier auch wirklich gut? Oder werden gar Streit und Futterneid unter den Sauerteigen ausbrechen? Ich bin echt froh, dass dieses Problem nicht zu den meinen zählt.

Zurück zum Kurs. Wir widmen uns gerade dem Einfachbackrezept. Es geht darum, das passende Gefühl für einen tollen Hefeteig zu entwickeln. Auf ein Pfund Mehl kommen zunächst 250 ml Wasser, 21 g Hefe und 10 g Salz. Einundzwanzig Gramm, das entspricht einem halben handelsüblichen Hefeklotz. Ich habe mal irgendwo gehört, dass unsere Seele ebenfalls 21 g wiegt. Wir kneten und mischen nach und nach weiteres Wasser unter. Nach jedem Schluck Wasser frage ich mich, ob das jetzt nicht doch zu viel war, vor allem, weil wir keinesfalls weiteres Mehl hinzugeben sollen. Mit der Zeit werden wir mutiger. Der Teig arbeitet, nimmt das hinzugefügte Wasser und die Luft auf, die wir unterschlagen. Zwischen Teig und Teilnehmern entsteht eine zunehmend innig anmutende Beziehung. Der Teig soll an seine Sättigungsgrenze gebracht werden. Die dazu erforderliche Menge Wasser lässt sich nicht im Vorhinein beziffern. Mehl, Hefe und Umgebungsbedingungen variieren immer etwas.

Der Bäckermeister hilft uns geduldig dabei, das nötige Gespür zu entwickeln. Zum Schluss wiege ich meinen Teig, ziehe das Startgewicht der anderen Zutaten ab und weiß: Heute waren es insgesamt 360 ml Wasser, die mein Hefeteig aufgenommen hat.

An diesem Abend wird selbstverständlich nicht nur gearbeitet. Wir machen Späße und natürlich essen wir auch immer wieder fleißig. Was heute hier gebacken wird, wird auch probiert! Neben Brot und Brötchen gibt es Flammkuchen, Brezeln, Butterzopf … Mein Ranzen spannt! Hmmm, lecker!!

Voll der guten Sachen, bestens versorgt mit Anregungen und Tipps und mit einer Tüte voller duftender, leckerer Backwerke rolle ich zum Schluss nach Hause.

Es ist 0:45 Uhr. Gitti erwartet mich schon. Sie fragt, wie es war und will Details erfahren. „Der Bäcker hat gesagt, wir können das Nudelholz in den Flur legen, da hilft es mehr als in der Küche. Mit dem Nudelholz walkt man nämlich nur die ganze Luft wieder aus dem Teig heraus, die man so liebevoll hineingeschlagen hat!“, antworte ich. Gitti schnappt sich die Tüte und beißt als erstes in eine kleine Laugenbrezel. Sie lobt mein Brot. Es ist schön geformt, sieht appetitlich aus – und vor allem duftet es so gut. Das Brot wird es morgen zum Frühstück geben. Insgeheim hofft Gitti natürlich darauf, dass ich die neu erworbenen Kenntnisse bald auch zu Hause zur Anwendung bringe.

Um 5:25 klingelt der Wecker. Pfff.

Mit zunächst noch kleinen Augen widme ich mich alsbald meiner Arbeit. Wer Feste feiern kann, der kann auch feste arbeiten!

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Tom

    Guten Morgen.

    Miri und 5:25 Uhr morgens schließen sich in meiner Vorstellung irgendwie gegenseitig aus. Irgendwie sehe ich keine Bäckerkarriere vor Die, denn da muss man im Zweifel noch früher aus den Federn.

  2. Mauro und Gianna

    Danke für die tolle Story und dafür, dass du uns in deinen Backkurs mit deiner Geschichte mitgenommen hast!
    Wir können das Gebackene gerade riechen und sind sehr gespannt auf deine Künste zuhause!

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