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Die leidige Anleitung

Gitti hat einen neuen Satz FFP2-Masken besorgt. Bevor wir das Haus verlassen, schnappe ich mir eines der Tütchen. Und dann halte ich erstmal wieder den Laden auf, denn mein Blick bleibt am Tütchen kleben. Vor allem an dem Text, der das Tütchen ziert.

Ich lese gerne, manchmal auch Bedienungsanleitungen. Denn: Sie verstopfen zwar Schränke oder Regale, aber sie sind oftmals aufwändig hergestellt und werden viel zu selten gelesen und gewürdigt. Schade eigentlich! Diese Dokumente bergen so viele lustige Überraschungen!

Ich entdecke die Überraschung auf dem FFP2-Tütchen. Es gibt die Sprachversionen Englisch, Deutsch, Französisch, Niederländisch, Italienisch und Spanisch. Neben der schwarz-rot-goldenen Flagge lese ich die Überschrift „Beachten Sie“, gefolgt von vier Anweisungen. Die erste klingt noch gut, bei der zweiten muss ich schon kichern. Gitti kommt vorbei und macht mir klar, dass wir uns jetzt sputen müssen, schließlich sind wir mit Gianna und Mauro verabredet. Seufzend stecke ich das Tütchen ein und wir machen uns auf den Weg.

Wir kommen zu spät und ich bin schuld. Ich werde es wiedergutmachen, schließlich habe ich das Tütchen! Ich freue mich schon darauf, die anderen an meiner Freude über die Anweisungen teilhaben zu lassen und warte geduldig auf den richtigen Moment. Wir drehen eine Runde um den See. Die Sonne kitzelt unsere Haut und wärmt die Seelen. Die ersten Vorboten des Frühlings machen offensichtlich auch den Gänsen Spaß, die überall herumlaufen und schnattern. Sie sind ganz schön neugierig, beinahe zutraulich. Gianna warnt uns vor den scharfen Schnäbeln der Gänse, die eigentlich nur darauf aus sind, von uns gefüttert zu werden. Wir haben in dieser Hinsicht weder Pläne noch Futter dabei. Enttäuscht wenden sich die Gänse zuerst anderen Menschen und dann wieder dem See zu.

Nach einer Weile steuern wir eine Bank an und lassen uns dort nieder. Das Gespräch dreht sich bald darum, ob und wie sich unsere Gesellschaft durch die Pandemie, unter der wir gerade leiden, verändern wird. Was wird in ein paar Jahren sein? Werden wir dauerhaft rücksichtsvoller miteinander umgehen? Oder fallen wir ganz schnell in alte Gewohnheiten zurück? Einiges machen wir dann sicher wieder so, wie früher. Gianna liefert mir die perfekte Vorlage für meinen Tütchen-Spaß, als sie sich und uns fragt, ob wir künftig auch ohne Verordnung auf Masken zurückgreifen werden. Zum Beispiel, wenn wir erste Anzeichen einer Erkältung verspüren. In Asien ist das ja seit Jahren schon ganz selbstverständlich.

Ich ziehe mein Tütchen aus der Tasche. „Guckt mal, Gitti hat neue Masken besorgt“, verkünde ich. „Habt Ihr schon mal gelesen, was da so alles auf den Verpackungen steht?“ Alle schütteln den Kopf, unausgesprochen steht in ihren Gesichtern ein „Wer macht denn sowas?!?“ Ich mache meinen Freunden klar, dass ich der Ansicht bin, dass sich die Mühe lohnt, besonders in diesem Fall.

Ich lese vor: „Erstens. Spreizen Sie die Maske, setzen Sie den Nasenclip auf die Maske auf.“ Soweit noch langweilig. Wir sind uns einig, dass der Nasenclip wahrscheinlich lose beiliegt. Ich fahre fort: „Zweitens. Halten Sie die Maske fest und fixieren Sie das Gesicht.“ Jetzt gerät Bewegung in meine Zuhörerschar. Über ihren Köpfen schweben kleine Fragezeichen. Mauro fragt: „Was soll ich?!?“ Gitti sagt trocken: „Du sollst Dein Gesicht fixieren!“ Ich weiß, es kommt noch doller, also mache ich weiter: „Drittens. Lassen Sie die Nasenmitte den Nasenrücken berühren und setzen Sie dann die Ohrschleife auf.“

Vor mir klappen drei Kinnladen herunter. Gitti bestellt bei Gianna für nächste Woche eine passende Yogaübung, in der wir lernen, wie sich die eigene Nasenmitte auf dem eigenen Nasenrücken ablegen lässt. Am besten noch die Nasenspitze auf dem Nasenrücken. Der Atem bringt Dich weiter, da geht doch bestimmt was, oder? Mauro überlegt, ob die Ohrschleife dann oben auf dem Kopf liegen soll, wie ein kleines Hütchen. Alle haben Bilder im Kopf.

