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Einfach gut

Mitten im Problem fragt mich jemand nach dem Stand der Dinge. Ich ersinne gerade eine Lösung, aber es gelingt mir nicht sofort, verbal auf den Punkt zu bringen, worum es bei meinem Problem eigentlich geht. Und ohne das Problem ist die Lösung auch nicht zu erklären. Ganz vorne auf meiner Zunge liegt nur ein: „Lass mich bloß in Ruhe, sonst kann ich gleich von vorne anfangen!“

Zum Glück gelingt es mir, das Gespräch freundlich und schnell zu beenden. Dennoch bin ich aus dem vielversprechenden Gedanken herausgerissen – und empfinde es als mühevoll, mich wieder hineinzufuchsen. Egal, so läuft es halt im Leben!

Ich gönne mir einen kurzen Moment, setze mich aufrecht hin, schließe die Augen und atme ein paar Züge vor mich hin. Den Rücken drücke ich fest in die Lehne, dann senke ich den Kopf ein bisschen und recke meinen Nacken. Das tut gut. Ich richte mich wieder auf und reibe mir kurz die Hände. Dann lege ich die Handballen für ein paar Sekunden auf meine Augen. Zuerst sehe ich durch die geschlossenen Lider noch Licht nachschimmern, danach breitet sich wohlige Dunkelheit aus. Wie erfrischend! Jetzt bin ich bereit, weiterzumachen. Ich nehme die Hände wieder herunter und vertiefe mich erneut in mein Problem und dessen Lösung. Das alles hat mich noch nicht einmal eine ganze Minute meiner Zeit gekostet. Das Beste ist: Es geht voran.

Am Abend versuche ich, Gitti zu erzählen, wie mein Tag gelaufen ist. Wieder fällt es mir nicht so leicht, alles schnell und gut auf den Punkt zu bringen. Sowohl Gitti als auch ich finden das blöd!

Endlich besinne ich mich auf die kleine KISS-Regel: Keep it simple and stupid!

Zuerst höre ich damit auf, meine Sätze unnötig zu verschachteln. Kurze Sätze helfen mir dabei, die vielen relevanten Aspekte getrennt voneinander auszusprechen. Es entsteht Ordnung. Stück für Stück wird mir selbst klar, worum es eigentlich geht und was wichtig ist. Am Schluss klingt alles ganz einfach. Und damit entzaubert sich das komplizierte Problem von alleine. Gitti versteht, was mich umtreibt. Die Lösung entpuppt sich als einfach. Einfach und gut. Einfach gut!

Solche Sachen gelingen mir natürlich nicht immer. Im täglichen Leben stehe ich genauso unter Druck, wie andere Leute auch. Und unter Stress kann ich leider nicht so besonders gut denken. Also geht es für mich in erster Linie darum, den Druck aus meiner Situation herauszunehmen. Wenn der Druck weg ist, kann ich wieder denken. Und dann vertraue ich darauf, dass mir schon etwas einfallen wird.

Du weißt ja: Nichts stärkt den Menschen so, wie das Vertrauen, das man in ihn setzt! Und also setze ich dieses Vertrauen in mich selbst. Einfach so!

Gitti hat heute auch ein Problem, sie steht offensichtlich gerade mächtig unter Druck. Ihr Vortrag beginnt mit einem empörten: „Die Brötchenfritzen wollen uns nur verarschen! Die liefern, was sie wollen und wann sie wollen. Was glauben die eigentlich, wer sie sind?!?“

Es geht also um die Brötchenlieferung. Gitti hat einen Lieferdienst beauftragt, der uns schon seit langer Zeit am Wochenende mit Brötchen versorgt. Am Vorabend der Lieferung hängen wir immer eine Tasche raus. Einer der beiden Taschenhenkel verschwindet dabei von außen im Briefkastenschlitz. Innerhalb des Briefkastens befestigen wir ihn. So fällt die Tasche auf keinen Fall herunter. Zu früher Morgenstunde füllt der Lieferdienst nun die Tasche mit frischen Backwaren, während wir noch gemütlich im Bett liegen.

Vor kurzem hat die Leitung des Lieferdienstes neue Lieferkonditionen ersonnen. Gibt es ein bestimmtes Backwerk mal nicht, so wird ein Ersatzprodukt geliefert. Diese Regelung trifft noch auf Gittis Zustimmung. Wer nicht aktiv widerspricht, kommt seit Neuestem in den Genuss zusätzlicher Feiertags-Lieferungen. An Ostern gibt es gesonderte Regelungen. Bäckereien und damit auch deren Lieferdienste dürfen nicht einfach an allen Tagen ihre Pforten öffnen. Also finden wir am Ostersonntag keine Brötchen, dafür aber am Ostermontag. Und die Sonntagsbrötchen wurden der Samstagslieferung zusätzlich beigelegt. Gitti beschwert sich beim Lieferdienst. Telefonisch versucht jemand, ihr den Sachverhalt zu erklären. Der Vortrag ist wirr und wenig strukturiert. Im Anschluss ist Gitti davon überzeugt, dass man sie reinlegen will. Aber automatisch gelieferte Brötchen, das hat schon Charme! Deshalb sieht Gitti von einer Kündigung des kompletten Dienstes ab.

