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Ein Erdbeertraum

Als Stadtkind weiß ich nicht immer so genau, welche Obst- und Gemüsesorten hierzulande zu welchen Zeiten Saison haben. Das liegt auch daran, dass wir inzwischen das ganze Jahr über fast alles angeboten bekommen. Wir sind in dieser Hinsicht sehr verwöhnt und nehmen dabei oft in Kauf, dass diese Lebensmittel zum Teil recht weite Strecken zurückgelegt haben, bevor wir sie hier erwerben und genießen können.

Keine Sorge, ich will niemandem ein schlechtes Gewissen einreden! Ich bin doch selbst bei diesen Dingen nicht so gut orientiert, wie ich es vielleicht sein könnte oder sollte.

Ein paar saisonale Lebensmittel kann ich auch als Stadtkind identifizieren. Ich erinnere mich daran, dass meine Mutter beispielsweise gerne festkochende Frühkartoffeln kaufte und zubereitete. Das fand so ungefähr ab Mai statt und fiel in meiner Erinnerung mit der Spargelzeit zusammen. Mit dieser Zeit assoziiere ich auch Rhabarber und Erdbeeren. Mehlig kochende Kartoffeln bereitete meine Mutter eher im Herbst und Winter zu, selbstverständlich in Kombination mit anderen, saisonal passenden Gemüsesorten.

Inzwischen verblasst meine saisonale Erinnerung etwas, und so wage ich halt den Versuch, mich mit meiner Biographie als Stadtkind herauszureden. Straßen und Steine haben immer Saison! Weißer Spargel und rote Erdbeeren gehören für mich zeitlich ungefähr zusammen.

Eigens zu ihrem Verkauf werden hier im Umkreis jedes Jahr kleine Stände aufgebaut, und an denen kauft auch Gitti sehr gerne ein.

Heute kommen wir zufällig an einem solchen Stand vorbei. Eigentlich sind wir unterwegs, weil an Gittis Auto die Sommerreifen aufgezogen werden sollen – aber Gitti zieht es magisch zu dem Stand. Wir erstehen Frühkartoffeln, Spargel und Erdbeeren. Die Werkstatt muss warten!

Ein Teil des kostbaren roten Goldes, so erkenne ich in Gittis leuchtenden Augen, wird sie uns später frisch servieren, den anderen Teil wird sie zu leckerer Erdbeermarmelade verarbeiten. Ob man diesen Fruchtaufstrich, den Gitti gleich zaubern wird, wirklich Marmelade nennen darf, entzieht sich meiner Kenntnis. Im Moment ist mir das auch bumms egal!!

Als wir wieder zu Hause sind, zaubert Gitti aus unserem Fundus eine Packung Gelierzauber hervor. Sie wäscht und putzt die leuchtend roten Erdbeeren. 250 g davon wandern grob in Stücke geschnitten zusammen mit dem 185 g schweren Inhalt der Gelierzauberpackung in einen kleinen Mixer. Noch nicht einmal eine Minute später hat sich das Gemisch in eine homogene Masse verwandelt. Gittis und meine Augen leuchten mit der roten Masse um die Wette. Natürlich müssen wir schnell etwas davon probieren! Der Rest kommt in ein Glas, übernachtet im Kühlschrank und wird spätestens morgen zum Frühstück als Gittis Erdbeermarmelade serviert – wie gesagt, ist es mir bumms egal, ob man das so nennen darf.

Im kühlen Schrank geliert die fruchtige Masse gerade so weit, dass sie einem nicht gleich vom Brot fließt … oder wenigstens nicht allzu schnell, falls man das Brot allzu schräg hält. Lecker!!!

Die Packung des Gelierzaubers verspricht übrigens, dass der mit ihrem Inhalt zusammen hergestellte Fruchtaufstrich etwa vierzehn Tage lang hält. Das ist arg übertrieben! Bei Gitti und mir ist solch ein Glas viel schneller leer. Die Gelierzauberhersteller haben echt keine Ahnung, wie schnell das geht, aber wir hüllen uns denen gegenüber jetzt einfach mal in Schweigen – und Gitti notiert die Zauberworte „Erdbeeren“ und „Gelierzauber“ schnell wieder auf unserem Einkaufszettel.

Insgeheim treibt mich der Name für das leckere Zeug doch ein wenig um. Ich berate mich mit Gitti. Wir beschließen feierlich und pragmatisch zugleich, unsere Erdbeermarmelade einfach in „Erdbeertraum“ umzutaufen.

Dennoch kann ich nicht anders, als mich mit etwas Zeitversatz kundig zu machen. Das Ergebnis gefällt mir gar nicht. Es sieht so aus, als würde der Begriff Marmelade nur noch gelten, wenn es sich um ein Erzeugnis handelt, welches aus Zitrusfrüchten hergestellt wurde. Dazu zählen beispielsweise Orangen, Zitronen und Grapefruit. Ein Schauder fährt durch meine Glieder, und ich mache spontan ein Gesicht, als hätte ich soeben herzhaft in eine sehr saure Zitrone gebissen. Ist das, was wir da so schnodderich Erdbeermarmelade nennen, jetzt offiziell eine Konfitüre? Ich bin mir inzwischen nicht mehr sicher, denn auch da gibt es einzuhaltende Kriterien. Wer denkt sich denn so etwas aus – und vor allem: wozu?!?

Zu meiner Beruhigung gibt es bei der Marmelade selbstverständlich eine Ausnahmeregelung, und die bezieht sich auf Erzeugnisse, die auf Bauern- und Wochenmärkten veräußert werden oder unter die Formulierung „ab Hof-Verkauf“ fallen. Dort liegt die Insel der glückseligen Erdbeermarmelade. Deren ebenso glückselige Nachbarinsel ist unser Zuhause, wo wir das Produkt aber auch weder verkaufen wollen noch verkaufen dürfen, ohne wiederum in andere Scherereien verwickelt zu werden. Na Mahlzeit!

Ich sammle wich wieder, straffe meine Schultern und konzentriere meinen Geist ganz bewusst auf unseren Erdbeertraum. Jetzt läuft mir das Wasser im Mund zusammen.

Bis zum Frühstück werde ich mich zusammenreißen. Aus der Küche dringen interessante Geräusche. Denen gehe ich flugs nach. Vor Ort stelle ich zu meiner großen Freude fest, dass Gitti für uns noch ein paar frische Erdbeeren bereithält, ganz ohne Zauber aus irgendeiner Packung, sondern nur ganz zart gezuckert. Ob ich dazu Sahne möchte? Ja, gerne!

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