Gerade schwinge ich meine Beine behände aus dem Bett, da schimpft Gitti: „Was machst Du denn da?!?“ Sie steht vor der Balkontür, die geballten Fäuste in die Hüften gestemmt, den Blick starr geradeaus nach draußen gerichtet.
Eigentlich hätte ich jetzt gerne noch ein Weilchen darüber nachgedacht, wie man eigentlich „behände“ seine Beine schwingen kann. Vor 1996, also vor der großen Rechtschreibreform, hätte ich mich das vielleicht noch nicht gefragt. Da schrieb man das Wort noch mit drei e: behende. Neuerdings jedoch, also erst seit 27 Jahren, weicht eines der drei e einem ä. Und seither wird deutlicher, dass ein behändes Ausführen von Tätigkeiten einst etwas mit Händen zu tun hatte.
Natürlich weiß ich um die Verwendung des Wortes als Synonym für flink und agil! Später am Tag werde ich mich im Netz rückversichern, dass „behände“ einer Zusammenrückung der Formulierung „bei der Hand“ entspringt. Und dann werde ich mich fragen, wieso etwas, was ich von Hand ausführe, immer als besonders wendig und flink verstanden wird – übrigens auch von mir selbst! Von dieser Frage werde ich mich alsbald stolz wieder abwenden, weil ich bis in meine Haarspitzen die Anerkennung fühle, die handwerklichen Fertigkeiten gerade in unserer hochtechnisierten Zeit wieder gezollt wird.
Gitti legt inzwischen vor der Scheibe der Balkontür ihren Kopf etwas schräg zur Seite. Sie möchte von etwas weiter unten als zuvor schräg nach oben hinausschauen. Das geht scheinbar noch viel besser, wenn ihr Gesäß ein bisschen nach hinten wandert, sie beide Knie ein wenig beugt und ihre Statik durch einen kleinen Ausfallschritt stabilisiert. Interessante Choreografie!
Ich stelle mich neben Gitti und frage, wen oder was sie da draußen entdeckt hat. Gitti stößt einen Seufzer der Erleichterung aus. Sie ist jetzt endlich sicher, dass draußen ist, was sie drinnen auf keinen Fall tolerieren würde. Ich bin auch erleichtert, denn das bedeutet gleichsam, dass Gitti nicht sofort wieder morden wird.
Es handelt sich um eine Wanze. Lüften wird überschätzt, beschließt Gitti. Das muss jetzt warten, bis das Tier verschwunden ist. In Gitti läuft jedoch ab sofort ein Timer herunter. Dem Tier steht eine gewisse Zeit zur Verfügung, von selbst zu verschwinden. Läuft der Timer ab, droht dem Tier Ungemach, denn dann wird Gitti zum Tier und verscheucht, siedelt um oder mordet gar. Behände natürlich! Vielleicht muss sogar ihr allseits im Tierreich gefürchteter Schuh, einem Erfüllungsgehilfen gleich, beim Entfernen des ungebetenen Gastes assistieren.
Die Wanze hat Glück. Sie nutzt die Chance zur Flucht, kurz bevor Gitti zur Kontrolle der aktuellen Lage von ihrem eingeschobenen Toilettenbesuch zurückkehrt.
Als ich das letzte Mal in der Natur eine Wanze sah, hat mich das dazu inspiriert, bald darauf im Freundeskreis eine kleine Umfrage zu starten. Leider konnte mir niemand sagen, warum man Abhörgeräte aller Art „Wanzen“ nennt. Fast alle der Befragten ließen sich jedoch spontan zum Singen der kleinen Weise „Auf der Mauer, auf der Lauer sitzt ‘ne kleine Wanze“ hinreißen.
Nach dem Frühstück liest Gitti mir eine kleine Abhandlung über Wanzen vor. Also über die Insekten. Ich erfahre, dass sie zu den Schnabelkerfen gehören, die auf Latein Hemiptera heißen. Als Gitti liest, dass die Hemiptera eine Insektenordnung innerhalb der Neoptera, also der Neuflügler angehören, wird uns klar, dass die Sprechpause beim Aussprechen der sperrigen Namen wohl vor dem p liegen muss. Wir versuchen es beide mal im Chor: „Hemi-Ptera, Neo-Ptera“. Da verknotet man sich ja alles im Mund!
