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Mit allen Sinnen

Gitti und ich treffen an der Algarve ein. Während unseres Urlaubs wollen wir diese tolle Region mit allen Sinnen erleben. Blaues Meer, blauer Himmel und ein paar weiße Wölkchen – das sind die ersten Eindrücke, über die wir uns freuen. Es ist warm. Ein angenehmer Wind weht uns um die Ohren. Tief flute ich meine Lungen mit wohltuender Meeresluft.

Das wunderschöne Städtchen Lagos schmiegt sich etwa zwei Kilometer von unserem Hotel entfernt an die Bucht. Entlang eines flachen Sandstrandes können wir bis zur Stadt gelangen. Heute wollen wir nicht durch den Sand stapfen. Deshalb nutzen wir einen breiten Holzsteg, der parallel zum Meer auf Stelzen direkt am Saum des Strandes verläuft. Immer wieder bleiben wir stehen und ergötzen uns an der malerischen Kulisse.

Zuerst erreichen Gitti und ich den Hafen. Auf der anderen Seite der Hafeneinfahrt erheben sich die berühmten, bizarren Formationen der Kalksteinfelsen majestätisch aus dem Meer. Auf der Seite liegt auch der Stadtkern. Hafen und Altstadt sind durch eine Fußgängerbrücke verbunden. Sie ist als Zugbrücke gebaut und öffnet sich immer dann, wenn ein größeres Segelschiff mit hohem Mast in den Hafen einfährt oder ihn in Richtung Meer verlässt.

Von hier aus stachen einst mutige portugiesische Entdecker mit der ersten Karavelle in See. Am Kai liegt eine Nachbildung des berühmten Zweimasters von Dom Henrique de Avis, bei uns besser bekannt als Heinrich der Seefahrer. Er selbst ist vermutlich nur ein einziges Mal zur See gefahren, aber er betätigte sich als Schirmherr und förderte die Seefahrt beträchtlich. In der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts initiierte und finanzierte Dom Henrique zahlreiche Entdeckungsreisen, vor allem in Richtung Afrika. Für diese Reisen eignete sich die kleine Karavelle mit ihrem niedrigen Tiefgang und ihrem hohen Heck sehr gut. Sie hatte eine hohe Tragfähigkeit für recht viel Ladung und war extrem wendig und schnell.

Gitti und ich buchen einen kleinen Ausflug. Wir wollen die vielen Grotten vom Wasser aus betrachten. So schippern wir bald in einem kleinen, motorbetriebenen Boot aus dem Hafen. Wir befinden uns mit nur sechs anderen Menschen an Bord einer kleinen Nussschale, darunter befinden sich auch der Bootsführer und eine kundige Fremdenführerin. Als wir an der Karavelle vorbeikommen, staune ich darüber, wie klein sie selbst aus unserer Nussschale heraus betrachtet wirkt. Ich entdecke eine Pappfigur, die man an der Reling auf das erhöhte Heck gestellt hat, um uns die Größenverhältnisse zu verdeutlichen.

Was müssen die Entdecker doch für einen Mut aufgebracht haben, sich mit solch einem kleinen Ding in die weiten Fluten des großen Meeres zu werfen! Damals war bestimmt einigen von ihnen noch nicht klar, ob und wie es hinter dem Horizont weitergeht. Irgendwann gibt es nur noch diese Seefahrer und das Wasser um sie herum. Weit und breit kein Land mehr in Sicht. Hier duften keine Pflanzen mehr, hier gibt es nur noch den salzigen Geschmack des Meeres, vielleicht noch gepaart mit den Gerüchen, die sich auf einem so kleinen Schiff auch wenig romantisch ausbreiten, bevor sie vom Wind davongetragen werden. Was muss das wohl damals für ein Gefühl gewesen sein?

Gitti und ich schippern gemütlich weiter zu den Grotten. Wir tragen orangefarbene Schwimmwesten, die Küste ist stets in Sicht. Und doch reduziert uns unser Gefühl auf die uns angemessene Größe, die wir als Menschen nun einmal haben – besonders im Vergleich zu der beeindruckenden Natur um uns herum.

Blaues Wasser, mal rot, mal golden leuchtendes poröses Gestein, aberwitzige Formen, vom Meer beständig ausgewaschen – das ist schon ein besonderes Erlebnis. Wir sind hier nicht allein. Auch wenn die Saison erst nächsten Monat so richtig losgeht, sind doch schon recht viele interessierte Mitmenschen auf dem Wasser unterwegs. Alle wollen die Grotten sehen und in die Farbenpracht der im Sonnenlicht schimmernden Kalksteine eintauchen. Um unser Boot herum paddeln Gruppen von Kanuten, andere Boote begleiten unseren Weg parallel. Deshalb beschleicht mich bei Einfahrt in eine der Grotten das irritierende Gefühl, wir befänden uns mitten in einer Art Rush-Hour auf dem Meer. Doch dann ziehen mich die Felsen, das Licht und das Wasser wieder vollständig in ihren Bann. Ein wenig Gischt spritzt mir kühl ins Gesicht, als unser Bootsführer etwas Gas gibt.

Wir kommen zurück in den Hafen. Beim Aussteigen wackeln meine Beine mehr, als ich erwartet hätte. Wir legen die Schwimmwesten ab, stabilisieren unseren Gang und verabschieden uns mit Dank und Trinkgeld von unseren Fremdenführern. Leise summe ich die Melodie von „Don‘t pay the Ferryman“.

Jetzt lockt die Altstadt Gitti und mich mit ihren schmalen Gassen magisch an. Wir haben Durst. Oder wollen wir zuerst ein Eis essen? Mal sehen, wo es uns gleich zuerst hineintreibt!

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