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Mein innerer Kompass

Menschen und ihr Verhalten bringen mich immer wieder zum Staunen. Seltsames Verhalten entlockt mir gerne mal ein nachdenkliches „Faszinierend“ – und das intoniere ich dann so, wie ich es mit Mr. Spock assoziiere, dem Halbvulkanier mit den spitzen Ohren, der in den Siebzigerjahren als Wissenschaftsoffizier des „Raumschiff Enterprise“ über den elterlichen Fernseher in mein Leben flimmerte.

Das Raumschiff fliegt im Jahr 2200 durch die unendlichen Weiten des Weltraums. Seine Besatzung hat die Aufgabe, neue Welten und fremde Zivilisationen zu erforschen. In meiner bescheidenen Erinnerung geht es dabei nicht um Unterwerfung und Kolonialisierung. Dennoch geraten die Protagonisten auf ihrer abenteuerlichen Reise immer wieder in äußerst gefährliche Situationen.

Um einen fremden Planeten betreten zu können, müssen diese Entdecker keinen Landeplatz für ihr Raumschiff suchen. Stattdessen nutzen sie das Beamen. Das ist eine fiktive Form der Teleportation, mit der sie innerhalb weniger Sekunden zuerst auf ihrem Raumschiff dematerialisiert und dann auf dem fremden Planeten wieder materialisiert werden. Der Rückweg zum sicheren Raumschiff nutzt dieselbe Technik, und gesteuert wird der Ortswechsel über einen großen Beamer, der im Raumschiff installiert ist. Faszinierend.

Manchmal würde ich mich gerne selbst aus einer Situation wegbeamen können, wahlweise aber auch irgendwohin, also an einen Ort, an dem ich jetzt gerne wäre. Das müsste ganz ohne die Hilfe großer Apparaturen stattfinden. Ich würde das gerne alleine mit der Kraft meiner Gedanken schaffen.

Ohne den physischen Transport gelingt mir das schon ganz gut, nämlich in meinen Träumen. Die scheren sich nicht um physikalische Gesetze und noch nicht erfundene Techniken. Und wenn es brenzlig wird, kann ich einfach aufwachen.

Wenn sich alle andauernd wegbeamen könnten, würde mir das wirklich gefallen? Dann würde sich jeder, der keinen Bock mehr hat, einfach so und mitten im Gespräch in Luft auflösen. Das ist krasser, als einfach den Telefonhörer aufzulegen! Nach dem abrupten Ende des Telefonats könnte man zur Not später der Telefongesellschaft die Schuld zuweisen. Aber einen Gedankenunfall? Wie rechtfertigt man das? Sorry, ich hatte einen Gedankenblitz und musste notfallmäßig kurz mal für drei Wochen nach Pusemuckel?!?

Was ich könnte, das könnten andere Leute dann vermutlich auch. Ein ungebetener, vielleicht sogar unliebsamer Gast würde sich dann also einfach so und jederzeit auf meinem Sofa, meinem Schoß oder meiner Bettkante materialisieren können. Nein, das möchte ich lieber nicht haben!

Es gibt noch mehr Situationen, die ich lieber nicht erleben möchte.

Über mein Verhalten kann ich Einfluss auf den Verlauf der Dinge nehmen. Mal ist mein Einfluss größer als ich zu hoffen wage, und mal schrumpft er auf ein so kleines Maß, dass ich ihn gar nicht mehr erkenne. Es ist in Wahrheit gar nicht so wichtig, ob ich immer alles abwenden kann, was mir persönlich nicht gefällt. Natürlich versuche ich, mir meine kleine Welt möglichst schön zu gestalten. Alle wollen es schön haben! Deshalb strebe ich einfach danach, mich so zu verhalten, wie ich es mir von anderen Leuten auch wünschen würde. Das gelingt mir unterschiedlich gut. Und darüber hinaus hoffe ich darauf, dass möglichst viele andere Leute es auch einmal auf diese Weise versuchen.

Zum Glück verfüge ich über so etwas wie einen inneren Kompass. Der hilft mir, auf meinem Weg durchs Leben Kurs zu halten. Wenn es schiefgeht, äußert vielleicht jemand in meiner Nähe kopfschüttelnd ein „Faszinierend“.

Am Samstag hat mich mein innerer Kompass aus dem Haus getrieben. Zusammen mit etwa 44.000 anderen Menschen aus unserer Gegend nahm ich an einer Kundgebung teil. Manchmal muss man öffentlich sichtbar für etwas eintreten, was einem wichtig ist. In diesem Fall hatte es etwas mit meiner Vorstellung von Demokratie zu tun. Ich oute mich gerne als Fan der Demokratie – auch wenn das manchmal ganz schön anstrengend sein mag. Weitere Veranstaltungen dieser Art fanden auch in anderen Städten statt und erfreuten sich großen Zulaufs. Tags darauf versammelten sich in Berlin sogar 160.000 Menschen, deren Vorstellungen den meinen offenbar ähneln.

Was mich während der Kundgebung besonders berührt hat, war die Zugewandtheit, mit der sich die vielen, auf den ersten Blick so deutlich unterschiedlichen Menschen begegneten. Ich spürte, wie alle in meiner Nähe einander großen Respekt zollten und unglaublich rücksichtsvoll miteinander umgingen. Das hätte ich mitten in einer so großen Menschenmenge gar nicht zu hoffen gewagt.

Ist das seltsam? Nein! Es ist auf eine besonders schöne Weise faszinierend!

Zufrieden poliere ich nun meinen inneren Kompass. Ich setze all meine Zuversicht in ihn und seine künftigen Dienste. Auf dass er mich einigermaßen sicher auf einem guten Kurs halten möge!

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