Um 5:25 Uhr gebiete ich meinem Wecker Einhalt. Das beherrsche ich selbstredend im Schlaf. Gestern waren Gitti und ich mit Freunden aus. Jetzt möchte mein Körper dringend noch ein bisschen schlafen, und mein Geist mag weiter vom gestrigen Abend träumen. Ich schlafe wieder ein. Das ist jedenfalls die einzige Erklärung, die mir einfällt. So muss es gewesen sein.
Ein paar Minuten später beginnt der Teil des Tages, an den ich mich erinnern kann.
Das Schlafzimmer ist hell erleuchtet. Aus kleinen Augen sehe ich Gitti, die mit dem Smartphone in der Hand herumläuft. Sie sagt: „Wir haben Stromausfall.“ Dann verlässt sie den Raum. Bald verhallen ihre Schritte.
Mein Geist bemüht sich darum, die erhaltene Information zu verarbeiten. Wieso ist das Licht an, wenn es keinen Strom gibt? Wäre ich schon richtig wach, so wüsste ich eine gute Antwort. Ich bin aber noch etwas verpeilt, und ich brauche Zeit, um den Wachzustand vollständig erreichen zu können. Ganz kurz falle ich in den Schlaf zurück, aber dann erlange ich doch wieder das Bewusstsein. Ich liege im Bett, gähne, versuche, meine Glieder zu strecken und reibe mir die Augen. Ich richte mich etwas auf. Das Licht der Deckenlampe ist eindeutig hell. Sehr hell. Gitti ist noch nicht zurück. Ratlos sinke ich zurück in die Arme des warmen Bettes.
Wenn Gitti sagt, dass es einen Stromausfall gibt, dann gibt es einen Stromausfall. Ohne Strom kann ich nicht arbeiten. Ich muss zur Toilette.
Draußen ist es noch dunkel. In der Toilette lässt sich das Licht nicht einschalten. Egal, eine volle Blase ist auch keine Lösung. Wer seinen Wecker im Schlaf bedienen kann, der findet sich auch im Dunklen zurecht …
Nach dem Händewaschen erkunde ich die angrenzenden Räumlichkeiten. Nirgends Licht. Allein die Deckenleuchte im Schlafzimmer leuchtet kraftvoll, wenngleich doch etwas einsam, wie ich jetzt finde. Und wo bleibt Gitti? Muss ich mir Sorgen machen?
Ich tapse durchs Haus und finde Gitti in der Küche. Sie steht an der Kaffeemaschine. Ein Kerzenständer mit einem Teelicht spendet warmes Licht auf der Arbeitsfläche. Das Display der Kaffeemaschine leuchtet. Als ich gerade fragen will, was sie da macht, gibt die Kaffeemaschine mir sehr vertraute Geräusche von sich. Am Kaffeeauslass gibt es eine Art Tassenbeleuchtung. Und die inszeniert ab dieser Sekunde eindrucksvoll den Vorgang der Getränkeausgabe. Die Maschine sendet hellweißes Licht direkt in die Tasse, in der die bereits aufgeschäumte Milch den heißen Kaffee schon sehnsüchtig erwartet. Druckvoll und unter Verströmen herrlichen Duftes ergießt sich sodann das wunderbare Getränk über zwei Auslassdüsen in die Tasse, begleitet vom Knarzen der Maschinenteile. Mir läuft das Wasser im Mund zusammen.
Die Kaffeemaschine funktioniert also, aber wir können in der Küche kein Licht machen. Der Kühlschrank schläft stromlos vor sich hin. Der Router bekommt auch keinen Strom. Die Sicherungen hat Gitti schon überprüft. Ich bin sprachlos ob der Szenerie, die sich mir bietet. Das sieht so irre aus! Bei schwachem Kerzenschein bereitet Gitti mit einer Maschine, die eindeutig Strom aus der Steckdose braucht, in aller Seelenruhe zwei leckere Cappuccini zu. Großes Kino. Ganz großes Kino!!
Wir ziehen uns mit den heißen Getränken wieder ins Bett zurück. Dass der Strom bei uns nur durch bestimmte Leitungen fließt, deutet darauf hin, dass nur eine der drei Phasen des Stromnetzes betroffen zu sein scheint. Gitti meldet den Stromausfall über ihr Smartphone beim zuständigen Netzbetreiber.
Es macht keinen Sinn, im Homeoffice auf die Behebung der Störung zu warten, wenn man dort ohne Strom nicht arbeiten kann. Es macht auch keinen Sinn, mit allen Gerätschaften in die Küche umzuziehen und alles an die eine Steckdose zu hängen, aus der noch elektrischer Saft zu zapfen ist. Ich werde heute ins Büro fahren.
Langsam wird es draußen hell. In unser Bad dringt schon etwas Tageslicht. So muss ich dort nicht im Kerzenschein agieren. Die Heizung ist auch ausgefallen, warmes Wasser ist also nicht zu erwarten. Dennoch versetze ich mich angesichts des heller werdenden Tageslichtes dankbar in einen Zustand, in dem ich aus dem Haus gehen kann. Gitti kuschelt sich nochmal in ihre Bettdecke und bettet ihr Haupt auf ihr Kopfkissen. Sie wird den Stromausfall einfach schlafend überbrücken.
Mein Auto steht gerade in der Garage. Ich bekomme das Tor nicht auf. Der elektrische Torantrieb hängt an der ausgefallenen Phase. Längst weiß ich, dass ich zu schwach bin, um das Tor von Hand aufzuschieben. So ein Mist.
Ich wecke Gitti wieder auf. Ihr Auto hat die Nacht auf der Straße verbracht, und sie leiht es mir aus. Wie lieb von ihr!!
Die Störung wird wie von Geisterhand behoben, während Gitti noch schläft. So muss es sein!
Zwei Tage später müssen wir noch einmal für ein paar Stunden auf den kostbaren Strom verzichten. Über die anstehende Stromunterbrechung wurden wir bereits vor einiger Zeit in Kenntnis gesetzt, also bereiten wir uns darauf vor. Schmerzlich fällt uns auf, was alles in dieser Zeit nicht funktionieren wird und wie sehr wir inzwischen auf Strom angewiesen sind.
Dieses Mal wird nicht nur eine der drei Stromphasen betroffen sein, sondern es wird alle drei treffen. Und doch wird es nur eine Phase sein – und zwar eine kurze Phase ohne Strom. Das sollten Gitti und ich doch verkraften!
Immerhin hattt ihr noch eine Phase und zuvorkommenderweise war das ausgerechnet die Phase, welche die Küche versorgt.
Als Bewohner eines Hauses mit nur einer einzigen Phase hätte ich nicht so viel Glück, bei mir heißt es „ganz oder gar nicht“, es gibt keine „Phase mit eingeschränkten Phasen.“.
Da lobe ich mir unseren Speicher mit dem wir den von Sonnenlicht erzeugten Strom speichern.
Aber ich werde den „Vorrat“ den wir dem Netzbetreiber nicht zu einem lächerlich niedrigen Preis abgeben etwas erhöhen, damit die Kaffeemaschine länger läuft und läuft und läuft… 😉