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Mist verstanden

Mein Tag war anstrengend. Auf dem Weg zwischen Arbeits- und Wohnzimmer schwirren noch ein paar Gedanken und Probleme durch mein Hirn, die ich lieber gleich im Arbeitszimmer gelassen hätte. Es gab heute ein paar Missverständnisse und latent lag Streit in der Luft. Das ist nicht schön, lässt sich aber auch nicht immer vermeiden. Ich lege eine kleine Vollbremsung ein, verharre kurz auf der zweitobersten Stufe der Treppe, umfasse fest den Handlauf und herrsche die unliebsamen Gedanken an: „Feierabend! Ich kümmere mich morgen wieder um Euch!“

Manchmal klappt das einfach so. Heute rechne ich insgeheim damit, dass mich der eine oder andere dieser Gedanken im Verlauf des Abends doch noch einmal angrinsen wird. Egal! Für den Moment fühle ich mich gestärkt. Ich nehme mir noch kurz vor, allem Einhalt zu gebieten, was mich von meinem wohlverdienten Feierabend trennen könnte. Dann nehme ich Schwung und die letzte Stufe der Treppe.

Meistens gelingt es Gitti und mir auf recht einfache Weise, die Trennung zwischen Tagewerk und Feierabend zu vollziehen. Besonders an Tagen, wie diesem. Wir berichten uns dann gegenseitig beim Essen, was wir erlebt haben und was davon uns noch umtreibt. Das Abtupfen des Mundes mit der Serviette ist der letzte Akt des Essens. Symbolisch ist damit für heute alles gegessen. Gitti und ich tauschen dann ein Zwinkern aus und wechseln im Anschluss bewusst das Thema.

Das mit dem Zwinkern ist wichtig. Mein Hirn reagiert nämlich zuverlässig auf die Muskulatur, die ich fürs Zwinkern brauche. Das Zwinkern geht meistens sogar mit einem kleinen Lächeln einher. Das Hirn kann nicht anders, es ordnet die Ausschüttung glücksbringender Substanzen an – und schon geht alles ein bisschen leichter.

Nach dem Essen empfiehlt Gitti sich und strebt dem Wohnzimmer zu. Dort wird sie sich gleich bequem niederlassen und den Fernseher beauftragen, sie unterhaltsam zu berieseln. Ich nehme einen kleinen Umweg über unsere Keramikabteilung und stoße frisch erfrischt wieder zu Gitti.

Kaum habe auch ich Platz genommen, empört Gitti sich über die dargebotene Sendung: „Guck mal, die dreschen Gerste. Dabei hat die doch gar nichts gemacht!“ Welch eine Schöne Vorlage! Sogleich stimme ich ein: „Die Flegel!“

Gitti kichert und kriegt sich gar nicht mehr ein. Kopfschüttelnd fülle ich unsere Gläser mit kühlem Nass. Was hat sie bloß? Gitti kichert weiter. Nach einer kleinen Ewigkeit bringt sie unter Tränen hervor: „Dreschflegel, natürlich! Ich kann nicht mehr!“

Gerne hätte ich verstanden, was daran so extrem lustig ist. So doll fand ich meinen Einwurf nun auch wieder nicht. Meine Fragen laufen jedoch komplett ins Leere. Gitti kichert und hütet tapfer ihr Geheimnis. Klar ist nur, dass sie irgendeinen Mist verstanden oder assoziiert hat, der noch viel lustiger gewesen sein muss. Der erklärte Witz zündet nur selten, also frage ich nicht weiter. Stattdessen freue ich mich darüber, dass Gitti es lustig hat.

Lachen ist ansteckend. Plötzlich, also überraschend und mit voller Wucht reißt mich im nächsten Augenblick die sprachliche Nähe zwischen „Mist verstanden“ und „missverstanden“ in eine eigene Kicherorgie.

Der Fernseher spult derweil unbeirrt sein Programm ab. Was läuft gerade? Keine Ahnung! Vielleicht nur Mist. Verstanden habe ich bislang jedenfalls nichts.

Am nächsten Morgen sitzen Gitti und ich im Bett und trinken Cappuccino. Vor dem Fenster lässt sich gerade eine Taube auf dem Geländer des Balkons nieder. Die Balkontür steht offen. Gitti ist sofort alarmiert. Sie schreit die Taube an, darauf hoffend, dass die sich erschreckt und verschwindet. Ich erschrecke mich und umklammere den heißen Becher. Es gelingt mir so gerade eben, nichts von dem köstlichen Getränk zu verschütten. Der Becher ist echt heiß. Die Taube interessiert sich indes überhaupt nicht für Gittis Geschrei. Laut und mit ausladenden Armbewegungen beschwert sich Gitti nun bei mir über die unverschämte Taube. Das wiederum hat die Taube wohl gesehen. Sie fliegt augenblicklich davon.

Gittis Bewegung friert ein, ihr Arm zeigt noch vorwurfsvoll in Richtung Balkon. Wir starren beide auf das nun leere Geländer. Und dann durchzuckt es Gitti wieder, sie schlägt sich mit der flachen Hand auf die Stirn und ruft: „Na klar! Taube! Versteh doch. Die hat mich nicht gehört. Sie ist eine Taub-e!!!“

Na, dann kann der Tag ja beginnen. Heute haut mich bestimmt nichts mehr um.

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