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Konferenz der Dinge

Gitti weckt mich mit Kaffee – und hat den aber zu dieser frühen Stunde auch schon wieder auf, wie man im Rheinland so sagt. Wer den Kaffee schon auf hat, der ist es leid, der ist bedient, frustriert, beleidigt, ärgerlich, und der ist dabei, seine Geduld oder zumindest die Lust zu verlieren.

Die Maschine macht nicht, was sie soll. Das Tamagotchi will heute nicht einfach nur zur Unzeit eine Entkalkungsorgie, nein, sowas pariert Gitti in der Regel sehr gelassen. Es streitet sich auch nicht mit ihr darum, ob nun die Schublade für den Kaffeesatz voll oder geleert ist. Nein, heute will es mit aller Vehemenz: nichts – vor allem keinen Kaffee kochen!

Gitti weiß sich ja immer zu helfen, und so hat sie Wasser gekocht, den Kaffee traditionell gemahlen und gebrüht, Milch geschäumt und ein wahres Cappuccino-Kunstwerk in Handarbeit hergestellt. Sie ist echt ein Schatz! Und sie ist sauer auf das Tamagotchi.

Tamagotchi ist ja eigentlich eine japanische Wortschöpfung aus Tamago, zu Deutsch Ei, und watchi, der englischen Uhr entlehnt. Eine japanische Firma hat 1997 unter diesem Namen ein elektronisches Spielzeug auf den Markt geworfen. Das Ding funktioniert wie ein virtuelles Küken, es schlüpft zu Beginn des Spiels, und sein Besitzer muss sich in der Folge dauernd darum kümmern.

Das Tamagotchi entwickelt nämlich fortan Bedürfnisse, meldet sich immer wieder bei seinem Besitzer und fordert lautstark dessen Zuwendung ein. Reagiert er nicht oder zu spät, „fühlt“ sich das virtuelle Küken vernachlässigt und stirbt – game over. Bei der allerersten Version gab es auch nur einen einzigen Lebenszyklus, starb das Tamagotchi, so starb auch das Gerät.

Eine ganze Generation war süchtig nach dem Spiel. Kinder- und Teenagerseelen zerbrachen fast daran, dass Lehrer oder Eltern das Gerät zumindest zeitweise einkassierten, es der kindlichen Fürsorge entzogen und sich überdies auch noch mehrheitlich weigerten, solange in die Rolle des Babysitters zu schlüpfen. Die bösen Erwachsenen zeichneten so für den jämmerlichen Tod eines nervigen Häufchens aus Plastik und Elektronik verantwortlich, das nicht größer als 4x5x1,5 cm³ war, aber ein geräumiges Zimmer in der Villa der Kinderseele bezogen hatte.

Letzte Woche hat die Fernbedienung des Soundsystems auch schon so einen Zirkus veranstaltet. Der DVD-Player spielt ebenfalls nicht mehr mit. Mir fallen spontan noch ein paar andere Geräte ein, die neulich unsere betreuende Zuwendung eingefordert haben. Manches ließ sich reparieren, anderes wurde zunächst außer Betrieb genommen oder schlicht ersetzt. Und jetzt also die Kaffeemaschine!

Noch schlaftrunken sinniere ich darüber, was unser Hausrat eigentlich nachts veranstaltet, wenn wir schlafen. Die sprechen sich doch ab! Vermutlich ist gerade „Themenwoche Elektro“. Ich stelle mir vor, wie sie sich versammeln, sobald Gitti und ich uns empfehlen, das Licht löschen und gen Schlafzimmer enteilen.

Der Kühlschrank beherbergt ja traditionell das Licht, wenn man es ausmacht. Prüfe es ruhig nach: mach zuerst das Licht aus, öffne dann die Kühlschranktür, und jetzt gib endlich zu, dass Du das eben gelöschte Licht im Kühlschrank wiedergefunden hast. Frage nicht, ob es dasselbe ist. Sieh und staune einfach bereitwillig – so geht glückliches Fantasieren!

Also. Wir sind weg. Das Licht ist im Kühlschrank. Der Hausrat versammelt sich zu einer Online-Konferenz der Dinge. Der Kühlschrank spendet das nötige Licht, es wird per WLAN direkt übertragen und erhellt alle Teilnehmer der Konferenz.