Der Tag der Arbeit fällt auf einen Montag. Als AFL-Kunden, so erfahren wir zwei Tage später per Mail, haben wir also auch an diesem Tag eine Lieferung erhalten. Wir hatten es nicht geblickt und die Tasche nicht rausgehängt, also lag die Tüte in einer Nische unseres Eingangs auf dem Boden. AFL steht übrigens für aktive Feiertagslieferung. An einem solchen Tag erhält man das, was man normalerweise an einem Sonntag erhält.

Kurz darauf ist Christi Himmelfahrt, also ein Donnerstag. Dank AFL-Tarif müsste es auch heute eine Brötchen-Tüte geben. Die Tasche bleibt leer. Gitti wettert: „Die blicken ihre eigenen Regeln nicht!“

Und jetzt Pfingsten: normale Samstagslieferung, keine Brötchen am Sonntag, Pfingstmontag mit Brötchen. Gitti will wissen, wieso jetzt die Sonntagsbrötchen nicht am Samstag mitgeliefert wurden. Sie tobt.

Gittis Nervenkostüm ist wie ein hübsches, zartes, im Wind flatterndes Sommerkleid. Mein Nervenkostüm ähnelt eher einem Pulli. Und doch sind meine Nerven lange nicht so unerschütterlich, wie die Menschen um mich herum oft glauben. Ich habe eine ruhige Art, reagiere meistens nicht auffällig heftig, sondern wirke eher irgendwie besonnen. Was dabei in mir abgeht, weiß ja niemand. Vielleicht ist das auch gut so. Gitti dagegen reagiert schneller und deutlicher. Sie ist jedoch wirklich sturmerprobt, und man sollte ihre Nervenstärke weder über- noch unterschätzen. Gitti ist mutiger als ich, dafür wirke ich eben ruhiger als sie. Zusammen sind wir ein gutes Team. Wir haben beide unsere Trigger. Werden die Trigger angesprochen, so ist es zuerst einmal aus mit der Ruhe! Und dann gerät die frisch getriggerte unter Stress und Druck.

Gitti tobt also noch ein wenig. Nach ein paar Flüchen zeigt sie mir die neueste Mail des Lieferdienstes. Wir erfahren dort: Neben dem AFL-Tarif gibt es jetzt noch einen neuen AFL-Plus-Service. Und dieser Service sorgt dafür, dass die Sonntagsbestellung bereits am Samstag mitgeliefert wird, falls der Sonntag zu den Feiertagen gehört, an denen der Laden geschlossen ist. Selbstverständlich gilt dieser Service für alle Kunden, die ihm nicht aktiv widersprechen.

Zunächst ratlos starren wir auf den Text. Verantwortlich zeichnet einer, dessen Foto neben der Grußformel abgebildet ist. Er muss der Schule frisch entsprungen sein.

Wir ermahnen uns gegenseitig mit diesem kleinen Mantra: „Nimm den Druck heraus. Lasse das Problem erstmal los.“

Für mich untermale ich das Mantra mit einer Handbewegung, mit der ich Druck und Problem deutlich von mir weise. In diese Bewegung lege ich alle Autorität, die ich mir selbst gegenüber aufzubringen vermag. Gitti tut es mir gleich.

Erst dann wagen wir erneut einen Blick auf das Problem. Wir lesen nochmal gründlich, was da so alles steht.

Dann fassen wir zusammen. An Ostern galt für uns noch der AFL-Plus-Service. Mit ihrer Beschwerde hat Gitti diesen Service anscheinend abbestellt. Deshalb wurden am Samstag des Pfingst-Wochenendes keine Pfingstsonntagsbrötchen geliefert, sondern eben nur die normalen Samstagsbrötchen. Am Pfingstmontag griff der AFL-Tarif, der uns an Feiertagen die Lieferung einer üblichen Sonntagsbestellung beschert. Und an Christi Himmelfahrt war der Lieferservice entweder komplett geschlossen oder sie haben ihre eigenen Regeln nicht umgesetzt. Eine kleine Tabelle hätte uns auf jeden Fall geholfen.

Und jetzt nähern Gitti und ich uns sehr gespannt dem nächsten Feiertag: Fronleichnam. Egal, was der Lieferservice uns dann auch beschert, wir werden eine einfache und gute Lösung haben. Zur Not gibt es Toastbrot!

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