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Komfortzone

„Mache es Dir gemütlich, warte ab, trinke Tee, bewege Dich bloß nicht voreilig und ohne Grund!“, denke ich so vor mich hin und suche mir ein gemütliches Plätzchen. Ich bin ein gemütlicher Mensch, mag es komfortabel und lasse mich jetzt voller Vorfreude auf dem Sofa nieder. Hier ist meine Komfortzone, hier will ich mich ganz dem Komfort hingeben.

„Moment mal“ schießt es mir durch den Kopf. „Komfortzone? Was war das noch mal genau?“ Mir schwant schon: Es geht wieder los, das wird jetzt nichts mit nur auf dem Sofa herumlümmeln.

„Ich will doch nur hier sitzen!!“, protestiere ich innerlich.

„Gefragt – verloren! Mach Dich schlau, gehe ins Internet, und zwar zu Fuß… okay, stimmt, eher zu Maus… aber geh, und zwar jetzt!“, ermuntere ich mich selbst und stehe wieder auf.

Es dauert nicht lange, da erfahre ich, dass mich drei Zonen umgeben: die Komfortzone, die Wachstumszone und die Panikzone. Die Komfortzone hat ein schlechtes Image. Na toll, das fängt ja gut an. Bewege ich mich innerhalb dieser Zone, erwarten andere Leute von mir, dass ich geistig und körperlich träge auf dem Sofa liege und mich mit Schokolade vollstopfe.

Schokolade? Lecker! „Ich fange gleich das Sabbern an, so groß ist meine Lust auf ein Stück Schokolade“, höre ich mich murmeln. Aber träge? Trägheit ist negativ besetzt, hm. Egal, das halte ich aus. Aber Schokolade? Das ist doch Gemüse! Wegen der Kakao-Bohnen, also wegen der Bohnen. Bohnen sind ja auch Gemüse! Sehr gesund! Iss davon, soviel Du kannst! Komfort ist prima und erstrebenswert!! „Und gesund!!!“, rufe ich laut aus.

Ich kriege mich wieder ein und forsche weiter.

Alles außerhalb der Komfortzone wird allgemein mit Aktivität und Anstrengung assoziiert. Die Wachstumszone ist positiv besetzt, lese ich. Hier will ich also lernend wachsen, stelle mich neuen Herausforderungen und verfolge meine Ziele. Aha. Hier gehe ich auch mal Risiken ein und hoffe darauf, dass mir nichts passiert.

Reflexartig rufe ich aus: „Sicher? Und was ich danach zusätzlich kann, kommt flugs mit in meine Komfortzone? Winkt mir als Lohn eine größere, noch gemütlichere Komfortzone? Dann bin ich dabei!“ Ich bin allein in meinem Arbeitszimmer, trotzdem habe ich mich mit meinem lauten Ausruf selbst erschreckt, ziehe ruckartig den Kopf ein und gucke mich um. Hat mich jemand gehört?

Ich strecke mich. Egal, weiter! Panikzone: unsicheres Terrain, sehr großer Stress. Ih! Wenn es schlecht läuft: pure Panik. Sonst hieße die Zone ja auch anders, trotzdem: Ih!

„Wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um!“, höre ich meinen Vater sagen. Er selbst war kein Hasenfuß. Er wollte nur erreichen, dass wir Kinder wenigstens erst ein bisschen denken – also bevor wir handeln. Wahrscheinlich hat er gehofft, sich dann um uns und unser Gedeihen weniger Sorgen machen zu müssen.

Ich lese weiter: In der Panikzone sind die zu meisternden Aufgaben oftmals völlig unbekannt, die Umgebung und die Abläufe sind total fremd. Mir entfährt ein: „…und der einzige Grund, sich hier durchzuquälen, ist die hoffentlich baldige Rückkehr in eine der beiden anderen Zonen.“ Aber hält die Panikzone nicht auch einen gewissen Kick bereit? Verspricht sie nicht auch ein besonderes Erfolgserlebnis? Es gibt bestimmt einen Haufen Leute, die sich gerne genau hier aufhalten, sich beweisen wollen und danach trachten, ihre Widerstandskraft zu stählen. Also andere Leute, nicht unbedingt ich…

Soweit, so gut. Und jetzt? Zurück zum Sofa, da will ich jetzt endlich wieder hin! Ich mache mich auf den Weg. Was ist eigentlich mit meinem Schokolädchen? Erstmal nichts, weil das Telefon klingelt. Ich suche das Mobilteil, finde es schließlich im Flur auf der Hutablage der Garderobe, und nehme ab.

