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Im Kreis herum

Die Draußen-Saison setzt mich zunehmend in Bewegung. Das ist gut für den Kreislauf, für die Gesundheit und bestimmt auch für den Geist. Ich lasse meinen Blick ins Grüne schweifen, atme tief ein und stelle dann fest: Im Garten wachsen plötzlich Pflanzen, die vermutlich vor vielen Jahren und vor allem sogar jenseits von Hubsis Garten gepflanzt wurden.

Nachbar Hubsi wohnt zum Glück nicht direkt neben uns, aber leider doch in Hörweite. Den kreischenden Geräuschen der Kreissäge nach zu urteilen, hat Hubsi letztes Jahr seine Terrasse erneuert. Mehrere Wochen lang! Vermutlich hat er dabei sogar deren Fläche maximiert. Seither bin ich davon überzeugt, dass bei Hubsi jetzt nichts mehr wächst. Hier aber offensichtlich schon!

Dabei fällt mir ein: Gestern Abend vergaß Gitti, der Werbung im Fernseher sofort den Ton abzudrehen. Sonst macht sie das immer. Gitti entschwand also für ein paar Minuten und hinterließ die Fernbedienung zwar im Raum, jedoch außerhalb meiner Reichweite. Zu faul, mich selbst zu erheben, lauschte ich also dem lauten Geplärr der Werbung und guckte mir an, was mich die Anbieter unterschiedlichster Güter wissen lassen wollten.

Ich wurde mit einem wirklich lustigen Spot belohnt, und der geht in etwa so: Ein völlig vertrocknetes Gewächs sitzt auf dem Fahrersitz eines alten Cabriolets. Es nimmt weitere verwahrloste Pflanzen mit. Zusammen fliehen sie. In Schlangenlinien, mit quietschenden Reifen und viel zu schnell geraten sie bald in eine Polizeikontrolle. Ein verdutzter Polizist steckt ein Knöllchen auf einen der trockenen Zweige. Die Sträucher rasen weiter und die Kamera schwenkt zurück zum Start. Der Besitzer des Cabriolets traut seinen Augen kaum. Er entdeckt in seinem Garten große, staubige Löcher. Sie zeugen von den Stellen, an denen das fliehende Gestrüpp bis eben noch stand und darbte. Zum Schluss des Spots lädt mich ein bekannter Baumarkt ein, zu ihm zu kommen, bevor mein Garten es tut.

Die Pflanzen, die ich da gerade in unserem Garten entdeckt habe, sind jedenfalls nicht zum Baumarkt geflohen! Aber wieso ausgerechnet zu uns? Blöd ist, dass sie mir gar nicht mal so gut gefallen. Denen werde ich also den Weg zu Hubsi oder zur Grünschnittabfuhr zeigen müssen. Leider ist Gartenarbeit an sich ja nie wirklich nachhaltig. Die Pflanzen interessieren sich wenig für meine Vorstellung, wie das alles aussehen sollte. In der Folge störe ich deren Wachstum immer wieder mit Rupf- und Schnittaktionen, und sie stören meinen Müßiggang mit ihrer ausufernden Verbreitung. Gartenarbeit ist ein gutes Beispiel für im Kreis herum arbeiten. Nie wird man fertig, nichts hat Bestand, immerzu geht es wieder von vorne los. Das ist so ermüdend! Erschöpft lasse ich die Schultern hängen, noch lange bevor ich wirklich in Aktion trete.

Vieles im Leben geht im Kreis herum. Der Kreislauf des Lebens ist legendär und sprichwörtlich. Normalerweise finde ich den Kreislauf des Lebens durchaus gut und bestaunenswert. Gerade jetzt bin ich aber auf Krawall gebürstet. Ich mag nämlich nicht andauernd Sachen machen müssen, wenn das Ergebnis nicht wenigstens eine Weile lang zu bestaunen ist. Also eine längere Weile lang! Gartenarbeit, Hausarbeit, Überzeugungsarbeit – alles immer nur im Kreis herum! Ich schimpfe vor mich hin.

Gitti reißt mich aus meinen Gedanken. Wie lieb von ihr!! Sie berichtet von einem Freund, mit dem sie soeben telefonierte. Seit einer Weile ist er nicht so gut zu Fuß, liegt vornehmlich auf dem Sofa herum und weiß nicht, wozu er sich überhaupt vom Fleck bewegen sollte. Heute aber hat er von seinen neuen Zielen erzählt. Tausende Schritte möchte er plötzlich täglich absolvieren! Und angefangen hat er auch schon!! Was soll er sagen, es läuft buchstäblich gut.

