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Mein Teekesselchen

„Worüber schreibst Du heute?“, fragt Gitti, als ich mich auf den Weg ins Arbeitszimmer begebe, um mich der nächsten Schmunzelstory zu widmen. Ich muss zugeben, dass ich es noch nicht weiß. Durch meinen Kopf schwirren bislang nur ein paar vage Ideen.

Ich erzähle Gitti davon, dass ich gestern mal wieder auf den doppelten Sinn des Wortes Inspiration aufmerksam wurde. Das muss passiert sein, als ganz nebenbei und von uns beiden nur mit halbem Ohr verfolgt eine Quizfrage aus dem Fernseher drang, bei dem das Wort Inspiration eine Rolle spielte. Ich weiß noch nicht einmal, ob es dabei Gegenstand der Frage war oder beim Herleiten der richtigen Antwort helfen sollte. Ich weiß nur, dass mir der doppelte Sinn des Wortes in den Sinn kam und mich kurz zum Schmunzeln brachte.

Also, wenn ich an eine Inspiration denke, dann fällt mir zuerst etwas ein, was meine Ideen anregt, was sich auf meine schöpferische Kraft richtet und was einen Impuls für meine nächsten Tätigkeiten setzt.

Hätte ich einen medizinischen Beruf ergriffen, fiele mir vielleicht zuerst ein, dass die Inspiration ein anderes Wort für das Einatmen ist. Respiration bezeichnet passend dazu das Ausatmen.

Nette Idee! Ich atme ein paar Mal bewusst und tief ein und wieder aus. Das ist wohltuend.

Gitti schmunzelt. Mit einem listigen Blick in den Augen unterbreitet sie mir sodann folgenden Vorschlag: „Vielleicht könntest Du zuerst noch den kleinen Weg draußen vor der Haustüre fegen und dabei frische Ideen einatmen. Magst Du das mal versuchen?“

Wer könnte sich schon dem Charme entziehen, mit dem diese als Vorschlag verschleierte Bitte vorgetragen wurde!

In der letzten Nacht fegte der Wind ordentlich ums Haus. Das Ergebnis kann sich sehen lassen, denn die kleine Nische, in der sich unsere Haustür befindet, wirkt wie ein Windfang. Dort fängt sich neben dem Wind und abhängig von der Richtung, aus der er weht, manchmal auch das Laub umstehender Bäume. Auf dem Weg von der Straße zur Tür verfangen sich zudem allerlei Nadeln und Beeren anderer Gewächse in den Vertiefungen der Waschbetonplatten. Zwischen den Platten wachsen wacker ein paar Halme. Ich fege und zupfe die Halme heraus.

Wusstest Du, dass Architekten und Jäger völlig verschiedene Dinge mit dem Wort Windfang bezeichnen? Der Architekt meint den Vorraum oder den Vorbau am Haus, der das Hausinnere vor Wind und Kälte schützt. Der Jäger hingegen meint die Nase des Wildes. Mit etwas Glück kann das Tier mit seinem Windfang den Jäger wittern, der ihm nach dem Leben trachtet. Dann hat es eine Chance, rechtzeitig abzuhauen, also noch bevor der Jäger zum Schuss ansetzt. Der erfahrene Jäger weiß um die feine Nase seiner Beute, und wenn er kann, schleicht er sich lieber von der anderen Seite aus an.

Ich schüttle mich, als ob ich damit zugleich den gruseligen Gedanken abschütteln könnte, der sich um den weiteren Verlauf der Geschichte von Wild und Jäger rankt.

Leider führe ich das Schütteln immer noch komplett unaufgewärmt hier draußen vor der Tür aus. Niemand wärmt sich auf, bevor er zum Fegen nach draußen geht. Wie albern sähe das denn bitte aus! Am Rücken, so stellt es sich nun heraus, bin ich etwas zu leicht bekleidet für das Lüftchen, welches mir gerade kühl und feucht in die Knochen kriecht. Plötzlich fühlt sich meine Lendenpartie so an, als hätte sie Wind bekommen vom aktuellen Vorhaben einer Hexe, die sich hier in der Gegend aufzuhalten scheint. Sie zielt, hat aber noch nicht geschossen.

Wenn ich mich jetzt mit Bedacht bewege, kann ich den Hexenschuss bestimmt noch vermeiden. Vorsichtig vollende ich mein Werk, dann ziehe ich mich ins Haus zurück.

Im Arbeitszimmer fahre ich den Rechner hoch, lasse mich auf meinem bequemen Schreibtischstuhl nieder und drücke meinen Rücken mit einem wohligen Grunzen fest in die Rückenlehne. Das tut gut.

Längst ist mir klar, dass meine Schmunzelstory von doppelsinnigen Wörtern erzählen wird. Genau an dieser Stelle treffen sich die Geschichte und der Prozess des Schreibens.

Zuerst brauche ich einen schönen Titel. Der Titel ist so etwas wie mein Versprechen an den Text. In den meisten Fällen funktioniert das gut. Es kommt nur selten vor, dass ich den Titel später ändern muss, weil sich der Text beim Schreiben in eine völlig andere Richtung entwickelt.

Eine Weile lang denke ich darüber nach. Dann fällt mir ein altes Spiel ein, welches ich als Kind geliebt habe: Mein Teekesselchen!

Kennst Du das Spiel auch noch? Wir haben das oft gespielt, gerne auch auf Reisen, denn man braucht dazu keinerlei Requisiten, Spielbretter, Würfel oder Spielsteine. Man kann einfach loslegen.

Es gibt unterschiedliche Varianten. So kann man es zu zweit, aber auch mit mehreren Leuten spielen. Wenn man mag, bildet man Mannschaften. Was immer gleich bleibt: Einer oder gegebenenfalls eine Mannschaft denkt sich ein doppelsinniges Wort. Jetzt gilt es, das Wort mit kurzen verbalen Hinweisen zu beschreiben. Man ersetzt beim Beschreiben das gesuchte Wort immer durch: „Mein Teekesselchen“.

Nach jedem Hinweis wird genau ein Mal geraten, welches Wort gemeint ist. Natürlich geht es darum, das Wort, also das Teekesselchen, nach möglichst wenigen Hinweisen zu erraten. Das einfachste Beispiel, das mir gerade einfällt, ist dieses: Auf mein Teekesselchen kann man sich setzen. Mein Teekesselchen bewahrt für andere Leute Geld auf.

Spätestens nach diesen beiden Hinweisen sollte einer der Rater fragen, ob mein Teekesselchen eine Bank ist. Falls nicht, muss ich mir den nächsten Hinweis überlegen.

Manchmal ist das Teekesselchen ganz leicht zu erraten, aber erstaunlich oft ist es wirklich schwer – und dann kommt man sich schnell selbst wie ein Teekesselchen vor, denn so wird in manchen Gegenden ein Dummkopf genannt.

Inzwischen ist meine Lust, dieses Spiel endlich mal wieder zu spielen, ordentlich gewachsen. Freunde, duckt Euch, ich komme!! Der erste Hinweis, den ich setzen werde, lautet: Mein Teekesselchen erinnert mich an etwas.

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