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Durch den Wind

Es geht bald wieder los! Gitti und ich freuen uns schon sehr auf eine kleine Auszeit auf Sardinien. Die Vorbereitungen laufen auf Hochtouren. Wir haben dieses Mal ungewöhnlich viele Punkte auf die Liste der Dinge gesetzt, die wir vor unserer Abreise unbedingt noch erledigen wollen. Zum Glück sind wir inzwischen so routiniert, dass wir sicher sein können, das selbst verordnete Pensum zu schaffen. Kurz vor Urlaubsstart bin ich dann doch ein wenig durch den Wind, und Gitti geht es nicht besser.

Endlich erreichen wir den Punkt, an dem die Koffer final gepackt sind. Unser Zuhause ist sozusagen heruntergefahren, will heißen: Die Blumen sind gut versorgt, die Ventile an den Heizkörpern sind geschlossen, der Müll ist draußen … Unsere Bordkarten haben wir heruntergeladen und in einer App hinterlegt. Draußen vor der Tür gibt es genau jetzt eine kleine Regenpause. Ja, wenn das so ist, können wir natürlich auch gerne mit der Bahn zum Flughafen fahren!

Wir verlassen das Haus, schließen ab und verstauen den Schlüssel. Ab hier lässt unsere Anspannung schon ein wenig nach.

Die Bahn nimmt uns ohne weitere Wartezeit auf und bringt uns zum Flughafen. Weder beim Check-In noch bei der Sicherheitskontrolle gibt es Verzögerungen. Alles läuft wie am Schnürchen.

Während des Fluges gibt es nur wenige Turbulenzen. Die brüllenden Kleinkinder sitzen zum Glück weit von uns entfernt. Dennoch sende ich leise meinen Wunsch nach Adults-only-Flügen in den Himmel.

Ich kann gut verstehen, dass Kinder weinen, wenn der Kabinendruck sich so verändert, dass es kräftig in den Ohren wehtut. Ich verstehe auch, dass dieses Weinen lauter wird und in Gebrüll mündet, je länger die Situation unverändert anhält. Von Eltern wünsche ich mir, dass sie vorher prüfen, ob sie ihren kleinen Kindern das wirklich antun wollen. Auch mich schmerzt die Druckveränderung manchmal sehr in den Ohren. Ein Druckausgleich gelingt mir nicht immer. Vielleicht laufen dann auch mal Tränchen über meine Wangen. Das Erlebnis löst in mir jedoch keine große Angst aus – und ich bin alt und beherrscht genug, um nicht den ganzen Flieger zusammenzubrüllen.

Sardinien empfängt uns mit Sonnenschein und angenehm warmer Temperatur.

Wir übernehmen einen Leihwagen. Schon während der Fahrt zum etwa 130 km entfernten Feriendomizil genießen Gitti und ich die herrlich abwechslungsreiche Landschaft. Mit jedem Kilometer breitet sich in uns mehr und mehr die Entspannung aus. Hinter einer Kurve taucht plötzlich das tiefblaue Meer in Sichtweite auf, malerisch unter den blauen Himmel gegossen, den wattige Wölkchen zieren.

Das Hotel liegt in einem Pinienwäldchen direkt am Meer. Wir beziehen schnell unser Zimmer und dann zieht es uns unaufhaltsam zum Wasser. Da stehen wir nun mit leuchtenden Augen und atmen tief die frische salzige Seeluft ein. Meine Lungen lassen sich bereitwillig fluten. Aus Gittis Augen sprühen Funken der Begeisterung.

Später, nach dem Abendessen, erleben Gitti und ich am Strand einen unglaublich schönen Sonnenuntergang. Der mediterrane Wind spielt mit den Wölkchen, die uns das farbenfrohe Schauspiel am Himmel noch intensivier erleben lassen.

Gittis Frisur ist hier unten am Strand ebenfalls Gegenstand des Windspiels. Waren wir psychisch vor einigen Stunden noch selbst durch den Wind, so sind es jetzt nur noch unsere Haare. Ich bewundere Gittis Sturmfrisur – und sie die meine.

Am nächsten Morgen entdecken wir in der Hotelanlage eine wunderschöne große Agave. Erhaben steht sie da. Majestätisch breitet sie ihre seitlich von Stacheln gesäumten und silbrig-grün schimmernden Blätter aus. Im Vorbeilaufen irritiert mich etwas. Ich drehe mich um und laufe noch einmal zurück. Gitti stemmt die Arme in die Hüften und guckt mich fragend an. Dann entdeckt auch sie, was mich nun breit grinsend neben der Agave stehen lässt: Das eine dicke Blatt trägt einen silbergrauen Damenslip mit schmalen Mausezahnbündchen. Der Slip hält sich neckisch schräg an zwei der Stacheln fest.

Einige Gäste legen ihre Badesachen regelmäßig zum Trocknen auf die Stühle ihres Balkons oder ihrer Terrasse. Gitti und ich sind sicher, dass wir hier das Werk des frischen nächtlichen Windes bewundern dürfen. Bis zu unserer Abreise ziert der Slip jedenfalls tapfer die Agave. Jeden Morgen sind wir aufs Neue gespannt, wie er sich mehr und mehr um sich selbst und das Blatt wickelt.

Insgeheim frage ich mich schon, ob die Dame, deren Slip nun die Agave trägt, ihn nicht vermisst. Vielleicht hat sie das vom Wind davongetragene Wäschestück zwar gesucht, aber nicht wiedergefunden. Denkbar ist auch, dass sie ihn der imposanten Stacheln wegen einfach der Pflanze überlassen hat. In meinen Träumen sind noch viel mehr Kleidungsstücke buchstäblich durch den Wind. Sie führen einen anmutigen nächtlichen Tanz durch die Hotelanlage auf. Der Wind pfeift dazu ein hübsches Lied. Im Morgengrauen legt sich alles wieder hin. Und der Slip der Agave flattert noch ein Weilchen und zaubert vermutlich noch mehr Gästen ein Schmunzeln auf die Gesichter.

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