You are currently viewing Rundes ins Eckige

Rundes ins Eckige

Rundes ins Eckige bringen, das ist der Sinn bei vielen Ballsportarten. Gitti und ich gucken uns solche Spiele meistens gar nicht an. Bei Europa- oder Weltmeisterschaften allerdings halten wir es wie viele andere Leute auch, da gucken wir die Spiele, an denen „unsere“ Mannschaft beteiligt ist, und wir gucken das Endspiel, egal wer da gegeneinander antritt. So richtig ernst nehmen wir das alles nicht, deshalb macht es für richtige Fans keinen Sinn, sich das mit uns zusammen anzutun.

Heute um 21 Uhr geht es los für „Jogis Jungs“. Ja, diese Vokabel kennen wir, ha! Abseits und so kennen wir auch, die wichtigsten Regeln sind uns also geläufig. Am Nachmittag folgen wir einer Einladung zu Kaffee, Kuchen und Abendessen. Sehr lecker, sehr fröhlich, schon lange nicht mehr gesehen, so in etwa lässt sich das zusammenfassen. Deshalb können wir uns auch schier nicht trennen und treten den Heimweg erst an, als das Spiel schon begonnen hat. „Da passiert in den ersten Minuten sowieso nichts“, sind Gitti und ich uns einig. Zum Abschied winken wir noch ein dankbares: „Es war echt mal wieder schön mit und bei Euch“ aus dem fahrenden Wagen hinüber zu unseren Gastgebern, die fröhlich zurückwinken.

Zu Hause werfen wir sofort den Fernseher an. Die Jungs liegen mit 0:1 zurück. Wie kann das denn sein? Immerhin bekommen wir das Tor nochmal gezeigt, also immer wieder zwischendurch, wenn die Regie es zulässt. Wir sehen noch ein paar Tore, die gelten allerdings alle nicht. Zum Glück kennen wir die Abseits-Regel und können die Entscheidungen des Schiedsrichters nachvollziehen. Draußen ist es heiß, drinnen auch, Gitti und ich zischen ein kühles Bier. Am Ende steht es immer noch 0:1. Eigentlich haben wir also alles verpasst, was wichtig war. Schulterzuckend begeben wir uns nach dem Spiel ins Bett.

Ein paar Tage später treffen wir uns mit einer Freundin auf dem Wochenmarkt. Sie erzählt, dass Jogis Jungs heute schon wieder spielen werden. 18 Uhr, aha, das schaffen wir diesmal aber locker! Die Freundin guckt ein bisschen wehmütig. „Im Unverstand“, klärt sie uns auf, „habe ich Besuch eingeladen. Fußballhasser! Selbstverständlich gucke ich das Spiel heute also nicht an.“ Als sie die Einladung ausgesprochen hat, war ihr gar nicht bewusst, dass sie an diesem Tag „normalerweise gucken würde“. Sie tut uns leid, aber wir finden es auch gut, dass Besuch wichtiger ist als Fernsehen.

„Über das Gebrüll aus der Nachbarschaft werde ich schon mitbekommen, wie es steht“, überlegt sie und guckt dabei eine winzig kleine Spur traurig. Ich rege also zum Spaß an, dass sie ihren Fernseher im Bad versteckt. Er könnte dort leise in der Badewanne laufen, hinter zugezogenem Duschvorhang und vielleicht sogar mit ein paar Devotionalien hübsch dekoriert. Das merkt bestimmt niemand. Wenn die Nachbarn jubeln, könnte sie dann dringend zur Toilette müssen und dort heimlich die Wiederholung gucken. Und zwischendurch vielleicht auch mal nachsehen, wie es so läuft. Ihren eigenen Jubel müsste sie eben unterdrücken oder rechtfertigen. Die Freundin könnte also behaupten, dass die Nachbarn so laut sind, dass man fast glauben könnte, die säßen hier bei ihr im Badezimmer! Das muss man sich mal vorstellen!!

