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Im Morgengrauen

Mein Arbeitstag fängt früh an, also muss ich früh aus den Federn. Wer mich kennt, der weiß, wie schwer mir das fällt.

So auch heute. Mit kleinen Augen verlasse ich das kuschelig warme Bett. Ich statte der Toilette einen Besuch ab. Über dem Waschbecken hängt ein Spiegel. Er wirft ein Bild zurück, das mich eigentlich auf direktem Weg wieder ins Bett treibt, aber ich widerstehe tapfer und mache mich auf den Weg zur Küche, die ein Stockwerk tiefer gelegen ist. Im Treppenhaus schreckt mich auf der drittletzten Stufe ein lautes Rumpeln auf. Och nee, nicht jetzt auch noch Einbrecher! Bitte! Unbeirrt setzte ich meinen Weg zur Küche fort. Die müssen warten.

Ich setze die Kaffeemaschine in Gang, fülle Bohnen nach, versorge den Wassertank mit frischem Wasser, schütte Milch in den Behälter, aus dem sie dann gleich von der Maschine gesogen und aufgeschäumt werden wird. Die Teile, die man sonst noch so dafür braucht, stecke ich zusammen und rüste so die Maschine für ihren Auftrag. Dann stelle ich Kaffeebecher bereit und gebe jeweils einen flachen Teelöffel Zucker hinein. Nach dem Aufheizen muss das Milchschäum-Arrangement durchgespült werden. Erst dann erfolgt der Auftrag zum Aufschäumen. Alles folgt einer sorgfältig eingeübten Choreografie, die ich auch mit fast noch geschlossenen Augen auszuführen vermag.

Ich werfe einen Blick auf Emma, unsere Spülmaschine. Ach ja, die ist ja über Nacht noch gelaufen. Also gut. Während der Nebenzeiten, in denen die Kaffeemaschine ohne mich auskommt, räume ich schon mal die halbe Emma aus. Den Rest werde ich ausräumen, wenn Gitti und ich unseren Kaffee getrunken haben.

Mir fällt das laute Geräusch wieder ein, das mich auf dem Weg so erschreckt hat. Was war das bloß? Falls es sich um Einbrecher handelt, so haben sie ihr weiteres Werk erfreulich leise verrichtet. Vielleicht sind sie ja schon wieder weg. Den angerichteten Schaden kann ich mir später ansehen.

Wäre es eigentlich eine gute Idee gewesen, sofort zur Haustür oder gar in mein Arbeitszimmer zu gehen? Die Leute aufzuschrecken? Ja, der Anblick meiner noch so müden Gestalt hätte sie womöglich gleich vertrieben. Oder sie hätten aus Mitleid alles stehen und liegen gelassen und mir einen Schnaps eingeschenkt – woher auch immer Schnaps und Glas so schnell in die Hände der überraschten Täter gelangt sein mag. Und dann hätte ich ablehnen müssen, weil ich doch gleich arbeiten muss, und sie hätten dann eben ohne mich angestoßen. Oder sie wären auf mich losgegangen. Und dann? Wenigstens wäre ich unbewaffnet gekommen. Das macht Sinn, denn mit Waffen aller Art hätten die Einbrecher bestimmt besser umzugehen gewusst als ich.

Aber ernsthaft: Einbrecher?!? Was kann es sonst noch gewesen sein?

Ich denke nach, so gut ich kann. Wie genau hat sich das angehört? War es ein Rumpeln? Hatte es zwei Geräusch-Silben oder nur eine? Gab es dazu noch ein kleines Begleit-Quietschen? Ich fühle mich ein wenig überfordert. Dennoch vollende ich quasi nebenbei die Zubereitung unseres morgendlichen Cappuccinos.

Immer noch in Gedanken taumele ich wieder gen Schlafzimmer, singe schief, aber inbrünstig mein kleines „Der Kaffee ist fertig“, auf das Gitti schon wartet und setze mich wieder ins Bett. Mit dicken Kissen im Rücken widme ich mich nun ganz dem heißen Getränk.

Die weitere Analyse des merkwürdigen Geräusches verdränge ich, bis ich gewaschen und fertig angezogen wieder ins Treppenhaus komme, durch das ich nun mit den leeren Tassen wieder durch muss, um der Verrichtung meines eigentlichen Tagewerks näher zu kommen. Und genau auf der Stufe, auf der ich es vorhin hörte, weiß ich plötzlich, was es war!

Ja klar, es ist Freitag! Und Gitti hat probeweise die Wochenend-Zeitung abonniert. Die kommt jetzt immer am Freitag und am Samstag. Den Rest der Woche liest Gitti lieber online, aber am Wochenende liebt sie das Rascheln des Papiers und überhaupt das haptische Element des Lese-Erlebnisses, das ihr nur eine traditionelle Papier-Zeitung bescheren kann. Und das Umblättern erst! Das fühlt sich definitiv ganz anders an als die blanke Oberfläche des Displays, auf dem ein Umblättern nur mit kleinen Wischbewegungen eines Fingers vollzogen wird.

Das Geräusch, da bin ich mir jetzt sicher, stammte von dem letzten Akt der Zustellung. Davon zeugten ein kleines Quietschen der Briefkastenklappe, gefolgt von einem lauten Rumpeln, mit dem die Zeitung schwungvoll auf des Briefkastens metallenem Boden landete, danach noch einmal das kleine Quietschen und abschließend ein sattes Klappen, mit dem die Briefkastenklappe sich wieder schloss.

Von wegen Einbrecher! So ein Quatsch!! Wer denkt denn sowas?!?

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Tom

    Was für ein Cliffhanger!

    Ich überlege gerade, ob du ganz nach unten gegangen bist, um Gitti zum Kaffee die Zeitung zu holen, ob du die auf dem Weg zum Arbeitszimmer mitgenommen hast (eher nicht, das lenkt vom Arbeiten ab und es ist wie beschrieben Gittis Zeitung) oder ob sich die arme Gitti die Zeitung selbst holen muss.

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