Die Algarve hat viel mehr zu bieten als ihre berühmte Kalksteinküste. Heute schließen Gitti und ich uns einer kleinen Reisegruppe an. Zu siebt brechen wir in einem Minivan zu einer Tour auf, die uns zunächst ein Stück ins Landesinnere bringt, dann hinauf in die Berge, im Anschluss an den westlichsten Zipfel der Küste und von dort wieder zurück nach Lagos.
Unser Begleiter heißt Antonio, und er hat eine große Liebe zu Wildkräutern und überhaupt zu Pflanzen aller Art entwickelt. Wann immer er auf den schmalen Sträßchen an duftendem Grün vorbeikommt, hält er an, lässt sein Fenster herunter, pflückt etwas von dem ab, was da wächst und lässt es uns im Wageninneren herumreichen. Bald wissen wir gar nicht mehr, wohin mit all den Zweigen und Blättern. Am Abend sind alle Seitentaschen des Wagens gut begrünt. Lange Stängel mit Fenchelblüten zieren sogar den Fußraum. Die Wildkräuter essen wir bereitwillig auf. Dazu gehören Melisse, Salbei, Oregano und vieles mehr.
Eukalyptus eignet sich für uns Menschen nicht zum Verzehr. Man müsste schon die Darmflora eines Koalabären haben, um den Genuss größerer Mengen Eukalyptus ohne Vergiftungserscheinungen zu überleben. Im Gegensatz zu uns ernähren sich Koalas vorwiegend von Eukalyptus. Nicht, dass hier an der Algarve Koalas lebten. Aber man hat vor geraumer Zeit damit begonnen, schnell wachsende Eukalyptusbäume zu pflanzen, um sie für die Produktion von Papier und Eukalyptusöl zu nutzen. Die von Antonio extra für uns gepflückten Eukalyptusblätter liegen deshalb für den restlichen Tag in den Seitentaschen des Minivans.
Was für die Papierindustrie gut ist, zieht leider andere Probleme nach sich. So ein Eukalyptusbaum ist leicht entflammbar. Er wurzelt tief und raubt anderen Pflanzen mit der Zeit das Wasser.
Auf dem Weg zum Castelo de Silves sehen wir unglaublich viele Storchenfamilien. Sie nisten hier auf allem, was in die Luft ragt, wie zum Beispiel Strommasten, Straßenlaternen, Silos, alte Schornsteine, höher gelegene Häuserecken, Türme oder einfach Baumkronen. Im Winter ist es ihnen an der Algarve warm genug, deshalb bleiben die Störche gerne einfach hier und ziehen gar nicht erst weiter.
Das Castelo ist ein schmucker Veranstaltungsort mit einem liebevoll gestalteten Burghof, außerdem bietet es einen wunderbaren Rundumblick auf die üppige Landschaft. Der Respekt einflößende Hausherr, in Bronze gegossen, bewacht den Eingang der Burg. Er ist doppelt so groß wie ich und sein Schwert misst etwa meine Länge.
Bei Monchique erkunden wir einen beeindruckenden Naturpark mit Wasserquellen. Kastanien reifen in ihren leuchtend grünen, stacheligen Schalen. Wir bestaunen die riesigen Bäume, die hier wachsen, darunter violett blühende Feigenbäume, Erdbeerbäume, aus deren roten Früchten der bekannte Schnaps Medronho gebrannt wird und ehrwürdige Korkeichen, die ihre knorrigen Äste weit ausbreiten.
Wir besuchen einen Bauern, der uns Blütenpollen, Honig und Medronho probieren lässt. Dann geht es zum am höchsten gelegenen Aussichtspunkt der Algarve, dem Miradouro da Fóia. Auf 902 m Höhe schieben sich dichte Wolkenschwaden über die Kuppel des Berges. Ein Fernglas steht auf der Aussichtsplattform. Wenn hier nicht gerade die Wolken vorbeikriechen, muss man bis zum blauen Meer sehen können. Antonio ist ganz unglücklich darüber, dass die schöne Aussicht vom Wolkennebel derart getrübt ist. Man kann etwa zwanzig Meter weit in diese Richtung gucken, dafür auf der anderen Seite der Bergkuppe schön weit in ein nicht ganz so beeindruckendes Tal hinunter. Ich versuche, Antonio zu trösten. Der Anblick des Fernglases, welches da so trotzig in den Nebel gerichtet steht, berührt etwas in mir. So ist es doch noch viel spannender, denn jetzt kann ich meine Fantasie bemühen, um mir auszumalen, wie famos die Aussicht hier normalerweise sein mag.
Antonio fährt uns nach Marmelete. Hier speisen wir vorzüglich und inmitten fröhlicher Menschen. Zum Nachtisch gibt es die besten Orangen, die Gitti und ich je gegessen haben.
Über Bordeira geht es kurz an die Westküste. Aus luftiger Höhe schauen wir den vielen Surfern zu, die sich begeistert in die Fluten und auf die Wellen werfen. Wilde Felsformationen rahmen unglaublich schöne Sandstrände ein.
Nahe Sagres markiert Cabo de São Vicente den südlichsten Punkt der rauen Westküste. Die Felsen stürzen fast senkrecht hinunter ins Meer. Die Menschen, die oben stehen, verschwimmen zu kleinen Punkten, als wären sie nur Ameisen, die eifrig auf dem Plateau der Steilküste hin- und herliefen.
Antonio bringt uns wieder zurück nach Lagos. Voll der unterschiedlichsten Eindrücke tauschen Gitti und ich bei einem leckeren Glas Wein unsere Fotos miteinander aus. Wie üppig und abwechslungsreich doch die Vegetation im Umkreis ist! Nie hätte ich gedacht, dass diese Region Anfang Juli so fruchtbar und so grün daherkommt – erst recht nicht beim bangen Blick, den Gitti und ich vor unserer Abreise auf die Wetterkarten geworfen hatten und auf denen wir die iberische Halbinsel in tiefrote Farben getaucht sahen, was extrem hohe Temperaturen versprach. Wir stoßen fröhlich auf Antonio an, der uns einen wunderschönen Tag gestaltet hat.