Der Vollständigkeit halber schließe ich mit: „Viertens. Drücken Sie gleichzeitig beide Seiten der Maske unter das Kinn und legen Sie sie an.“ Es gibt auch noch vier kleine Zeichnungen zur Illustration, die sind etwas hilfreicher, aber nicht lustig.

Automatische Übersetzungen haben schon so manche Stilblüte hervorgebracht. Mauro fragt deshalb nach den anderen Sprachen. Abwechselnd lesen wir uns die fremdsprachigen Anweisungen vor. Diese Übersetzungen sind genauso lustig, wie die deutsche. Scheinbar ist die Sprache der ursprünglichen Anleitung auf meinem Tütchen nicht mit abgedruckt. Chinesisch vielleicht? Wir wissen es nicht.

Wer hat nicht schon mal von der Firma Winzigweich gelesen, die uns so reich mit Software überschüttet hat? Oder vom Ziegelstein Seiltänzer-Leser, besser bekannt als Adobe Acrobat Reader? Das kommt davon, wenn man vergisst, alle Eigennamen in eine Art Sperrliste einzutragen, bevor man die automatische Übersetzung seines Textes anstößt!

Manchmal findet sich auch eine Passage, die aus einer Anleitung für ein ganz anderes Produkt stammt. Vor ein paar Jahren habe ich mal die für unseren Fernseher studiert. Ganz am Anfang hat sich das Unternehmen bei mir dafür bedankt, dass ich mich für den Kauf ihrer Kaffeemaschine entschieden habe. Der Rest der Anleitung bezog sich dann doch auf den Fernseher. Den einen Teil meines Problems konnte ich nur mit Hilfe der englischsprachigen Version lösen und den anderen mit dem bisschen Französich, an das ich mich noch erinnerte. Immerhin: Die leidige Anleitung hat geholfen.

Immer, wenn Gitti und ich mit dem Auto durch einen Tunnel fahren, drückt sie in ihrer Funktion als Klimabeauftragte auf einen Knopf, um die Luftzufuhr von außen zu unterbrechen. Diese Umluftfunktion finden wir prima, denn im Tunnel stinkt es uns zu sehr nach Abgasen. Bei meinem neuen Auto gibt es einen Knopf, der ungefähr an der gleichen Stelle sitzt, wie beim alten Auto. Wenn ich alleine bin, drücke ich den auch immer, wenn ich durch einen der vielen Tunnel fahre, die es hier so gibt. Gestern stand ich an der Ampel und habe ziellos umhergeschaut. Und dann habe ich mir das Piktogramm neben dem Umluftknopf mal genauer angesehen. Im Tunnel ist eher dunkel, aber hier an der Ampel hatte ich ja Zeit. Wenn ich nicht zu arrogant gewesen wäre, die Bedienungsanleitung zu lesen, dann hätten Gitti und ich wohl auch nicht bei jeder Tunnelfahrt das elektronische Stabilitätsprogramm ESP ausgeschaltet!

Dieser Beitrag hat 3 Kommentare

  1. Tom

    Hallo Miri, wie immer vielen Dank für das Lächeln, welches Du mir mal wieder mit einer deiner Schmunzelstories geschenkt hast – Ziel erreicht!

    Ich habe mich auch schon öfter über die Bedienungsanleitungen und deren Übersetzung amüsiert. Mein persönliches Highlight ist die Einführung bei der Montageanleitung für ein Fahrrad: Für die Montag von chinesischen Fahrrädern braucht man große Ruhe. Diese Einleitung war wirklich wichtig, denn was dann folgte hatte so wenig mit der Realität zu tun und hätte an einigen Stellen sicher eher zu einer Zerstörung als zu einer funktionsfähigen Montage geführt. Nur mit der anfangs beschworenen inneren Ruhe war es möglich, dem Geduldsschwachen Sohn ein brauchbares Ergebnis zu präsentieren.

    Viele Grüße an die Protagonisten!

    1. Miriam

      Hallo Tom,
      vielen Dank für dieses wunderbare Beispiel!
      Liebe Grüße

  2. Mauro und Gianna

    Zweimal herzlich gelacht!
    Einmal live mit Euch beiden als Teil des Geschehens,
    und nun beim Lesen. 😂😂
    Herzlichen Dank für beide Male🙏🏻🙏🏻
    Super erzählt!

    Liebe Grüße von uns beiden,
    und bis zum nächsten Mal!

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