„Du glaubst nicht, was passiert ist!“, dringt es laut aus dem Hörer. Zuhören gehört zu meinen Stärken, also höre ich zu… und bekomme ein Problem geschildert. Wortreich, detailgenau und verzweifelt.

Nach einer Weile versuche ich eine kleine Zusammenfassung: „Also Dein Chef blockiert Deine Ideen?“ „Ja, und der blöde Kuno aus dem Nachbarbüro mobbt mich!“ „Aha, was macht er denn, der Kuno?“ „Eigentlich sägt er nur am Stuhl vom Chef, aber der schnallt das ja nicht.“ „Wer, der Chef?“ „Ja.“ „Und wieso mobbt der Kuno dann Dich?“ „Keine Ahnung. Der spielt sich halt immer in den Vordergrund und tut so, als ob er der einzige Mensch wäre, der hier arbeitet!“ „Und das merkt Dein Chef nicht?“ „Doch, aber der reagiert ja nicht!“ „Wie jetzt?“ „Heute hat der Kuno dem Chef vorgejammert, dass er nicht fertig wird, weil er sich ja immer um alles kümmern muss.“ „Aha.“ „Dabei macht der eigentlich den ganzen Tag lang nichts – außer sich wichtig.“ „Der Kuno?“ „Wer denn sonst!?!“

„Und was ist jetzt das Problem?“ „Der Chef denkt jetzt, dass ich dem Kuno ja ruhig mal helfen könnte.“ „Kannst Du aber nicht, oder?“ „Dem Kuno? Das fällt mir gerade noch ein! Der hilft ja auch keinem! Außerdem weiß ich eh schon nicht mehr, wo mir der Kopf steht.“ „Und was ist jetzt mit Deinen Ideen?“ „Die kann ich vergessen, wenn ich dem Kuno zuarbeiten soll. Und der tut dann am Ende noch so, als ob das seine eigenen gewesen wären, das kenne ich schon!“ „Was hast Du denn schon probiert?“

Es entsteht eine kleine, verzweifelte Pause. „Na, alles!“, schallt es danach wieder aus dem Hörer.

So kommen wir nicht weiter. Ich will konkrete Lösungsvorschläge unterbreiten. Also hole ich tief Luft, und dann geht es los. „Was ist, wenn Du dem Chef Deine Ideen nochmal in Ruhe zeigst, alleine, ohne Kuno?“ „Aber der Kuno riecht ja förmlich, wenn mal was ohne ihn stattfindet.“  „Und dann? Materialisiert der Kuno sich plötzlich im Raum, oder was?“ „Aber der rennt doch dann gleich danach wieder los und bekämpft alles, was von mir kommt.“ „Kannst Du Deine Ideen vielleicht per Mail erklären?“ „Aber dann fragt sich der Chef doch, warum ich nicht einfach zu ihm gekommen bin.“

Das Gespräch entwickelt sich zunehmend stereotyp: Auf jeden Lösungsvorschlag folgt ein Einwand. Jeder Einwand beginnt mit „aber“. Vor lauter „aber“ schwirrt mir schon der Kopf. Ich ertappe mich dabei, wie ich bei jedem „aber“ die Augen aufreiße und genervt ein wenig schiele. Außerdem laufe ich mittlerweile auf und ab, wie ein Tiger im Käfig. Beides hilft mir, nach außen hin geduldig zu bleiben. Was mache ich jetzt?

Ob ich es mal mit Ironie versuchen soll? Besser nicht, das lockert zwar bestimmt auf, aber – auwei, jetzt verwende ich auch schon das böse Wort – es hilft meistens nicht. Trifft Ironie auf Verzweiflung, so wird sie allzu oft als übler Angriff missverstanden.

