Das Wetter ist schön, es lockt Gitti und mich in die Stadt. Ein kleiner Einkaufsbummel steht an. Mal abgesehen von Jeans unterliegt das Angebot von Kleidung ja sehr strengen saisonalen Vorgaben. Ich muss mir gar nicht erst einbilden, zu jeder Zeit sommerliche Hosen oder dicke Winterpullover erstehen zu können. Die Ärmellängen der Blusen passen nur selten zu den draußen vorherrschenden Temperaturen. Deshalb muss ich azyklisch einkaufen, also zu Zeiten, zu denen ich die Ware gar nicht tragen möchte. Mit mäßigem Erfolg übe ich mich seit Jahren darin, meine Einkaufswünsche dem aktuellen Angebot anzupassen. Heute aber passt alles zusammen, und so erfreut mich das feilgebotene Sortiment sehr. So warm, wie es gerade draußen ist, könnte ich die luftigen Sachen sofort tragen.
Gitti und ich geben uns einem durchaus erfolgreichen Einkaufsbummel hin. In der Warteschlange vor der Kasse muss ich noch eine ältere Dame aufmuntern. Sie schimpft, dass zu wenig Personal verfügbar ist und gefühlt nichts vorangeht. Ganz vorne auf meiner Zunge liegt: „Meine gute Laune verdirbst Du mir nicht!“
Natürlich reiße ich mich zusammen. Ich drücke stattdessen meine Freude über das schöne Wetter aus. Sie quittiert das postwendend mit der Bemerkung, dass Regen dringend erforderlich wäre. Und wenn es dann endlich regnete, dann wäre sie vermutlich auch nicht zufrieden, unterstelle ich mutig. Nachts wäre es ihr egal, beteuert sie daraufhin und wagt dabei zumindest die Andeutung eines Lächelns. Ich schlage vor, dass wir uns jetzt einfach etwas wünschen. Ungläubig schüttelt sie fast unmerklich ihren Kopf.
Es vergeht eine halbe Minute. Gitti hält derweil Ausschau nach einer Sitzgelegenheit, findet aber keine.
Dann taucht an der Kasse, und zwar wie aus dem Nichts heraus, eine weitere Kassiererin auf. „Sehen Sie, das hat doch schon mal geklappt!“, sage ich zu der älteren Dame. Ein kleines Teufelchen reitet mich. Deshalb füge ich noch hinzu: „Und der Regen wird morgen Abend geliefert.“
Endlich muss sie doch ein bisschen kichern. Tatsächlich geht es jetzt gut voran. Nach Abwicklung der üblichen Aktivitäten, die mit Abschluss eines jeden Kaufvertrages verbunden sind, streben Gitti und ich wieder ins Freie. Wir schlendern noch eine Weile durch die Stadt.
Zu gerne würden wir jetzt einkehren, um etwas zu trinken, aber auf keiner der bewirtschafteten Außenterrassen finden wir einen freien Platz. Na gut, dann fahren wir halt nach Hause und gehen bei uns im Ort zum Biergarten.
Auch der Biergarten ist gut gefüllt, aber Gitti und ich ergattern einen schönen Platz. Zuerst widmen wir uns kühlen Getränken. „Die haben wir uns wirklich verdient!“, befindet Gitti mit Blick auf all die Schritte, die ihr Smartphone mitgezählt hat – und es werden später auf dem restlichen Weg nach Hause noch ein paar Schritte hinzukommen.
Das bunte Treiben tut uns gut. Familien, Pärchen sowie weitere kleinere und größere Grüppchen von Leuten haben sich eingefunden, um die frisch eröffnete Biergartensaison mit einzuläuten. Draußen zu sitzen und frisch gezapftes Nass die Kehle hinunterlaufen zu lassen, ja, das ist doch einfach herrlich!
