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Elektronische Helferlein

Gemütlich kümmere ich mich gerade um rein gar nichts, sondern sitze einfach mal nur so herum. Das ist schon toll, mal nur so herumzusitzen! Manchmal gelingt mir das aber nur eine kurze Weile lang, weil eines der kleinen Helferlein mir sein Wissen aufdrängt. Es macht dazu Rabatz, so viel es kann. Gut, so viel ist es gar nicht, denn ich habe allen Helferlein den Ton abgedreht. Mit Ausnahme des Weckers, denn der hätte ja sonst gar keine Chance, seinen Job erfolgreich zu machen. Alle anderen habe ich jedoch ins Helferlein-Schweigekloster verbannt. In diesem Zustand können sie maximal einen kurzen Brummton verursachen, der eine ebenso kurze Vibration des Smartphones belgleitet. Am Rechner dürfen die Helferlein, die dort installiert sind, auch nur ganz leise nerven.

Der Preis, den ich dafür zahle? Ich muss so hier und da von alleine auf die Idee kommen, die Helferlein zu befragen oder zumindest ihre nonverbalen Alarm-Botschaften zu lesen. Das ist machbar. Wenn es um kalendarische Sachen geht: Der wesentliche Unterschied zum klassischen Wandkalender besteht in der Alarmfunktion. Zudem kümmert sich der elektronische um wiederkehrende Termine. Noch nie hat sich bei mir ein Wandkalender mit großen Gesten, bunten Farben oder Blätterrauschen so in Szene gesetzt, dass ich einen Blick riskierte und feststellte, wer spätestens morgen beleidigt oder enttäuscht sein wird, wenn ich nicht auf seinen Jubeltag reagiere! Früher war das kein Problem. Da habe ich mir die Sachen nämlich einfach gemerkt. Ich war echt gut darin. Ob Geburtstage, Telefonnummern, Adressen, Verabredungen oder unnützes Zeug, ich habe mir einfach jeden Quatsch gemerkt. Außerdem habe ich Sorge dafür getragen, mich dann auch noch zu passender Zeit daran zu erinnern.

Und heute? Angefangen hat es damit, dass es neue Postleitzahlen gab. In Großstädten waren das dann gleich so viele, dass es echt mühsam wurde. Ich begann also damit, die Adressen meiner Verwandten, Freunde und Bekannten aufzuschreiben. Noch heute lungert das 3 cm dicke Postleitzahlenbuch in einem meiner Regale herum. Das habe ich gehütet, wie meinen Augapfel. Aus sentimentalen Gründen wohnt es immer noch bei mir. Fällt das Internet mal aus, kann ich immer noch ganz klassisch einen Brief schreiben und ordentlich adressieren. Wahrscheinlich warte ich dann aber einfach, bis es wieder elektronisch geht. Und dann nutze ich eines der vielen elektronischen Helferlein, um mein Anliegen zu formulieren und auch gleich zu versenden.

Als nächstes kamen die Mobiltelefone und bald darauf hatten recht viele Menschen so eine fahrende Telefonzelle. Ich merkte mir fleißig Festnetz- und Mobilnummern. Bald darauf erfanden die gemeinen Telefongesellschaften, deren Anzahl zwischenzeitlich explodiert war, neue Tariflandschaften. Die Menschen wechselten ihre Mobilnummer gefühlt so oft, wie unsere Ahnen die Unterhosen. Immerhin boten die Geräte jetzt auch die Möglichkeit, Nummern zu speichern und zu verwalten. Also gab ich das Training meiner Merkfähigkeit irgendwann auf und speicherte nahezu jeden Unsinn irgendwo ab. Ich musste mir fortan „nur“ noch merken, wo ich es gespeichert hatte. Die Postleitzahl und die Telefonnummer meiner schon vor vielen Jahren verstorbenen Mutter weiß ich natürlich immer noch auswendig!

