Und täglich grüßt nicht nur das Murmeltier! Sobald ich Augen und Ohren öffne, strömt alles Mögliche auf mich ein. Natürlich setze ich Filter und Blocker – nicht nur aktiv im Netz, sondern auch ganz natürlich, geradezu passiv, tief in meinem Innersten. Mein Unterbewusstsein übernimmt dabei ungefragt einen großen Teil der Filterarbeit. Zusammen mit meinem vegetativen Nervensystem sorgt es für eine schnelle Verarbeitung von Reizen aller Art.
In die Arbeit meines Unterbewusstseins kann ich mich nur auf Umwegen einmischen. Es lernt aus allem, was ich so mache. Allerdings greift es dabei vor allem auf gut eingeübte Verhaltensmuster zurück, und die spult es dann wieder und wieder ab. Dennoch bin ich fest davon überzeugt, dass ich mein Unterbewusstsein gezielt auf andere Verhaltensweisen trainieren kann. Ohne das entwickelt sich niemand weiter. Genau hier liegt meine Chance!
Ab und zu mache ich mir bewusst, was gerade unterbewusst in mir abgelaufen ist. Hat meine erste und spontane Reaktion schon ihren Weg nach draußen gefunden? Gucke ich gerade nur genervt oder habe ich meinem Gegenüber schon lauthals eine Beleidigung an den Kopf geworfen? Mit ein wenig Glück ist noch nicht alles zu spät. Dann kann ich bewusst gegensteuern und im besten Fall die Situation retten. Ist etwas gut gelaufen, wird es von mir bewusst gefeiert. Es ist, als ob ich an ein Verhalten, das mir geholfen hat, ein großes Ausrufezeichen kleben könnte. Durchwühlt mein Unterbewusstsein das nächste Mal mein Repertoire an verfügbaren Verhaltensmustern, dann soll es genau dieses Verhalten für ein probates Mittel halten und auswählen!
Das klingt nicht nur mühsam, es ist mühsam!
Heutzutage ist es gar nicht mehr so leicht, im Alltag Kurs zu halten. Ob es in Wahrheit je leicht war, weiß ich nicht. Auffällig ist auf jeden Fall, dass es so viele Eingangskanäle gibt, wie nie zuvor. Abgesehen von Zeitungen, Zeitschriften und Wurfsendungen landen immer weniger Dinge im analogen Briefkasten. Das spart immerhin Papier. Es gibt unterschiedliche digitale Kanäle, über die sich allerlei Reize, Informationen und Anliegen ihren Weg zu mir suchen. Manchmal fühle ich mich davon überflutet. Meinem Unterbewusstsein habe ich immerhin schon erfolgreich beigebracht, wie ein wichtiger Teil von Digital Detox trotz Netznutzung funktioniert. Mit flinker Hand klicke ich alles weg, was auch nur entfernt nach lästiger Werbung aussieht, ohne bewusst wahrzunehmen, wer mir da was verkaufen will. Den Rest von Digital Detox leiste ich ganz bewusst: Privat gucke ich nur in unregelmäßigen Abständen in meine digitalen Postfächer. Als Follower eigne ich mich überhaupt nicht.
Aller Disziplin zum Trotz bekomme ich natürlich mit, dass inzwischen recht hemmungslos auf die Menschen eingeredet wird. Es kursieren haufenweise Botschaften unterschiedlicher Art. Influencer verbreiten Tipps, Tricks und Trends. Vieles davon ist sicher hilfreich und harmlos. Leider verbreiten sie manchmal aber auch unglaublich krude Ansichten und wilde Theorien, oder sie tragen gar zur Verbreitung von Hass und Hetze bei. Jeder von denen glaubt sich im Recht und findet an seinem Verhalten nichts Verwerfliches.
Die Güte oder den Informationsgehalt der im Netz dargebotenen Inhalte zu beurteilen, wird immer schwerer. Wie finde ich heraus, ob ich einer gezielten Desinformation oder einer dreisten Lüge aufsitze? Und mal ganz ehrlich: Habe ich immer Lust, mich darum zu kümmern? Nein!
