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Im Museum gefunden

Heute besuchen wir eine Ausstellung in der Staatsgalerie. Der Titel verspricht einen interessanten Ausflug in die Zeit vor hundert Jahren: „Mit Glitzer und Gift der Zwanzigerjahre. George Grosz in Berlin.“

Beim Frühstück frage ich Gitti aus. Ich assoziiere mit dem Namen George Grosz zwar ein paar Bilder und vor allem einige Karikaturen, aber eigentlich weiß ich doch recht wenig über den bekannten Maler. Als erstes erfahre ich, dass er sich intensiv mit dem moralischen Zerfall der deutschen Gesellschaft nach dem ersten Weltkrieg beschäftigt hat. Einen Teil des ersten Weltkriegs erlebte er als Soldat bei der Infanterie, und er brachte diese Erfahrung einmal so auf den Punkt: „Krieg war für mich Grauen, Verstümmelung und Vernichtung.“

Puh! Unser Ausstellungsbesuch wird also kein ausschließlich heiterer Spaziergang durch atemberaubend schöne Impressionen. Dennoch: Ich bin gespannt und freue mich auf den Ausflug in diese Zeit, die wir ja nicht zufällig „Goldene Zwanzigerjahre“ nennen. Sie steht für den wirtschaftlichen Aufschwung zwischen Krieg und Weltwirtschaftskrise, und sie brachte ungemein spannende Entwicklungen in Kunst, Kultur und Wissenschaft hervor.

Heute also gucken wir uns einen Teil der Kunstwerke von George Grosz an, der die Zwanziger Jahre in Berlin verbrachte. Schnell stellen wir fest, dass er immer wieder Zeichenstift und Pinsel mitten in die Wunden der Zeit legte. Er prangerte gesellschaftliche Ungerechtigkeiten an und stellte die ungeheure Lebenslust den Abgründen des moralischen Zerfalls gegenüber – manchmal bitterbös und verstörend, manchmal befreiend humorvoll. Mehrfach wurde er vor Gericht angeklagt, man warf ihm Angriffe auf die öffentliche Moral vor, die er so schonungslos darstellte. Über George Grosz ließe sich ganz viel berichten, das Netz ist voll von wertvollen Informationen über diesen spannenden, engagierten und scheinbar furchtlosen Künstler. Ich will das alles hier nicht nacherzählen. Diese Ausstellung hat uns sehr gut gefallen. Wir konnten viel entdecken, und die Informationstafeln zogen uns zu keiner Zeit nur ins Lesen, sondern halfen einfach dabei, die Bilder gut einordnen zu können.

Die meisten der Werke, die wir heute sahen, möchte ich auf keinen Fall in mein Wohnzimmer hängen. Dazu bin ich viel zu zart besaitet und zu harmoniesüchtig. Im Museum aber kann ich mich gut damit auseinandersetzen, in die Bilder eintauchen und mich sogar auf all die Abgründe einlassen, in die der Maler uns schauen lässt. Ich weiß schließlich, dass ich danach wieder in meine kleine friedliche Welt fliehen darf, die ich mir so unbedingt bewahren will.

Nach dem Ausstellungsbesuch schlendern wir noch durch den liebevoll gestalteten Museumsshop.

Ich entdecke „Der Moral-o-mat“. Die Moral springt mich also auch hier wieder an. Dieses Buch habe ich vor einigen Jahren schon einmal in einem anderen Museumsshop entdeckt und damals auch mit nach Hause genommen. Damit kann man Thesen zum Diskutieren, Nachdenken und Verzweifeln aufstellen. Gitti und ich hatten schon viel Freude mit dem Ding. Es ist eine Art Ringbuch. Auf jeder Seite steht ein Satz. Die Blätter sind im Querformat beschriftet, die Spiralbindung ist oben. Das Besondere: Die Blätter sind dreigeteilt. So kann man die Teile des Satzes getrennt voneinander umblättern. Ich schlage den Moral-o-maten auf. Links steht „Mut ist“, in der Mitte „letztlich“ und rechts „die höchste Tugend“. Ich blättere eine Weile im rechten Teil herum, bis der Satz so lautet: „Mut ist letztlich der Schlüssel zum Glück.“ Dann blättere ich links und in der Mitte wahllos um. Das Ergebnis: „Humor ist auch für Hartgesottene der Schlüssel zum Glück.“

Ich schaue mich nach Gitti um und entdecke sie ein paar Meter von mir entfernt. Sie hält gerade ein Buch mit dem Titel „Heute bin ich“ in Händen. Flugs eile ich zu ihr. Gitti schlägt das Buch auf. Im Buchinneren steht auf jeder Seite eine andere Vollendung des Satzes, zum Beispiel „… traurig“, „… erstaunt“, „… ärgerlich“, „… überrascht“, „… glücklich“. Und auf jeder Seite sieht man einen Fisch, mit nur wenigen Strichen gezeichnet, der genau diese Emotion zeigt. Gitti und ich sind fasziniert. An der Kasse wechselt das Buch folgerichtig den Besitzer.

Im Shop gibt es auch Taschen, Stifte, kunstvoll gestaltete Seidentaschentücher – und etwa 30 cm hohe Erdmännchen-Plastiken in unterschiedlichen Farben. Besonders schön finden Gitti und ich, dass die Kuratoren des Museumsshops zwei der Erdmännchen nebeneinander aufgestellt haben. Ein schwarzes und ein weißes. Beide Figuren tragen je ein hübsches Seidentuch als Kopftuch. Welch eine schöne Idee!

Machen wir es kurz: Gitti kann mich nur knapp vom Kauf des neugierig und in meiner Vorstellung gar sehnsüchtig zu mir blickenden Erdmännchen-Paares abhalten.

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