Ich wage einen anderen Ansatz: „Was könnte die Lage jetzt am effektivsten verschlimmern?“, frage ich – und ernte ein „Spinnst Du jetzt total?“

Immerhin kam darin kein „aber“ vor, was einem kleinen Sieg gleichkommt. Heimlich balle ich meine Faust und führe sie in einem hübschen kleinen Bogen etwas nach oben, um meinen Etappensieg zu feiern, bevor er sich wieder in Luft auflöst. Ich verteidige meine Strategie und rufe in den Hörer: „Das ist divergentes Denken, und es hilft, wenn man aus einer Sackgasse wieder raus will! Echt!! Mein Ziel ist es, spielerisch und scheinbar unsystematisch Denkblockaden auszuschalten und kritische Einwände…“ Die Unterbrechung folgt auf dem Fuß und die Gegenrede beginnt mit – na? Richtig, mit aber: „Aber das hilft mir doch nicht, Du musst mich schon ernst nehmen!“ Ich schiele ganz fest, um mich zu beruhigen.

„Ja, ich nehme Dich ernst. Sehr sogar. Ich frage mich nur, ob Du Dein Problem lieber behalten möchtest. Und zwar, weil Du Dich mit dem Problem scheinbar sicherer fühlst als ohne das Problem. Du leidest. Ich will nicht, dass Du leiden musst. Riskier was! Kann es schlimmer werden?“ „Na ja, ich weiß nicht.“, kommt es etwas kleinlaut vom anderen Ende der Leitung.

Jetzt bin ich nicht mehr aufzuhalten, schalte vollständig in den Motivationsmodus: „Probiere etwas Neues, überrasche Dich selbst, und lass das blöde Problem endlich los! Komm raus aus Deiner Komfortzone! Du kannst mehr gewinnen als verlieren! Wenn Du was Überraschendes machst, etwas, mit dem keiner rechnet, dann gibt es auch wieder neue Möglichkeiten. Das eröffnet neue Perspektiven, das ist Deine Chance!“

Es entsteht eine etwas längere Pause.

„Aber…“

Nach fünf weiteren Aber-Runden dämmert es mir endlich: Ich soll heute gar keine Lösung anbieten, die kann der liebe Mensch am anderen Ende der Leitung nämlich durchaus selbst und ohne mich finden. Stattdessen soll ich die Gefühlslage meines Gegenübers aufnehmen, ihn ernst nehmen, soll ihn verbal in meinen Armen wiegen und trösten, soll mit einstimmen in das Lamento, demzufolge die Welt schlecht ist und die Menschen darin doof und ignorant und egoistisch. Und dass sie nichts Besseres zu tun haben, als einander zu verletzen – und überhaupt…

Nach dem Gespräch nehme ich mir vor: Das nächste Mal finde ich rechtzeitig heraus, ob eine Lösung gefragt ist oder ein Trösten. Und wie? Vielleicht frage ich einfach danach. So – jetzt muss ich dringend wieder in meine gemütliche Komfortzone! Gibt es hier irgendwo noch Schokolade? Sofa, ich komme!!

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Mauro und Gianna

    😀😁🙄🤣 herzlich gelacht in unserer Komfortzone, dem Sofa – nach einem anstrengenden Tag, dazu ein Stück Gemüse…. 🤫🍫 sorry 🤭 Schokolade, und jetzt die Steigerung, vom Sofa ins Bett 🛌, ganz entspannt….. 😔😴
    Danke dafür 🙏🏻🙏🏻……
    🙋🏻‍♂️🙋‍♀️ bis bald…..

  2. Tom

    Vielleicht hättet Ihr anfangs absprechen sollen, ob der Gesprächspartner für dieses Gespräch mit „Miri, die Problemlöserin“ oder mit „Miri, der geduldigen Schulter zun Ausweinen, weil die ganze Welt so ungerecht ist und keine Chancen übrig sind“ verbunden werden möchte.

    Klingt lustig, aber kann unter Umständen Missverständnisse vermeiden. Miri, die Problemlöserin mag sich denken „Toll, jetzt habe ich schon 7 Alternativen geliefert, die weiter helfen“, während der Gesprächspartner langsam verzweifelt, weil eher Mitleid erwartet wird, statt Lösungsansätze, die ja schon durchdacht und verworfen wurden. Klarer Fall von falsch verbunden.

    Eine anfängliche oder spätere Vermittlung zur geeigneten Miri hätte da weiter helfen können?

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