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Lang mutig

Mut. Das Wort dröhnt durch mein Hirn. Ich habe keine Ahnung, wie es dazu kommen konnte. Ausgerechnet jetzt, wo ich doch nur ganz friedlich hier sitze und keinerlei Anstalten machen möchte, etwas anderes zu tun, als eben hier zu sitzen! Na ja, und Bier zu trinken. Schließlich sitze ich hier im Biergarten herum. Mit Gitti und Tina. Es sind noch ganz viele andere Leute da, die Stimmung ist toll, sogar eine Band spielt heute mit rockiger Musik auf. Das Wetter ist schön, und alle haben frei. Wo zum Teufel kommt also das dröhnende Wort Mut jetzt her? Was soll das?

„Wer mutig ist, zeigt seine innere Haltung und vor allem seine Zuversicht!“, tue ich kund. Mit dem Aussprechen dieses Gedankens trachte ich danach, das dröhnende Wort in seine Schranken zu verweisen. Ganz, als ob ich dem Dröhnen entgegengeschleudert hätte: „Nimm dies!“

Ich nehme einen Schluck aus dem Bierkrug, wippe weiter mit dem Fuß im Takt der Musik und gönne mir eine kleine Assoziationskette.

Mut, Wagemut, Gefahr, Beherztheit, sich etwas trauen.

Zufrieden lehne ich mich zurück. Dann driftet die Assoziationskette schnell in eine andere Richtung ab. Mir fallen folgende Wörter ein: Unsicherheit, Angst, Mutprobe, Heldentum, Tugend.

Tugend?!? Das geht zu weit! Jetzt ist mir plötzlich kalt. Ich wende den Kopf nach links und rechts. Gitti schwitzt, rechts neben mir im Schatten sitzend, leise vor sich hin. Tina genießt zu meiner Linken jeden einzelnen Sonnenstrahl, den sie erhaschen kann. Zwischen den beiden Klimazonen hängend gönne ich mir noch ein Schlückchen Bier. Unser aller Füße wippen weiter im Takt. Das kühlt das Mütchen und wärmt den inneren Frieden.

Die Freundinnen ahnen nicht, was in mir vorgeht. Sie lauschen der Musik, vielleicht hängen sie auch ihren eigenen Gedanken nach, während ich mit der Tugend kämpfe.

Hold und tugendhaft wollte ich nie sein. So etwas kam mir immer vor, wie die reinste Unterdrückung. Wenn Gitti manchmal „holde Maid“ zu mir sagt, ist das etwas völlig anderes –aber wer weiß schon so genau, was Gitti damit eigentlich meint. Auf jeden Fall klingt es gut, mir zugetan und kommt in Situationen vor, in denen ich nicht besonders mutig sein muss. Da stellt man besser keine blöden Fragen!

Zum Glück fällt mir bald ein, dass der Edelmut im Sinne von Hochherzigkeit den Mut einst zu einer erstrebenswerten Tugend erhob. Ich bin ein wenig versöhnt. Einst – das muss irgendwann im Mittelalter passiert sein. Zu einer Zeit, zu der die Menschen doch sehr rustikal miteinander umgingen. Den Mut, in solch einer Gesellschaft zu leben, brächte ich eher nicht auf. Aber das kann man sich wohl nicht immer aussuchen, oder? Von dort zu fliehen, das wäre ein Ausweg, bräuchte aber auch viel Mut. So ein Mist!

Es gibt unglaublich viele Arten von Mut. Übersteigerter Mut endet im Hochmut. Hochmut kommt vor dem Fall. Wusste ich es doch: Bloß nicht übertreiben! Mir gefallen mehr die Arten von Mut, die etwas damit zu tun haben, sich selbst etwas zuzutrauen, Vertrauen und Geduld aufzubringen. Geduld heißt ja auch Langmut. Wer geduldig ist, der ist lange mutig. Das gefällt mir! Prost!!