So, und innerhalb der Hemiptera wird weiter aufgegliedert. Da sitzen Pflanzenläuse, Zikaden und Wanzen einträchtig nebeneinander. Na super! Gitti und ich assoziieren all das mit Ungeziefer! Also mit Geziefer, dessen Vorsilbe „un“ uns schon verrät, dass wir unser Zuhause nicht mit ihnen teilen wollen.
Tapfer kämpft Gitti sich weiter durch den mit fremden, schier unaussprechlichen Worten gespickten Text. Bald können wir uns vor Lachen kaum noch halten. Unter Tränen beschließt Gitti, dass ich den Rest alleine recherchieren muss.
Mich interessiert immer noch, woher die umgangssprachliche Bezeichnung der Abhörgeräte als Wanzen kommt. Also breche ich zur Recherche gen Arbeitszimmer auf.
Als erstes bekomme ich einen Haufen Geräte zum Kauf angeboten. Zunächst einmal werden Geräte angeboten, mit deren Hilfe ich andere Menschen abhören kann. Die harmloseste Variante ist das Babyfon. Daneben gibt es einen Markt für Geräte, die zum Aufspüren von Abhörgeräten verwendet werden können. Ich kann also auch Wanzendetektoren erwerben.
Zudem werde ich daran erinnert, dass man sich an jemanden ranwanzt, wenn man sich ihm aufdringlich oder auf unangenehme Weise nähert. Als ich danach frage, ob Wanzen gut hören können, gibt es im Netz haufenweise Hinweise darauf, dass es Stinkwanzen gibt. Ich beginne schon, mich darüber aufzuregen, dass meine Frage nach dem Hören mit Hinweisen auf das Riechen beantwortet wird, lese aber weiter. Bei Gefahr sondern Stinkwanzen ein sehr unangenehm riechendes Sekret ab. Aha, das ist dann doch ein Ansatz für die eigentliche Frage nach der Benennung. Gitti sollte die Wanze besser nicht erschlagen! Für unsere Behausungen interessieren sich die Wanzen vor allem, wenn es draußen kühl wird, das vertragen sie nämlich gar nicht gut.
Und was ist jetzt mit dem Hören? Ich komme nicht weiter.
Die beste Erklärung bleibt, dass sowohl das Abhörgerät als auch die Wanze eher unbemerkt ins Haus schlüpfen. Gitti und ich wollen beide dieser Wanzen-Arten nicht beherbergen!
Ich weiß immer noch nicht, ob eine Wanze überhaupt hören kann. Sollte ich demnächst einem lebenden Exemplar begegnen, so werde ich es vielleicht anschreien. Dann zeigt sich bestimmt, ob dieses Tier hören kann. Oder sollte ich lieber die Klappe halten? Würde die Wanze mein Gebrüll als Angriff interpretieren? Würde sie mir gleich darauf zeigen, wie sehr ihr das stinkt?
Und womit könnte ich dann dagegen anstinken?
Hallo Miriam,
wieder einer der herrlichen Schmunzelstories 😊 Danke!
Ich denke, dass Wanzen hören können, da sie das Tympanalorgan besitzen, wie fast alle Insekten.
Das man das Wort Wanze mit den elektronischen Abhörgeräten „verbindet“ liegt daran, dass (Stink)Wanzen sich gerne hinter allem verstecken (Tapeten, Steckdosen) und damit fast unsichtbar sind, so wie das gemeine Abhörgerät und somit der Raum „verwanzt“ ist. Deine Vermutung ist also richtig.
Als Tipp zum Schutz vor den Plagegeistern habe ich ein Magnetfliegenschutz installiert : zum Beispiel das hier:
(https://www.amazon.de/dp/B09VPVM1C9/?coliid=IN4Q5BWEEFS3O&colid=1V62I0VDXTX5U&ref_=list_c_wl_lv_ov_lig_dp_it&th=1) ,
das hat den Vorteil gegenüber des festen Schutzes, dass mit hindurchgehen kann.
LG Peter
Danke liebe Miri für die wieder mal sehr lehrreiche Story! Sehr beruhigend ist es, dass Gitti nicht zur Mörderin werden musste. Und wir sind sehr gespannt auf deine persönliche Begegnung mit einer Spezies.
Bis dahin singen wir fröhlich auf der Mauer, auf der Lauer, sitzt ne kleine …….. 😂🤣