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Mit Leib und Seele

Was Du auch tust, es wird besonders, wenn Du mit Leib und Seele dabei bist!

Kaum habe ich das Ausrufezeichen ans Ende des Satzes gesetzt, schon dröhnen laute Einwände in meinen Ohren: Ja schon, aber …

Klar, ich mache nicht alles mit Leib und Seele. Und nicht alles muss unbedingt besonders werden – weder besonders gut noch besonders schlecht.

Das Besondere sticht heraus. Es zieht meine Aufmerksamkeit auf sich. Möglicherweise lag mein Interesse gerade noch müde irgendwo herum oder es richtete sich auf andere Dinge. Just in dem Moment, in dem sich das Besondere präsentiert, passiert etwas in und mit mir. Das macht mein Leben bunt. Im Besonderen liegen ganz unterschiedliche Chancen. Läuft es nicht so gut, wird es mir bald zu bunt. Mit etwas Glück jedoch macht das Besondere mein Leben schön bunt.

Unsere letzten Tage waren auf jeden Fall schön bunt.

Zuerst entführt Gitti mich in ein Sternelokal. Es liegt im Herzen der Stadt und doch so versteckt, dass Gitti es erst vor kurzem entdeckt hat. Das Lokal befindet sich in einem kleinen, sehr gemütlichen Gewölbekeller. Es gibt nur wenige Tische. Die Atmosphäre ist ruhig und wir fühlen uns von der ersten Sekunde an auf eine sehr herzliche Weise willkommen. Die Küche ist offen. Der Küchenchef kommt zu uns an den Tisch. Er sagt, er habe Lust, für uns etwas Besonderes zu kochen und gibt einen kleinen Ausblick auf die Speisenfolge. Seine Kollegin und er zaubern leise und konzentriert ein vorzügliches Mahl. Der Sommelier des Hauses kümmert sich um die passenden Getränke, serviert und erläutert genauer, was wir hier genießen dürfen. Die kulinarischen Kunstwerke munden uns hervorragend. Wir spüren, dass alle hier mit Leib und Seele dabei sind. Gitti und ich fühlen uns liebevoll umsorgt und werden in jeder Hinsicht verwöhnt.

Zwei Tage später zieht es uns ins Kino. Wir sehen uns „Die Gleichung ihres Lebens“ an. Der Film handelt von einer jungen Mathematikerin, die versucht, einen Beweis für die Goldbachsche Vermutung zu finden. Dabei geht es darum, ob jede gerade Zahl, die größer als 2 ist, die Summe zweier Primzahlen ist. Eine Primzahl lässt sich nur durch sich selbst und durch 1 teilen. Es ist kein Problem, viele Beispiele zu nennen, bei denen die Vermutung stimmt. Fangen wir mal klein und übersichtlich an: 16 = 13 + 3. Bei 98 = 79 + 19 wird es schon unübersichtlicher. Man weiß schon, dass die Aussage für alle Zahlen bis 4*1018 gilt. Das ist eine 4 mit 18 Nullen hintendran! Der Beweis dafür, dass die Vermutung für wirklich alle geraden Zahlen richtig ist, also für jede beliebig große gerade Zahl gilt, fehlt bislang. Für Mathematiker ist solch ein Beweis ungeheuer wichtig.

Zuerst macht die Hauptdarstellerin einen etwas nerdigen Eindruck. Scheinbar lebt sie für die Mathematik und hat keine Ahnung, wie ein soziales Miteinander funktioniert. Als sie sich mit einem Fehler in ihrer Beweisführung blamiert und zeitgleich von ihrem Doktorvater fallengelassen wird, gerät ihr bisheriges Leben komplett aus den Fugen. Sie schmeißt hin. Natürlich liegt darin auch ein Anfang. Die junge Frau und der Film entwickeln sich prächtig. Die anderen Kinobesucher und wir begleiten eine spannende Reise und bestaunen die vielen liebevoll herausgearbeiteten Aspekte der Geschichte. Gitti und ich fiebern richtig mit. Dabei entdecken wir ganz viel Leidenschaft, Herzblut und Intuition. Ich will die Geschichte hier nicht nacherzählen, lieber empfehle ich an dieser Stelle einen Besuch im Kino!

Gitti und mich hat dieser Film wirklich sehr berührt. Noch lange danach diskutieren wir angeregt über Herausforderungen aller Art und über rote Fäden, die sich durch unser Leben ziehen.

Auch bei der Lösung scheinbar seelenloser Probleme lohnt es sich, mit Leib und Seele einzusteigen. Ich bemerke, dass ich meine eigene Kreativität besser in Gang setzen kann, wenn ich mich in die Situation hineinversetze, in der mein aktuelles Problem es sich offensichtlich gemütlich gemacht hat. Ich betrachte und erfühle das Problem aus allen erdenklichen Perspektiven heraus.

Leicht entsteht in mir beispielsweise die Vorstellung, dass ein Programm auf meinem Computer wie ein Mensch tickt, merkwürdige Absichten verfolgt und sich ausgerechnet mir, also seiner Besitzerin gegenüber im Zweifelsfall sogar wie das größte Arschloch aller Zeiten verhält. Ich weiß, dass ich diejenige bin, die zu diesem Zeitpunkt einfach noch nicht weiß, wie sie zum Ziel kommt. Also beginne ich eine imaginierte Unterhaltung mit dem normalerweise doch so einfachen und langweiligen Computerprogramm. Das Programm nimmt für mich immer mehr die Gestalt einer Person an, bei der ich mittels meiner Eingaben und Mausklicks Bitten, Forderungen und Informationen ablade. Manchmal lassen mich des Programms Reaktionen entdecken, wie dessen Programmierer tickt. Das Besondere blitzt auf. Wenn das passiert, kann ich plötzlich fast körperlich spüren, was ich tun muss, um das Programm endlich erfolgreich anwenden zu können.

Danach verwandelt sich mein Programm zum Glück sofort wieder in das, was es eigentlich ist, nämlich in ein einfaches Werkzeug. Es mag verrückt klingen, aber mir gibt solch eine Situation ganz viel. Noch verrückter ist: Ich muss die Programm-Maske auf dem Bildschirm in solchen Momenten unbedingt kurz anlächeln und ihr dann auch noch zuzwinkern.

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