 „Aber wenn es blöd lauft, sitzt Du den halben Abend im Bad und Deine Besucher denken, es geht Dir nicht gut.“ Wir malen uns gemeinsam genüsslich aus, wie solch ein Abend verlaufen würde. „Und am Ende sitzen dann alle zusammen die komplette zweite Halbzeit über im Bad, die Nachspeise auf dem Schoß und die Getränke auf dem Boden abgestellt. Und die Fußballhasser streiten sich darüber, ob das ein Foul war“, vermute ich. Gitti bemerkt: „Ja, und dann muss einer wirklich ganz dringend zur Toilette, und das geht dann gerade nicht!“ „Genau. Der muss dann zu den Nachbarn, aber die machen nicht auf, weil sie gerade keine Zeit haben“, vermutet die Freundin lachend. Na, das wird ja ein Spaß!

Pünktlich um 18 Uhr sitzen Gitti und ich vor dem Fernseher. Wenn unsere Freundin schon nichts sehen kann, dann machen wir das eben stellvertretend für sie, auch wenn ihr das so gar nicht hilft. Es gibt recht viele Tore und unsere Freundin verpasst ein spannendes Spiel. Von draußen dringt immer wieder Jubel oder auch mal ein Aufstöhnen herein, wenn der Ball das Tor nur knapp verfehlt. In unserer Nachbarschaft haben sich ein paar Grüppchen zusammengetan, die gemeinsam mitfiebern. Das Geschrei kommt allerdings immer zeitversetzt. Wir sehen ein Tor, nach acht Sekunden brüllt die Gruppe aus dem rechts von uns gelegenen Garten. Das Torgeschrei von schräg gegenüber setzt erst noch weitere zwei Sekunden später ein.

Die Nachbarn nehmen das alles viel ernster als wir. Jetzt habe ich schon fast ein schlechtes Gewissen, dass wir schon vor ihnen wissen, was passiert ist. Und doch ertappe ich mich bei der Überlegung, was wohl in Nachbars Garten passieren würde, wenn wir einfach mal „Toooooooooooooor“ brüllten – und dann fällt doch keins. Pfui, das ist gemein! Wir sitzen also still da, freuen uns über die Tore auf der „richtigen“ Seite und zählen die Sekunden bis zum Live-Jubel aus der Nachbarschaft. Dann prosten wir uns zu und raten unserer Freundin im Geiste, schnell ihre Toilette aufzusuchen. Das Spiel endet 4:2.

In ein paar Tagen müssen Jogis Jungs und wir wohl wieder ran. Dann muss das Runde wieder in das Eckige, hoffentlich auf der „richtigen“ Seite. Gitti hat schon gemerkt: „Je öfter die gewinnen, desto mehr Spiele muss ich gucken!“

Dieser Beitrag hat 3 Kommentare

  1. die Freundin

    Ein Blasenriss blieb ebenso aus wie das gemeinsam entworfene Szenario… Gemeinsam rannten wir in schöner Eintracht bei entsprechenden Geräuschen vor den standorttreuen Fernseher – ein Fitnessessen also – wäre da nicht das reichlich genossene Bier gewesen! Wahre Freunde!!

  2. Biggi

    Wieder mal eine super Story…ich denke ihr habt das richtig gemacht… das erste Spiel war nix… beim nächsten ging es uns so: unsere Vermieterin mit Sohn aus Amerika hat sich eingeladen… ääähhh … und so konnten wir nicht schauen … oder immer nur 1-2 Minuten wenn wir rein gingen … und das war wirklich spannend das Spiel meine ich…naja…. Immer noch besser wie beim WM Endspiel mit Italien auf Elba eine Pizza zu bestellen und in diesem Moment als er in die Küche ging fiel ein Tor… lieben Gruß Biggi

  3. Mauro und Gianna

    Wieder einmal eine spannende Story!
    Danke für die Bereicherung in der Auszeit
    vom Alltag! 👍🏻🙏🏻😃

Schreibe einen Kommentar