Neulich übermittelte eines der kleinen Helferlein folgende elektronische Nachricht meines Freundes Tom: „Mein Outlook sagt, ich soll Dich über Whatsapp anschreiben, um von meiner Familie und mir Glückwünsche an Gitti auszurichten.“ Außerdem ließ er mich an folgendem Gedanken teilhaben: „Was würden wir ohne die elektronischen Helferlein machen und was könnten sie anrichten, wenn sie einen eigenen Willen hätten?“ Ein paar Minuten später versendete ich folgende Antwort: „Dein Outlook funzt prima. So hat also mein Whatsapp mir mitgeteilt, was ich ausrichten soll. Es folgte der analoge Teil zwischen Gitti und mir, und nun muss das elektronische Helferlein Dir Gittis Freude und Dank ausrichten. Damit gibt es für Dich jetzt wohl auch noch einen analogen oder elektronischen Teil mit Deiner Familie, in dem Du ihren Dank und ihre Freude weiterleiten kannst. Wir wären ohne das Zeug echt löst.“ Als ich das nochmal las, musste ich ergänzen: „… lost, nicht löst! Autokorrektur …“

Ja, noch so ein Helferlein. Ein besonders fleißiges dazu! Manchmal echt nervig!! Tom ist ja davon überzeugt, dass die Autokorrektur die elektronische Reinkarnation von Till Eulenspiegel wäre – also, falls es sowas gäbe, wie eine elektronische Reinkarnation.

So. Jetzt muss ich mir also keine Adressen und Telefonnummern mehr merken und auch nicht mehr zwingend richtig schreiben können? Was mache ich bloß mit dem Ding, das da zwischen meinen Ohren hängt und ständig gefüttert werden mag? Denken vielleicht. Das ist ein bisschen, wie Googlen, nur krasser!

Da fällt mir ein, dass Wegbeschreibungen früher auch immer wichtig waren – jedenfalls, bis Martha bei Gitti und mir einzog. Martha, dass ist unser Navigationsgerät. Mittlerweile nicht mehr das Original, aber aus Respekt vor dem eigentlichen Original heißen Navigationsgeräte bei Gitti und mir immer Martha. Alle! Das eigentliche Original war eine herzliche Dame namens Martha, die auch wir ins Herz geschlossen hatten. Und die hat uns einmal auf unbeschreibliche Weise einen Weg beschrieben. Ich sehe sie und die Szene noch genau vor mir und kann noch den Duft von Birnen, Bohnen und Speck riechen, der durchs Haus zog, als dies geschah:

Mit norddeutschem Zungenschlag schickt Martha uns los. Die Wegbeschreibung ist exakt, detailreich und unglaublich! Gitti und ich sollen nach einigen Links- und Rechtskurven unter diversen Unterführungen durch. Martha erklärt uns, wohin die Züge, die unseren Weg dort kreuzen könnten, fahren werden. Das tut sie sehr eindringlich, also versuchen wir, uns das Detail zu merken. An der dritten Kreuzung hinter der letzten Unterführung steht auf der linken Seite ein Haus. Die Ecke ist so abgeschrägt. Martha wedelt mit den Armen, um die Schräge zu illustrieren. Und auf diesem schrägen Teil der Hauswand sind Fenster. Das Haus ist übrigens beige getüncht. Bis vor zwei Monaten war es noch hellblau. Hat dem Besitzer wohl nicht mehr gefallen, das Blau. Im Erdgeschoss stehen ganz viele Blumen. Zwischen den Blumen sitzen kleine Püppchen. Echt süß! Also, falls die Ampel gerade auf Rot steht, sollen wir uns mal die wunderbaren Püppchen angucken. Im Erdgeschoss!

Ich bin gedanklich jetzt schon überfordert und versuche, mich an das Fernziel der Züge zu erinnern, die die Unterführung kreuzen. Es fällt mir schwer, dieses völlig überflüssige Detail in meinem Hirn mit wichtigeren Teilen der Beschreibung zu überschreiben.

Ach ja, und dann sagt Martha noch mit weit aufgerissenen Augen: „Und wenn Ihr da an dem Haus mit der Schrägen und den Püppchen zwischen den Blumen links fahrt – dann seid Ihr falsch!“

Es folgen noch mehr Details und Anweisungen. Wir beten alles nach und fahren los. Und natürlich biegen wir an dem beigen Haus mit der Schrägen und den Püppchen links ab! Was denn sonst?!?

Die elektronische Martha ist auch nett, aber sie kommt an dieses Original natürlich nicht ran! Und dennoch erinnert sie uns immer an die echte Martha. Und dann wird uns warm ums Herz!

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Mauro und Gianna

    Auch wir haben unsere elektronischen Helferlein für eine entspannte Pause heute mal wieder stillgelegt, und da fiel uns doch glatt ein, dass heute Mittwoch ist.
    Da war doch was…..
    Ach ja, die Schmunzelstory von Miri……
    Das Erinnern funktioniert, und dennoch können wir auf unsere elektronischen Helferlein nicht verzichten, durch die jeden Mittwoch eine Story hereingeflogen kommt, direkt in unser Handy.
    Danke dafür, und danke für die Entführung unserer Gedanken!

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