Das Regal aus Gittis Arbeitszimmer beschwert sich: „Ich bin voll, ich kann nicht mehr! Niemand sieht, was ich hier jeden Tag leiste. Wann werfen die beiden endlich die Enzyklopädie raus?“

Daraufhin empört sich Band 7. Er ist der Sprecher der 30 Bände umfassenden und durch zahlreiche Jahrbücher ergänzten Ausgabe der Enzyklopädie. Band 7 ist normalerweise für Begriffe von EX bis FRT zuständig. EX aus dem Lateinischen, für aus, heraus, weg, und FRT für die dem Englischen entlehnte Abkürzung für freight, also Fracht. Band 7 ist also der Sprecher der Enzyklopädie, und er empört sich: „Wir sind ein unverzichtbarer Teil dieses Haushaltes. Neben unserer informativen Kernkompetenz glänzen wir mit Goldschnitt und schwerem Leder-Einband. Bei uns kann man auch nachschlagen, wenn es keinen Strom gibt. Wir sind sinnliches Erlebnis und Wertanlage zugleich!“

Der Laptop mischt sich ein: „Ha, das ich nicht lache! Ihr seid ein veraltetes Relikt aus frühen, analogen Zeiten, völlig überholt! Seit der Rechtschreib-Reform strotzt Ihr auch noch vor Fehlern! Dankbar solltet Ihr sein, dass Ihr hier überhaupt noch herumstehen, wertvollen Platz belegen und Staub fangen dürft. Ich habe übrigens schon lange ein Regalbrett für all mein Zubehör beantragt. Und überhaupt, diese Woche ist doch ‚Themenwoche Elektro‘. Passt bloß auf, dass wir Euch nicht wegen der vielen Papier-Seiten zum Gefahrgut erklären, das dringend unter feuerpolizeiliche Aufsicht zu stellen ist!“

„Themenwoche Elektro,“ schreit das Regal, „das ich nicht lache. Ihr von der Elektrofraktion habt ja sowieso die größte Lobby hier!“ Aus dem Keller schaltet sich ein Weinregal ein: „Wir hier unten werden auch nicht gesehen, immer nur gefüllt, geleert, gefüllt, geleert…“

Der Kühlschrank ergreift das Wort: „Es geht also hier in erster Linie darum, wer sich hier nicht gesehen fühlt.“ Der Hausrat grummelt zustimmend. Ich liege derweil im Obergeschoss des Hauses und träume von einer unmotivierten Welle des Wasserbetts, die so gar nicht zum Thema meines eigentlichen Traumes passen mag.

Der Kühlschrank fährt fort: „In letzter Zeit haben es einige von Euch mit Streik versucht. Manch einer ist in der Folge hier rausgeflogen, also schlicht ersetzt worden. Das ist ja auch keine Lösung. Ich schlage vor, ich übernehme mal wieder ein paar Flaschen Weißwein aus dem Keller und lege ein gutes Wort für das Regal aus dem Arbeitszimmer ein. Mit mir pflegen die beiden Menschen, die hier wohnen ja schon aus kulinarischen Gründen einen engen Kontakt. Aber auch ich glaube, dass die Enzyklopädie ihren Platz bei uns haben sollte, auch an prominenter Stelle – und auch, wenn sie in letzter Zeit seltener Auskunft gibt, weil die beiden immer häufiger im Internet recherchieren.“

Band 7 wirft ein: „Hey Kühlschrank, Danke, das hätte ich Dir als Elektrogerät gar nicht zugetraut!“ Der WLAN Router kichert, das Licht flackert. Der Kühlschrank fährt fort: „Wir sind der Hausrat, uns steht eine dienende Rolle zu. Es gilt also, Service-orientiert zu sein. Wir geben unseren Menschen eine Heimat, wir sorgen dafür, sie zu präsentieren. Wir sind doch hier die stillen Helden!“ Er erntet tosenden Applaus vom ihn umgebenden Hausrat. 

Einzig die Kalorien nehmen an der Konferenz der Dinge nicht teil, die haben nämlich keine Zeit, sie sind mit Nähen beschäftigt. In unserem Kleiderschrank. Ich empöre mich schon lange darüber, dass sie Klamotten ausschließlich enger nähen können. Ja, vor ihrem Eifer habe ich schon Respekt – aber wer hat die Dinger hier hereingelassen? Wir etwa? Ach ja? Und ganz ohne Kalorien geht es nicht? Hm, stimmt, na gut – aber übereifrig sind sie schon!

Am Nachmittag bringen Gitti und ich die Kaffeemaschine zur Reparatur. Die Enzyklopädie bleibt, wo sie ist!

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Mauro und Gianna

    Da läuft bei uns direkt ein Film vor unserem geistigen Auge ab, was die Dinge Nachts bei euch so treiben!
    Was ist erst wenn sie mal sturmfreie Bude haben?
    Köstliche Vorstellung 😂🤣
    Danke für deine Fantasie…..

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