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Krimiabend

Gitti und ich freuen uns auf einen gemütlichen TV-Krimi-Abend. „Welche Kommissare dürfen uns denn gleich erfreuen?“, frage ich Gitti, die heute unsere Programmdirektorin sein wird. „Hast Du schon was ausgesucht?“

Sie präsentiert mir eine kleine Auswahl und wir beraten uns. Nach einer Weile stellt sie fest: „Die Fälle selbst interessieren Dich gar nicht so sehr, stimmt‘s?“ Ich muss zugeben: „Ja, mir geht es mehr darum, wie die Leute so drauf sind. Ich könnte auch ohne Fall leben, wegen mir muss da keiner sterben.“ Gitti geht es ähnlich, sie freut sich, wenn die Geschichte logisch aufgebaut und gut erzählt ist.

„Ich will nicht wieder stundenlang darauf warten, dass überhaupt etwas passiert!“, lässt sie mich wissen. „Wie neulich“, frage ich, „bei diesem französischen Dings? Wo der Typ eine Minute vor Schluss plötzlich eine Eingebung hatte, dann bei einem geklingelt hat, der bis da gar nicht vorgekommen war und der sich dann spontan nach dem Öffnen der Tür selbst abgestochen hat?“ „Ja“, sagt Gitti, „und dann kam sofort der Abspann! So einen schlechten Film habe ich schon lange nicht mehr gesehen.“ „Na ja, immerhin war das so irre und verstörend, dass wir noch wochenlang gerätselt haben, was das sollte“, gebe ich zu bedenken. Gitti schüttelt energisch den Kopf, sie muss nicht extra sagen, dass sie immer noch der Ansicht ist, der Film habe ihr den Abend gestohlen.

Bei einer Krimi-Serie gibt es immer eine feste Crew – zumindest auf Seiten der Ermittler, Kriminaltechniker, Pathologen, Staatsanwälte und so. Die Charaktere haben so ihre Schrullen, Ecken und Kanten. Wenn es gut läuft, bekommen wir ordentlich was zu lachen. Wenn es richtig gut läuft, ist die Geschichte total spannend und das Thema lädt uns ein, miteinander zu diskutieren, statt nur einfach so zum nächsten Programmpunkt zu hüpfen. Diese Serien sind sicheres Terrain: Ich weiß, was mich erwartet, aber ich sehe mich daran auch irgendwann satt.

Heute wählen wir keine der vertrauten Serien, heute gibt es einen Krimi, den wir vorher nicht einschätzen können. Mit einem Haufen Kissen und kuscheligen Decken muckeln wir uns auf dem Sofa ein, das Licht drehen wir auf schummrig herunter, es kann losgehen.

Die Story entwickelt sich vielversprechend, das Verbrechen nimmt seinen Lauf. Es sind noch nicht mal fünf Minuten vorbei, da regt der Kommissar sich schon mächtig auf. Alle Vorschriften sind offensichtlich nur dazu gemacht, ihn zu behindern und seinen Ermittlungserfolg zu vereiteln. Jetzt rennt er los, der ganze Kerl ein Rambo, allein, ohne Kollegen, ohne Worte, mit Waffe.

Welchen genialen Plan hat er wohl? Hat er überhaupt einen? Nach einer Weile ist klar: Der personifizierte Rächer ist entfesselt, für ihn gibt es nur noch Selbstjustiz. Und weil er ja der Herr Kommissar ist, findet er sich auch im Recht, egal, was ihm als nächstes in den hitzigen Kopf kommt.

„Der ist ja komplett auf Autopilot“, seufze ich enttäuscht. Gitti wirft frustriert ein Kissen in Richtung Fernseher, schleudert ein „Och nee!“ hinterher und geht zur Toilette. Als sie wiederkommt, will sie wissen, ob sie was verpasst hat. Hat sie nicht. Wir gucken weiter. Nach einer Weile beschwert sie sich: „Das ist in keinster Weise nachzuvollziehen! Und für die anderen Filme ist es jetzt auch zu spät, da kommen wir jetzt nicht mehr in die Story rein. So ein Mist!“   

Wir ärgern uns beide. Gut, der Herr Kommissar arbeitet nicht bei der echten Polizei, sondern er arbeitet als Schauspieler – und er kann nichts für seine Rolle. Aber wer hat ihn und seine vielen Kolleginnen und Kollegen, die genauso agieren, eigentlich in den Autopilot-Modus geschaltet? Ja, okay, bestimmt der Autor des Krimis. Aber wozu?!?