Kleine Menschen lernen um uns herum von und mit ihren Eltern. Eines der Kinder versteht nicht, wieso es keine Steine auflesen und essen soll. Des Kindes Alternativangebot besteht offensichtlich darin, weitere Steine aufzulesen und dann in der Gegend herumzuwerfen. Es wird ausgeschimpft und knatscht wütend. Knatschen zieht unweigerlich eine Strafe nach sich. Die besteht darin, die Mutter nicht weiter begleiten zu dürfen und am Tisch in der Obhut des Vaters warten zu sollen. Aus der Kinderkehle klingen für kurze Zeit höherfrequente Laute.
Alle Beteiligten beruhigen sich wieder. Mutter und Kind zotteln sodann Hand in Hand in Richtung Selbstbedienungsareal ab. Der geschlossene Frieden scheint zumindest eine Weile lang anzuhalten.
Ich gönne mir noch einen Schluck und ziehe dann los, um für uns eine Portion Pommes Frites zu erstehen. In unserem Biergarten läuft das so: An der Theke lässt Du Dir Getränke ausschenken. Falls Du Hunger oder Appetit hast, wählst Du aus dem Speisenangebot etwas aus und tust Deinen Wunsch beim Bezahlvorgang an der Kasse kund. Dort erhältst Du einen Pager, der Krach macht, sobald Dein Essen abholbereit an der Essensausgabe steht.
Zu meiner Überraschung reicht mir der Mitarbeiter an der Kasse außer dem Pager wortlos ein Tütchen Mayonnaise. Geistesgegenwärtig frage ich ihn, ob es die nicht mehr an der Essensausgabe gibt. Er bedauert, dass sich während der letzten Saison zu viele der Kunden mit größeren Mengen an Tütchen eingedeckt haben. Empört führt er aus, ich solle mir einmal vorstellen, dass es darunter Leute gab, die sogar zwanzig Tütchen für eine einzige Portion Pommes Frites mitnahmen. Deshalb sieht der Wirt sich nun gezwungen, einzugreifen. Das verstehe ich durchaus. Leider gibt es jetzt für eine große Portion nur ein kleines Tütchen, es sei denn, man ersteht gegen Geld beispielsweise noch ein zusätzliches Ketchup-Tütchen. Der aufgerufene Tütchenpreis macht dessen Inhalt zur Apothekerware. Ich hoffe, der Wirt überdenkt sein Konzept noch einmal.
Früher gab es hier an der Essensausgabe große Spender, aus denen man Mayonnaise, Ketchup und Senf portionsweise auf seinen Teller geben konnte. Ob diese einfache Lösung wohl irgendwann durch neue Hygienevorschriften verunmöglicht wurde? Vor meinem geistigen Auge türmt sich für einen kurzen Moment ein riesiger Haufen auf, bestehend aus klebrigem Verpackungsmüll. Der randalierende Pager reißt mich aus der bildlichen Vorstellung heraus und bringt mich zurück ins Hier und Jetzt. Ich hole die Portion Pommes Frites ab und kehre damit zu Gitti zurück.
Gemeinsam betrauern wir die Gier der Menschen, die des Wirtes Großzügigkeit zerstört hat. Gitti möchte wissen, welche Speisen sonst noch angeboten werden. Wir ziehen die Karte zu Rate. Dort finden wir eine weitere Antwort des Wirtes. Und die gilt den Kindern, die müde quengelnd das Leben ihrer Eltern erschweren. Die Karte unseres Biergartenwirtes enthält nämlich eine Rubrik mit Speisen für Kinder. Unter der Überschrift „fürs Kindergöschle“ stehen zur Auswahl: „Ich weiß nicht“, „Irgendwas“, „Ist mir egal“, „Hab keinen Hunger“, „Kids Bowl“ und „Ich will heim“. Passend zum Schwabenländle verbirgt sich unter dem letzten Titel der regionale Klassiker „Spätzle mit Rahmsoße“.
Versöhnt stoßen wir auf den Wirt an. Dann wird es Zeit, den Heimweg anzutreten.