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Quatsch im Sinn

Langeweile ist die Wiege der Kreativität. Davon bin ich schon seit vielen Jahren überzeugt.

Kinder, die sich langweilen, kommen bekanntlich auf allerlei Quatsch. Für Erwachsene gilt das selbstverständlich auch, vielleicht sogar in besonderem Maße!

Das Wort Quatsch habe ich übrigens neulich aus purer Langeweile heraus nochmal nachgeschlagen. Unsinnige Taten oder Äußerungen werden mir als erstes angeboten, wenn ich mich für Quatsch interessiere. Der Duden lässt mich wissen, dass es um harmlosen Unfug, Alberei und Jux geht. Er weist jedoch auch auf andere Bedeutungen von Quatsch hin und klassifiziert sie allesamt als salopp abwertend. Die Krönung ist wohl Quatsch mit Soße. Schwupps, geht es um Zurückweisung und Ärger. Ja, so schnell geht das!

Ich habe keine Lust, mir meine gute Laune davon verderben zu lassen. Ich mache gerne Quatsch. Lustigen Quatsch. Quatsch, bei dem niemand zu Schaden kommt, möglichst frei von Häme, denn die mag ich gar nicht. Häme ist boshaft, mit Häme ergötzt man sich am Schaden anderer, und Häme dient in Reinform der Demütigung anderer Leute. Pfui!

Natürlich bin ich manchmal auch ein bisschen schadenfroh. Wenn dem Blödmann von nebenan eine kleine Ungerechtigkeit widerfährt und ich heimlich denke, dass er dieses bisschen Schaden jetzt echt verdient hat, weil es wirklich Zeit wird, dass er endlich mal auf Normalmaß reduziert wird, der olle Angeber, dann gebe ich mich meiner Schadenfreude ganz ohne schlechtes Gewissen hin. So! Und damit bin ich genauso mies, wie die anderen! Ha!!

Mein Ego fühlt sich geschmeichelt. Ich bin nämlich in diesem Moment gefühlt viel besser als er. Ich stehe gut da und er endlich mal nicht! Eigentlich ist mir sein Schaden völlig schnuppe. In Wahrheit geht es gar nicht um ihn. Hier geht es um mich und endlich mal nicht um ihn!

In all seiner Herrlichkeit hat der Blödmann von nebenan sein Auto gerade mitten auf dem Bürgersteig geparkt. Mal wieder! Und den Motor lässt er laufen. Kurz vor dem Aussteigen tritt er noch ein paar Mal kräftig aufs Gaspedal. Will er damit die Schar geneigter Zuschauer zusammenrufen? Übernimmt das Aufheulen des Motors in seiner Vorstellung die Funktion von Kirchenglocken oder dem Ruf des Muezzins? Ich schaue von oben herunter und unterbreche kurz, was ich eigentlich gerade mache.

Er steigt aus und lässt seinen Blick in die Runde schweifen. Bedeutungsschwanger ergreift der Mann mit beiden Händen seinen Hosenbund, zerrt ihn nach links und rechts und schubbelt seine Hose Stück für Stück nach oben. Na prima, dann haben wir das jetzt auch gesehen. Mir entfährt ein kleiner Seufzer.

Die Kofferraumklappe schwingt auf Knopfdruck nach oben auf. Ich kann das leise Zischen der Gasdruckfedern, die die Bewegung der Klappe kraftvoll unterstützen, förmlich hören. Der Akt des Ausladens beginnt. Kisten wechseln ihren Standort, verlassen das Innere des Kofferraums und bilden bald einen ansehnlichen Stapel. Die Vorstellung strebt ihrem geplanten Höhepunkt zu. Allen will der Herr der Getränke nun zeigen, dass er vier volle Bierkisten auf einmal in sein Haus tragen kann. Blöder Hochstapler! Nicht zwei links, zwei rechts, nein! Vier Kisten aufeinander, vor dem dicken Bauch und dem hochroten Kopf aufgestapelt!

Unser Akteur geht ein wenig ungelenk in die Knie, packt die unterste Kiste und richtet sich mit theatralem Stöhnen auf. Dann setzt der Herr sich in Bewegung, strebt seinem Haus zu – und irgendetwas bringt ihn flugs aus dem Tritt. Wie ein Brummkreisel beginnt er zu taumeln, versucht, mit seinem Kistenstapel Kurs zu halten und wieder in die Spur zu kommen. Die Vorstellung gerät nicht ganz so elegant, wie bestimmt von ihm erhofft, aber die grobe Richtung stimmt. Ich lehne mich ein wenig nach vorne, um besser sehen zu können.

Der noch geöffnete Kofferraum gibt den Blick frei auf die weiteren Bestandteile des Einkaufs. Aus Taschen winken diverse Chipstüten. Ich identifiziere eine Steige Milch, große Tuben mit Senf und Ketchup sowie eine Großpackung Papiertücherrollen – super soft und super saugfähig. Sehr vorausschauend!

Gerade noch rechtzeitig schaue ich, wie weit der Brummkreisel inzwischen gekommen ist. Der wankende Turm stolpert erneut – und fällt. Mit großem Getöse prallen Kisten und Flaschen aufs Pflaster. Flüche folgen auf einen kurzen Schmerzensschrei, Bier ergießt sich in den Rinnstein. Der Motor läuft weiter vor sich hin. Hinter Gardinen und auf Balkonen vermehrt sich die Zahl interessierter Zuschauer. Durch mein Hirn turnt ein kleines schadenfrohes: „Das kommt davon. Wie kommt Mann auch auf solch einen Quatsch.“

Größeren körperlichen Schaden hat der Herr zum Glück nicht genommen. Den folgenden Aufräumarbeiten wohne ich nicht mehr bei.

Abends widme ich mich genüsslich anderem Quatsch. Gitti und ich sitzen gemütlich zusammen im Wohnzimmer und wohnen so vor uns hin. Gedankenverloren nestle ich an den Ärmeln meiner Strickjacke herum. Ein Faden erregt meine Aufmerksamkeit. Wo kommt der denn her? Er lugt aus der Naht heraus. Ich zupfe daran. Der Faden wird länger. Gitti sagt: „Lass den Quatsch! Du ribbelst noch alles auf.“ Ich versuche, den Faden wieder ins Gewebe zu ziehen, scheitere jedoch kläglich. Also erhebe ich mich und hole eine Schere.

Als ich zurückkehre, guckt Gitti mich an. Sie bewundert noch einmal das Werk, dass unsere Friseurin am Vortag auf meinem Kopf vollbracht hat. Schon gestern ließ Gitti mich wissen, dass der Haarschnitt ihrer Ansicht nach dieses Mal besonders gut gelungen ist. Anerkennend nickt sie nun, schickt sich an, ein tolles Kompliment zu machen und ruft: „Was bist Du so schön ramponiert!“

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