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Herbstimpressionen

Der Oktober ist fast vorbei, wir befinden uns gefühlt schon mitten im Herbst. Jede Jahreszeit hat ihren besonderen Reiz. Ich kann mich nicht wirklich entscheiden, eine der vier Jahreszeiten zu meiner liebsten zu küren. Der Herbst nimmt auf jeden Fall einen der vorderen Plätze ein.

Astronomisch übernimmt der Herbst bei uns im September den Staffelstab vom Sommer und übergibt ihn im Dezember, ziemlich kurz vor Weihnachten, an den Winter.

Das Herbst-Äquinoktium markiert den Beginn des Herbstes. Das sperrige Wort bezeichnet die Tag-und-Nacht-Gleiche. Die gibt es an zwei Tagen eines Jahres und zwar einmal im März und einmal im September. Das Herbstende fällt auf die Wintersonnenwende. An diesem Tag schafft es die Sonne am Mittag weniger hoch über den Horizont als an allen anderen Tagen. Das Gute an der Wintersonnenwende ist also, dass es danach mit dem Höchststand der Sonner wieder aufwärts geht. Klingt gut, oder? Da vergisst man doch glatt, dass ab da erstmal Winter ist!

Ich schüttle mich, verliere passend zur Jahreszeit ein graues Haar und konzentriere mich wieder auf das Hier und Jetzt, heute also auf den Herbst.

Das graue Haar liegt auf meinem Pullover und grinst mich listig an. Bin ich eigentlich schon im Herbst meines eigenen Lebens angekommen? Vor allem in jungen Jahren kann man so etwas nicht wirklich wissen – und das ist auch gut so! Später verdichten sich gewisse Hinweise und Erfahrungswerte.

Falls mein Leben sich in vier gleich lange Abschnitte gliedern sollte, könnte ich den ersten mit dem Frühling vergleichen. Mit ein wenig Glück schließt sich ein toller Sommer an, der sich dann leichtfüßig in einen goldenen Herbst hineinschwingt. Am Ende wird es Winter. Auch der wird bestimmt seinen ganz besonderen Reiz haben. Sein Schlusspunkt markiert auch meinen Schlusspunkt. Ups.

Um trübsinnigen Gedanken vorauseilend zu entkommen, stelle ich eine kleine Rechnung mit griffigen Zahlen an: Sollte mein Leben einhundertzwanzig Jahre lang sein, so stehen für jede meiner persönlichen Jahreszeiten ein Viertel davon, also dreißig Jahre zur Verfügung. Autsch, das geht gleich bestimmt ordentlich nach hinten los! Was für eine blöde Idee! Natürlich weiß ich, dass ich unabhängig von meinem Alter schon längst in meinem persönlichen Winter angekommen sein könnte. Na und?! Ich beschließe, zu genießen, was ich genießen kann. Dann funkle ich das graue Haar auf meinem Pullover giftig an und entferne es entschlossen.

Wieder konzentriere ich mich auf das Hier und Jetzt, also auf den Herbst da draußen, der sich klaglos in unser Kalenderjahr einfügt. Der aktuelle Herbst hat sich bislang als ein schöner, goldener Herbst präsentiert.

Draußen ist es so schön, dass Gitti und ich spontan einen längeren Spaziergang durch den Wald und über die Felder unternehmen. Die Blätter der Bäume haben sich zum großen Teil bereits herbstlich verfärbt. Das Grün nimmt sich zurück. Es garniert kräftige Töne von Zinnoberrot über Orange bis hin zu Ocker, Siena und Umbra. Sie erinnern mich an meinem alten Farbmalkasten. Die Sonne scheint dazu vom blauen Himmel und setzt alles besonders schön in Szene. Welch eine Pracht!

Ein Teil der Blätter liegt bereits auf dem Boden. Genüsslich schlurfe ich hindurch. Dieses herbstliche Rascheln des trockenen Laubs und der spezielle Duft, der aufsteigt, wenn man hindurchschlurft, das mochte ich bereits als Kind. Gitti schlurft auch, ihr geht es offensichtlich genauso.

Am Wegesrand entdecken wir eine Reihe Pilze. Sie ziehen eine geschwungene Linie. Es wirkt, als ob sie eine Prozession durchs Laub veranstalteten und an den Bäumen vorbei defilierten. Die Pilze sind hell, haben einen schmalen Schaft und tragen ausladende Hüte. Farblich passen sie zu den Steinchampignons, die ich so gerne esse. Ihre Hüte ähneln jedoch eher denen der Austernpilze, die ich genauso gerne verspeise. Mit Pilzen muss man vorsichtig sein!

Vor meinem inneren Auge laufen Bilder aus alten Filmen ab. Zu sehen sind zuerst ein mittelaltes Ehepaar, ein wenig gemütlich eingerichtetes Esszimmer und ein dampfender Topf. Der Ehemann sitzt miesepetrig vor seinem Teller. Mit seltsam fürsorglichem Lächeln serviert seine Frau ihm nun seine Mahlzeit – ein tödliches Pilzgericht.

Was ist denn heute bloß los mit mir? Das ist ja furchtbar!!

Gitti zückt indes ihr Smartphone und befragt eine App nach der Pilzart. Wir lernen dreierlei: Erstens stehen wir zwar im Wald, aber nicht im Funkloch. Zweitens gehören diese Pilze scheinbar zur gleichen Familie wie die Champignons. Drittens können wir natürlich immer noch nicht beurteilen, ob diese Pilze essbar sind.

Die liebe Gitti steckt das Smartphone wieder weg. Pilzsammlerinnen werden wir eh‘ nicht mehr. Es wird besser sein, auch weiterhin auf die Fachkunde der Lieferanten unserer Einkaufsstätten zu vertrauen. Dafür läuft uns allerdings jetzt mächtig das Wasser im Munde zusammen. Allein die Vorstellung von …

Minutenlang dreht sich unser Gespräch nun um leckere Pilzgerichte, die wir bald zubereiten wollen. Appetit stellt sich ein, aber wir wollen unseren Spaziergang an dieser Stelle nicht abbrechen. Bewegung ist schließlich gesund!

Ob wir uns von diesen kulinarischen Vorstellungen losreißen können, wenn wir einfach einen Baum umarmen? Gitti und ich sehen uns tief in die Augen und lassen die Bäume lieber doch in Ruhe im Wald herumstehen. Ich will auch nicht ungefragt von jedem dahergelaufenen Spaziergänger umarmt werden.

Den Rest unserer Runde drehen wir ein wenig schneller als sonst – und zu Hause stürzen wir gemeinsam zum Kühlschrank, in dem sich erfreulicherweise auch ein Pfund Pilze finden lässt.

Gittis Augen verraten, was auch ich gerade denke: Unser aktueller Herbst ist echt schön!!

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