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Diktieren im Mittelalter

Die Welt dreht sich immer weiter, die technische Ausstattung entwickelt sich, und wir bleiben neugierig. Das Internet steckt noch in den Kinderschuhen. Für den Zugang benötigt man einen Haufen Hardware. Ein langes Kabel, quer durch die Räume verlegt, verbindet den Computer mit einem Modem, über weitere Hardware geht es dann irgendwann zur zentralen Telefonbuchse. Baut man eine Verbindung zur Außenwelt auf, begleitet das Modem den Vorgang mit ganz typischem Rauschen, knisternden und piependen Geräuschen, die unseren Respekt vor dem Wunderwerk der Technik fördern. Nicht ganz Steinzeit, aber auch noch nicht viel mehr als digitales Mittelalter.

Gitti findet bei Tchibo für kleines Geld eine Diktier-Software. Sie will wissen, wie sowas geht und ob es etwas taugt, also her damit! Sie zieht sich in ihr Arbeitszimmer zurück und installiert zuerst ein Mikrophon, das hat sie mal für eine Theateraufführung ihrer Schüler angeschafft. Dann schiebt sie die CD in den Rechner und installiert das Programm. Nach einer Weile dringen aus dem Arbeitszimmer konzentriert und monoton vorgetragene Worte. Gitti trainiert geduldig die Software, die so ihre Stimme und deren Eigenarten kennenlernen soll. Die Worte sind selbstverständlich vorgegeben, das Training dauert ewig an.

Ich will nicht stören, begebe mich nach einer Weile in die Küche und wasche ein paar Minutenschnitzel. Ich tupfe sie mit Küchenkrepp trocken, würze mit Salz und Pfeffer, danach wende ich sie zuerst in Ei, danach in Paniermehl. Ein paar Möhren werden geschält und grob gewürfelt, alsbald köcheln sie in Brühe mit einem Stich Butter und gehackter Petersilie leise vor sich hin. Ich beschließe, statt Kartoffeln einen frischen Dip und etwas Brot zu reichen. Ein Becher Schmand, eine klein geschnittene Frühlingszwiebel und ein guter Schuss Sahne werden verrührt, ein paar Limettenzesten und ein Spritzer Limettensaft geben den frischen Kick, dann fehlen nur noch etwas Paprikapulver, Salz, Pfeffer und eine kleine Prise Zucker. Ich garniere den Dip mit grob zerkleinerten Basilikumblättern.

Aus dem Arbeitszimmer dringen mittlerweile zusammenhängende Satzteile. Die Stimme hört sich immer noch sehr konzentriert an. Ich strecke den Kopf zur Tür herein und frage: „Möchtest Du nicht mal eine Pause machen?“ Gitti will, also brate ich die Minutenschnitzel und entkorke eine Flasche Wein. Wir essen.

Jetzt wird das Training gestärkt und etwas weinselig im Arbeitszimmer fortgesetzt. Endlich ist das Programm bereit. Gitti beginnt, einen eigenen Text zu diktieren. Sie guckt der Software zu, sieht das Ergebnis also sofort auf dem Bildschirm. Sie diktiert und korrigiert, das Programm schreibt tapfer mit. Ich bin neugierig, stelle mich hinter sie und lese, was auf dem Bildschirm steht: „Die Kinder sollen sich in der Brause, nein, nicht in der Braue, in der“, Gitti buchstabiert „P A U S E“, sieht das Ergebnis, und schreit: „Pause zusammengeschrieben, ein Wort! Sie sollen sich benehmen!! Quatsch, nein!!! Bewegen!!!!“  

Ein Fenster ploppt auf, ein heller Ton erklingt, das Programm meldet: „Es wurde ein erhöhter Lautstärkepegel festgestellt. Wollen Sie diesen jetzt anpassen?“ Gitti tobt. 2020 schreibe ich diese Geschichte auf. Heutzutage ist das alles wohl kein Problem mehr, habe ich jedenfalls gehört. Fast jedes Programm nimmt Diktate entgegen, einfach und unspektakulär. Ist das doch irgendwie schade? Jetzt klicke ich auf Diktieren, ich will es versuchen, und spreche die Antwort: „Nein Ausrufezeichen“. Das Programm schreibt brav: Nein! „Die Kinder sollen sich in der Pause bewegen“ ist auch kein Problem – Test bestanden.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Tom

    Ich habe es auch mal mit einer frühen Version probiert und kann Deine Erlebnisse nur bestätigen. Früher wurde eher die Luft blau, als dass ein korrekter Text zustande kam. Aber auch heute bekomme ich häufig diktierte WhatsApp Texte, die nicht immer ganz korrekt sind. Das ist mir aber egal, den Sinn kann man erkenne und dann fallen meine eigenen Tippfehler nicht so sehr auf.

    Vielen Dank für diese Geschichte und Euch ein herrliches Wochenende.

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