Gitti sagt, sie habe zur Sicherheit ein wenig nachgebohrt. Dass ausgerechnet dieser Freund auf seine ollen Tage einen ausgeprägten Bewegungsdrang entwickelt, konnte Gitti sich nämlich kaum vorstellen. Und dann erzählt sie mir, was ihn aus dem Sofa gerissen hat. Beim Zuhören sehe ich die Szene, von der Gitti erzählt, deutlich vor mir.

Eingekuschelt in eine Decke liegt der Freund also auf seinem Sofa und chillt vor sich hin. Seine Frau baut sich genervt vor ihm auf, stemmt die Hände in ihre schlanken Hüften und heißt ihn dann ein rechtes Faultier. Mist! Das mag er gar nicht. Flugs überlegt der Freund: „Man sollte sich zuerst aufschlauen, bevor man sich ins nächste Problem hineinargumentiert.“ Auf der Suche nach den tollsten Eigenschaften der berühmten Tiere tritt er deshalb eine kleine Recherchereise an – natürlich mit Hilfe eines der smarten Geräte, die stets zusammen mit ihm unter der Kuscheldecke liegen.

Faultiere hängen gerne in Bäumen herum. Sie bewegen sich kaum ohne Grund, jedenfalls glauben wir Menschen das gerne. So ein Faultier frisst Blätter, außerdem Früchte und Insekten. Wie praktisch, das gibt es alles auf dem Baum, auf dem das Faultier abhängt! Der Freund fühlt sich dem Tier doch schon etwas näher. Würde seine Frau die Knabbereien nicht immer wieder wegräumen, müsste er sich seltener erheben. Darüber wird er wohl mal mit ihr reden müssen.

Die Verdauung der Faultiere arbeitet langsam und gründlich. Die Nahrung verweilt deshalb bis zu 150 Stunden im Faultier. Gittis Freund kommt geradezu ins Schwärmen. „150 Stunden Sofa am Stück, ohne lästige Toilettengänge, das wäre so schön!“, findet er. Seine Recherche bringt weitere Erkenntnisse an die Oberfläche. Wenn es gut läuft, lebt solch ein Faultier etwa 40 Jahre, und 30 davon verschläft es. „Himmlisch! Was kann man sich alles in 30 Jahren erträumen? Wie genial ist das denn?!?“, ruft er in den Hörer.

Aber dann entdeckt Gittis Freund, dass ein Faultier seinen Kreislauf so weit herunterfahren kann, dass es versehentlich stirbt!!!

Vor lauter Schreck springt er plötzlich vom Sofa auf. Seine Frau erschreckt sich auch. Sie stößt einen spitzen Schrei aus. Beinahe fällt das Geschirr zu Boden, das sie just in diesem Moment an dem vom Gatten belegten Sofa vorbeijonglieren wollte. Wegen des lauten Schreis lässt er aber sein Smartphone fallen und lädt damit die neueste kostenlose Spider-App herunter. Entsetzt kleben beider Blicke auf dem gesprungenen Display. Das Wort „Faultier“ steht anklagend zwischen ihnen.

Am Ende des Telefonats erfährt Gitti noch, dass der Freund nun dringend wieder los muss. Sein Ziel: im Kreis herum spazieren gehen. Und das alles nur, um nicht versehentlich zu sterben!

Gitti schüttelt den Kopf und surft ein wenig im Netz. Die Behauptung über den versehentlichen Tod des Faultiers kursiert gerade in den sozialen Medien. Und zwar nur da! Die restlichen Faultier-Fakten kann Gitti mit Hilfe seriöser Quellen bestätigen. Aber: Hat ihr Freund sie veräppelt? Ist er selbst hereingefallen? Tage später bestätigt seine Frau sowohl die Spider-App als auch seinen überraschenden Bewegungsdrang. Die Kinder und sie haben immer noch keine passable Erklärung dafür. Gitti schickt ihnen den Link zur Faultier-Behauptung. Der Kreis schließt sich, und wir hatten alle Spaß – vielleicht aus sehr unterschiedlichen Gründen.

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