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Heckenfrisur

Es regnet? Der Garten braucht‘s! Und das bedeutet auch, dass es heute keine Gartenarbeit gibt. Morgen vielleicht wieder. Die meisten Arbeiten sind erledigt, die Haupt-Wachstumsphase scheint auch vorüber zu sein – außer beim Unkraut, das hat immer Saison, oder?

Ich habe neulich gehört, dass die Pflanzen in der Neumondphase anders wachsen als sonst. Bei Neumond konzentriert sich das Wachstum wohl auf den unterirdischen Teil der Pflanzen, bei Vollmond eher auf den oberirdischen Teil. Jemand hat mir empfohlen, Kartoffeln oder Rüben aus diesem Grund wenige Tage vor Neumond zu säen. Vielen Dank. Sollte ich je auf die Idee kommen, Erdgewächse anbauen zu wollen, werde ich mich bestimmt daran erinnern. Wer mich kennt, der weiß, dass sich meine bäuerlichen Qualitäten eher im Maschinenbau manifestieren. Ich bezeichne mich gerne scherzhaft als Maschinenbäuerin, habe aber nichts mit Feldern oder Tieren zu tun. Gelegentlich mache ich mich vom Acker, aber da hört es auch schon auf.

Tief beeindruckt haben mich schon immer die Kunstwerke, die kreative Gärtner aus Hecken und Bäumen herausholen. Gucken die sich eigentlich vorher an, was in dem Gewächs steckt? Wie Michelangelo das angeblich bei der Davidstatue gemacht hat? Fünf Meter hoch, sechs Tonnen schwer, aus einem einzigen Marmorblock gehauen, wow! Und was für ein schöner Kerl! Vor Michelangelo hatten sich schon zwei andere Künstler an dem Marmorblock verkünstelt und schließlich aufgegeben. Michelangelo hatte also einen bereits bearbeiteten Block vor sich und musste nun gucken, wie er den Auftrag erfüllen kann, daraus eine David-Statue zu machen. David, das ist der Typ, der gegen den Riesen Goliath gekämpft hat. Eigentlich chancenlos, dafür aber pfiffig, mutig und mit seiner Steinschleuder dann auch erfolgreich.

Zurück zum Garten. Draußen regnet es immer noch, da kann ich von hier drinnen aus Pläne für die kleine Hecke schmieden, die eine neue Frisur braucht. Sie sieht schon ganz zottelig aus. Morgen werde ich ihr einen schönen Schnitt verpassen. Mit Hecken- und Gartenschere, mit viel Liebe und vielleicht etwas Glück, sieht sie danach bestimmt wieder gut aus. Vielleicht sollte ich mich mal damit beschäftigen, wie ich einen „schönen“ Schnitt hinbekomme.

Im Netz gucke ich nach Anleitungen für Stufenschnitte bei Damen- und Herrenfrisuren. Bei mittellangem Haar erreicht man durch einen guten Stufenschnitt den Eindruck von Fülle und Sprungkraft. Das könnte unserer kleinen Hecke auch guttun. Ich lese weiter und lerne, dass man bestimmte Frisuren von unten aufbaut. Das Ziehen von Kreuzscheiteln kann ich bei der Hecke natürlich vergessen, aber ich könnte sie ja trotzdem gedanklich in einzelne Partien aufteilen und versuchen, zunächst eine Art Grundlänge zu definieren. Entscheidend ist wohl der Winkel, in dem ich relativ zur Kopfhaut den Schnitt ansetze.

Am nächsten Morgen ist der Himmel blau, und ich bin bis in die Haarspitzen motiviert. Alsbald stehe ich im Garten, bestücke die Heckenschere mit ihrem frisch aufgeladenen Akku und halte für die feinen Arbeiten noch die kleine Gartenschere bereit. Ich versuche, mich in die Zweige und überhaupt in die ganze Struktur der Hecke hineinzufühlen, irgendeine Übersetzung von „Kopfhaut“ in die Welt der kleinen Hecke zu erspüren. Dann gebe ich mir einen Ruck. Vorab entschuldige ich mich sicherheitshalber bei dem armen Gewächs, falls etwas schief gehen sollte. Metallisch schnarrt die Heckenschere und ich setze an. Von unten, mit wachem Blick und viel Gefühl, vorsichtig und doch beherzt, führe ich die Schere in leichtem Bogen und zunächst immer schön in konstantem Winkel zur gedachten Heckenkopfhaut langsam nach oben. Bei er oberen Partie verkleinere ich den Winkel stetig, um einen schönen Übergang zum Oberkopf der Hecke zu gestalten.

Ganz versunken in meine Arbeit leert sich zunehmend mein Kopf. Eine tiefe Zufriedenheit breitet sich im ganzen Körper aus, ich denke – nichts.

Am Ende schnipfle ich noch ein bisschen mit der kleinen Gartenschere herum, kämme mit dem Rechen die abgeschnittenen Teile aus der neuen Heckenfrisur und sammle den Grünschnitt in einer kleinen Wanne. Dann wird aufgeräumt und zum Schluss schüttle ich über meinen schrulligen Auftritt selbst den Kopf. Was solls, das Ergebnis ist ganz gut. Mir gefällt es jedenfalls. Und so eine kleine Gartenmeditation ist auch mal erfrischend. Erfrischend? Gute Idee! Wie wäre es mit einem Sanften Engel?

Ich rase in die Küche, stelle Gläser bereit, bestücke sie mit je zwei Kugeln Vanilleeis, gebe einen Schuss weißen Rum hinzu und fülle die Gläser mit Orangensaft auf. „Gitti? Wo steckst Du? Ah, da! Guck mal, Sanfter Engel! Prost!!“

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Mauro und Gianna

    Danke für die sehr schöne, entspannende
    und geistig auffrischende Geschichte!
    Den sanften Engel müssen wir noch nachholen👍🏻😃

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