„Kannst Du Dich mit dem Typen identifizieren?“, frage ich Gitti. „Wie kommst Du denn auf den Blödsinn?“ „Na ja, ich frage mich, ob die extra deswegen so gestrickt wurden.“ Gitti mustert mich kritisch. “Weswegen?“ „Na, damit die Leute sich identifizieren können!“ „Wenn‘s schön macht…“ „Nein, im Ernst, warum lieben wir Krimis? Brauchen wir etwas, womit wir unsere kriminelle Energie abarbeiten können, ohne dass einer zu Schaden kommt?“ „Mag sein, aber… so?!?“ Gitti zeigt mit dem ausgestreckten Arm zum Fernseher und guckt so vorwurfsvoll, wie sie nur kann. Ich überlege weiter: „Was meinst Du, ist DER auf Autopilot, weil ICH das im richtigen Leben immer nicht machen darf!?“ Gitti zieht die Decke fester um sich. „Du willst jetzt aber nicht der sein, oder?“

Das wollen wir beide nicht, zum Glück! Aber wir überlegen, was einen guten Krimi ausmacht, oder überhaupt einen guten Film. Gitti findet: „Also für mich ist die Psychologie wichtig. Ich will wissen, wie die Personen ticken und was daraus folgt.“ „Und deshalb braucht es eine extreme Situation?“, frage ich nach. „Ja, sonst kann der Protagonist sich zu gut kontrollieren, vielleicht auch seine Impulse so gut unterdrücken, dass wir sie noch nicht mal erahnen können. Und dann erfahren wir nichts über ihn. Außerdem ist es sonst langweilig.“ Das ist auch wieder wahr. „Ohne Schrulle, ohne Macke, ohne Profil hinterlässt niemand einen bleibenden Eindruck. An so einem Charakter kann ich mich nicht reiben, der tötet jede Geschichte“, fährt sie fort.

„Und wenn es in der Geschichte gerade um einen geht, der nie Stellung bezieht, sich immer und überall raushält?“ Gitti guckt ein bisschen angewidert, aber sie antwortet: „Dann halte ich das eine Weile aus, aber ich erwarte schon, dass er damit an seine Grenzen stößt und sich etwas ändert. Wenigstens bei den Leuten, die es um ihn herum noch gibt. Irgendwas muss da schon passieren.“ Jetzt muss ich an vorhin denken und grinsen. „Sonst ist es bestimmt ein französischer Film?“ „Nee“, kontert Gitti „sonst ist es zu akademisch und einfach nur ein schlechter Film!“

Ja, es gibt auch hervorragende französische Filme, die wir sehr gerne nochmal sehen wollen! Wir sind uns einig: Es muss nicht immer viel passieren, so im Sinne von Action oder umtriebiger Handlung, aber wir brauchen etwas, womit wir uns auseinandersetzen können. Das muss nicht immer gleich einen riesigen Anspruch bedienen. Wir gucken auch gerne Filme, die einfach nur lustig sind, aber auch da gilt: ohne Profil geht es nicht. Irgendwas in uns muss andocken.

Auf dem Fernsehbildschirm vor uns explodiert gerade etwas, der Rambo von vorhin sieht mittlerweile ziemlich mitgenommen aus. Von der Handlung haben wir wegen unserer eigenen Unterhaltung nichts mehr mitbekommen. Am Bildrand erscheint die Frage „Sendung verpasst?“ Wie aus einem Munde rufen Gitti und ich: „Nein! Den gucken wir bestimmt nicht in der Mediathek!“

Noch vor dem sicher fulminanten Schluss fahren wir das Wohnzimmer runter und trollen uns ins Bett. Dort zähle ich noch schnell ein Schaf, und dann geht es ab in meine Traumwelt.

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Mauro und Gianna

    Ja! Wirklich gut deine Geschichte liebe Miri, besser und spannender als ein mancher Krimi!
    Toll👍🏻 Danke dafür🙏🏻💖

  2. Tina

    Muss man den Krimi dann nicht loben???
    Euch hat er eine lebhafte Diskussion geschenkt und uns eine unterhaltsame Geschichte.
    Ist das nicht schööön…?
    Danke fürs Lesevergnügen!

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