Ich denke eine Weile darüber nach. Natürlich habe ich keine gute und vor allem keine einfache Antwort. Am Ende geht es immer um gewonnenes Vertrauen und um das große Geschenk, das man selbst macht, wenn man jemandem Glauben schenkt. Ein verlässlicher innerer Kompass kann helfen. So ein Kompass richtet sich allerdings auf Basis unserer bisherigen Erfahrungen aus. Sowas kann man nur schwer vermitteln.
Eine Chance sehe ich: Inzwischen bin ich ja auch nicht mehr ganz so jung. Vielleicht versuche ich einfach, mich einigermaßen anständig zu verhalten. So hier und da kann ich auch erzählen, was mir wichtig ist und wozu das gut sein soll. Es könnte durchaus sein, dass sich später einmal irgendjemand da draußen fragt, was ich jetzt denken oder tun würde. Ob ich dann wohl eine Idee liefern konnte?
Ich schrecke auf, als Gitti plötzlich den Ton des Fernsehers lauter dreht. Ohne weiteren Kontext dringt deshalb genau in diesem Moment von außen ein Wort in mein Ohr: Infodemie.
Außer diesem Wort rauscht nur der Blutdruck in meinem Ohr. Der ist schnell mal vor lauter Schreck in die Höhe geschnellt. Brav assoziiere ich sofort Begriffe, die auf „demie“ enden: Pandemie, Endemie, Epidemie, Akademie. Ui! Abgesehen von der Akademie sind diese Begriffe für mich ausnahmslos negativ besetzt. Allen gemeinsam ist eine schnelle und umfassende Verbreitung von Zeug, das sich niemand zu haben wünscht. Und jetzt auch noch die Infodemie? Oder habe ich mich verhört und es heißt Infludemie – wegen der vielen Influencer?
Mein Unterbewusstsein schlägt sofort zu und lässt mich spontan laut seufzen. Gitti guckt zu mir herüber. Ich kann nicht sagen, ob sie eher genervt oder eher irritiert guckt. Wir verzichten beide darauf, das jetzt zu klären. Die Leute im Fernseher sind längst mit einem völlig anderen Thema beschäftigt. Gitti wendet sich dem zu, was sie dort eigentlich sehen wollte.
In mir geistert derweil die Infludemie herum. Mir fällt ein: Auch ich puste meine Botschaften in kleine Geschichten verpackt ungefiltert in die Welt. Selbstverständlich halte ich mein Geschreibsel für völlig harmlos! Ich werbe für Toleranz, beschreibe immer wieder gerne die Kraft der Zuversicht und bin stets dem wunderbaren Zauber auf der Spur, der uns in kleinen kostbaren Situationen schmunzeln lässt. Dieses Schmunzeln mag ich teilen. Viele Leute zu beeinflussen oder ihnen gar irgendetwas einzureden, gehört ausdrücklich nicht zu meinen Zielen.
Manchmal trage ich für meine Geschichten ein paar Informationen zusammen. Und genau hier komme ich einem wirklich positiven Aspekt der Infodemie auf die Spur. Es gibt nämlich unglaublich viele Mitmenschen, die mit Liebe, großem Aufwand und oft sogar völlig unentgeltlich hilfreiche Informationen zusammenstellen und für alle zugänglich machen. Die freie Enzyklopädie Wikipedia ist ein tolles Beispiel dafür. Bei ihr gibt es sogar eine gut funktionierende Qualitätskontrolle. Mich hat dieses Nachschlagewerk schon oft richtig weitergebracht. Ganz nebenbei habe ich bei solchen Recherchen auch immer wieder lustige Absprünge zu anderen Themen gefunden.
So – und jetzt muss ich dringend mal gucken, ob es die Infludemie wirklich gibt … Vielleicht finde ich dann endlich auch mal andere, schöne Demien! Wie wäre es zum Beispiel mit einer Freudemie? Sorry, ich muss jetzt echt los …