Dann gibt es noch den Sanftmut. Den mag ich übrigens viel lieber als den Schwermut, den manch einer dann auch in Wermuth zu ertränken versucht … meistens vermutlich gar nicht mal so erfolgreich …

Ich versuche, mich von dem Thema loszureißen und gucke ein bisschen Spazieren. An unserem Tisch kommt eine junge Frau vorbei. Ihr schwarzes Oberteil zieren große, stilisierte Blüten. Ich stupse Tina an und sage: „Kennst Du noch die Prilblumen?“ Dabei zeige ich mit ausgestrecktem Arm der Frau hinterher. Gitti rümpft die Nase. Wegen meines Fingerzeigs oder wegen der Prilblumen? Wer weiß das schon? Tina kichert und sagt: „Mutig.“

Damit kickt sie mich versehentlich voll in mein mutiges Thema zurück. Ich frage mich, ob Tina dabei den Mut der jungen Frau quasi mutmaßlich auf das Prilblumenmuster oder den Schnitt des kurzen Kleidungsstückes bezieht. Bei jedem Schritt hüpft das kurze, geblümte Dings lustig um seine Trägerin herum. Ich vermute, dass Tinas Äußerung im Grunde anerkennend gemeint ist, wenngleich ihr weder das Muster noch der Schnitt des geblümten Dings selbst zu gefallen scheint. Tina findet den Ausdruck von Individualität in der Regel sehr lobenswert.

Für alle, die noch zu jung sind, um Prilblumen zu kennen, sei erwähnt, dass der Hersteller eines Spülmittels einst zum Zwecke der Kundenbindung die Prilblume erfand. Einst – das war in diesem Fall 1972. Mit jeder Flasche des Spülmittels erstand man automatisch ein paar bunte Aufkleber. Die Werbekampagne hieß „fröhliche Küche“. Bald klebten in unglaublich vielen Haushalten und dort schier überall diese bunten Dinger. Schränke, Küchengeräte, Spiegel, manchmal sogar Autokarosserien wurden damit aufgehübscht. Besonders schön fand ich sie nie, aber selbst in meiner Mutter Küche zierten sie damals die Kacheln. Meine Mutter hatte einen außerordentlich guten Geschmack, aber auch sie kam an den Prilblumen damals nicht vorbei.

Gitti, Tina und ich beobachten weiter das fröhliche Volk im Biergarten. Wir finden noch so manche mutige Tat, über die wir uns kichernd austauschen. Übrigens, nicht nur bezogen auf die Wahl der Kleidung! Einige Eltern bringen viel Mut dabei auf, ihre Kinder herumtollen zu lassen. Manch einer der kleinen Racker weiß noch nichts von dem Wagnis, auf das er sich in all seinem Übermut einlässt. Aber: Nichts stärkt den Menschen so, wie das Vertrauen, das man in ihn setzt! Das ist gut so. Das Vertrauen beinhaltet in diesem Zusammenhang übrigens den Mut, auf einen guten Ausgang zu setzen.

Nebenbei bemerkt: Diese Eltern wissen nicht, dass wir so hier und da von den Rackern und deren Hyperaktivität genervt sind. Sie wissen auch nichts von meinen Fantasien. Die nämlich kreisen darum, wie man dem allzu tollen Treiben ein jähes Ende bereiten könnte. Am Ende erfährt niemand davon, weil mein Sanftmut über meinen Wagemut siegt und dafür sorgt, dass ich alle in Ruhe lasse.

Stattdessen besorge ich lieber für uns noch weitere Krüge frisch gezapften Bieres. Und die trinken wir dann genüsslich aus. Die Band spielt immer noch, die Sonne neigt sich gen Horizont und unser Tag klingt fröhlich aus.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Tom

    Danke Miri für die nette Geschichte

    Die Pril Blumnen, ach ja! Mein Vater hat damals die Werbeagentur unterstützt und ich hatte von da her etliche, sogar die ganz großen mit 50 cm Durchmesser. Auf Küchen, Wände oder gar die Brille meines Vaters wie in der Werbung durfte ich die aber nie kleben. Erinnert Ihr Euch noch an den Jingle zur Werbung? – https://www.youtube.com/watch?v=EYpK0A6k5oQ

    Hier ein Ohrwurm:
    Hotl‘ Euch die fröhlichen Blumen,
    holt‘ Euch das fröhliche Pril
    Holt‘ Euch die fröhlichen Blumen,
    Selbstklebeblumen von Pril!

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