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Prinzessin Sockenfalte

Ich kehre gerade von einer kleinen Falten-Expedition zurück. Angefangen hat es mit einem kritischen Blick in den Spiegel. Welch ein gewagtes Unterfangen!

Natürlich entdecke ich dabei Falten. Das ist nicht schlimm, denn ich mag meine Falten. Die Lachfalten liegen mir besonders am Herzen. Sie erzählen von vielen lustigen Begebenheiten. Sie zeugen auch von der Fähigkeit, den Zauber der Komik entdecken zu können, der selbst Situationen innewohnt, die zunächst sehr ernst, sehr traurig, sehr betrübend oder auf andere Weise sehr unliebsam daherkommen. Neben meinen Lachfalten gibt es natürlich auch andere Falten zu sehen, zum Beispiel die Querfalten auf der Stirn, die Erstaunen oder hohe Aufmerksamkeit ausdrücken können. Sorgenfalten sehe ich selten. Zwischen beiden Augenbrauen kann ich ein kleines Faltenpaar erzeugen, das senkrecht nach oben weist und Missfallen unterstreicht. Um die Mundwinkel herum und zwischen Nase und Oberlippe gibt es weitere Möglichkeiten, den Ausdruck meines Gemütszustandes zu untermalen.

Ich lasse mir Zeit und schneide ein paar Grimassen. Als Kind hatte ich mächtig viel Respekt davor. Meine Eltern hatten Spaß daran, mir einzureden, dass ein blöder Gesichtsausdruck auch dauerhaft stehenbleiben könnte. Sie haben mir zum Glück aber auch beigebracht, in Gesichtern zu lesen und die Schönheit von Lachfalten zu feiern. Danke dafür!

Zum Abschluss inspiziere ich noch Länge und Tiefe meiner Angela-Grübchen, die von den Mundwinkeln nach unten zeigen. Zufrieden stelle ich fest, dass sie immer noch recht kurz und nicht wirklich tief eingegraben sind. Im entspannten Zustand glättet sich viel. Das passt zu mir.

Ein letztes Zwinkern werfe ich meinem Spiegelbild noch entgegen, dann verlasse ich beschwingt das Bad, in dem der Spiegel hängt. Auf geht’s, es gibt noch viel zu tun.

Im Laufe des Tages begegnen mir Falten aller Art. Mir fällt der Fächer auf, der so genial zusammengefaltet sein meist tristes Dasein in meiner Tasche fristet. Er ist stets bereits, jemanden zu erfrischen. Gitti verlässt sich gerne darauf, dass ihr der Fächer passgenau immer dann gereicht wird, wenn es an der Zeit ist, ihr Abkühlung zu verschaffen oder ihr Mütchen zu kühlen. Neben dem Fächer entdecke ich einen zusammengefalteten Zettel. Er birgt eine wirre Skizze, daneben Fragmente einer Wegbeschreibung und eine mehrfach fett umkritzelte Hausnummer. Ich brauche ein Weilchen, bis mir wieder einfällt, wo das genau ist und was wir da neulich wollten. Ob ich ihn nochmal brauchen werde? Kann ich ihn dem Altpapier überantworten? Keine Ahnung. Kopfschüttelnd falte ich den Zettel zusammen und stecke ihn wieder hinter den Fächer.

Nach Feierabend machen Gitti und ich uns noch auf den Weg zur Pizzeria. Das ist ein schönes Ziel für einen mittleren Spaziergang mit integrierter Speisepause. Etwas Bewegung tut uns beiden gut. Der sympathische Kellner hat sich heute wieder ein Sträußchen Rosmarin hinters Ohr gesteckt. Als er Gitti sieht, ruft er: „Hallo Schnuckelchen, schön, Euch zu sehen! Habt Ihr reserviert?“ Eigentlich ist ihm völlig egal, ob wir reserviert haben. Meistens findet er noch ein schnuckeliges Plätzchen für uns.

Wir nehmen auf der schönen Terrasse Platz. Gitti seufzt und nestelt an ihrem Schuh herum. Dann taucht sie vollends unter den Tisch. Ich beuge mich von der anderen Seite des Tisches zu ihr herunter und frage: „Was ist? Schnuckelchen?“ Gitti ist aber gerade gar nicht nach Schnuckelchen-Scherzen zumute. Sie parkt ihren inzwischen befreiten Fuß auf dem Schuh und sagt: „Sockenfalte!“ Ich frage: „Blase?“ Gitti zuckt mit den Schultern. Dann tauchen wir beide wieder auf und erkunden erstmal die Speisekarte.

Nach dem Essen beschwert Gitti sich bei mir darüber, dass einfach alles an ihr so empfindsam ist. Sie kommt sich vor, wie die Prinzessin auf der Erbse. So wollte sie nie sein! Ich besänftige sie mit allem, was ich argumentativ aufzubringen habe. Natürlich versichere ich ihr auch, dass der empfindsame Köper doch offensichtlich ihrer empfindsamen Seele ein angemessenes Heim bietet. Gitti findet allerdings, dass eine stabilere Hardware vielleicht besser geeignet wäre, softe Software zu ummanteln. Sie bestellt die Rechnung.

Der Kellner kredenzt uns samtig schmeckenden Grappa aufs Haus.

Nicht mehr ganz so unglücklich steigt Gitti wieder in ihrem Schuh und schimpft dabei noch ein wenig unter dem Tisch vor sich hin. Als sie wieder auftaucht frage ich: „Na, sollen wir aufbrechen?“ Gitti richtet sich auf, schenkt mir ein schönes Lachen, verziert mit den tollen kleinen Lachfalten, die ich so gerne an ihr sehe und verkündet mit fester Stimme, dass Prinzessin Sockenfalte startklar ist.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Mauro und Gianna

    Wir haben so herzlich gelacht, und nur ihr beiden wisst genau warum hi hi hi………
    Schön wie du liebe Miri die Erlebnisse in Worte verpacken kannst!
    Weiter so!

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