You are currently viewing Schlankheitskuren

Schlankheitskuren

Gitti verschafft sich Luft. Sie braucht Platz im Regal. Zuerst wird eine Runde geschimpft, dann aber geht Gitti beherzt und sehr pragmatisch ans Werk. Sie bestellt einen Schredder.

Ich brauche auch Platz, allerdings woanders. Diese Erkenntnis folgt einem ernüchternden Sprung in die frisch gewaschene Jeans. Leider weiß ich, dass die Hose nicht zu heiß gewaschen wurde und deshalb auch nicht eingelaufen sein kann. Schon gar nicht in dem Maße! Ich muss dem Hosenbund entgegengewachsen sein. Knopf und Reißverschluss gehen noch problemlos zu, dennoch sitzt plötzlich alles so spack. Auch die Bluse sitzt spack. Ungläubig gucke ich an mir herunter und prüfe mit festem Griff die üblichen „Problemstellen“. Die letzten Wochen habe ich bewusst vermieden, das zu tun. Schließlich weiß ich genau, dass mir nur wenige Maßnahmen einfallen werden, mit deren Hilfe ich das Problem mit den Stellen lösen kann.

Die erste Möglichkeit: Einkaufen gehen. Weil ich mich selbst zu plüschig fühle, verwerfe ich die Möglichkeit sofort wieder. Ich möchte, dass genau diese Kleidungsstücke wieder lockerer sitzen. Auch, wenn sie gerade frisch gewaschen sind! Egal, wie heiß!!

Ich stelle Gedanken zu einer kleinen Energiebilanz an. Alles bleibt im Gleichgewicht, wenn ich nicht mehr zuführe, als ich im Anschluss daran verbrauche. Das folgt auch dem berühmten Energieerhaltungssatz, den ich bereits während meines Studiums bei abenteuerlichsten Berechnungen aller Art zur Anwendung brachte. In diesem Fall liegt das Ergebnis ohne Aufstellung komplizierter Formeln auf der Hand: Den gewünschten Abstand zwischen Bund und Bauch kann ich nur erreichen, wenn ich die Energiezufuhr drossle oder den Verbrauch erhöhe. Puh, das wird nicht so einfach.

Zuerst richten sich meine weiteren Gedanken auf das Drosselpotenzial. Ich esse doch gar nicht so oft und auch gar nicht so viel, konstatiere ich. Meine Ernährung ist total gut: gesund, ausgewogen, reich an Abwechslung und Vitaminen. Was ich esse, esse ich gerne! Ja, dazu gehört auch ein bisschen Schokolade und ein bisschen Alkohol. Ein bisschen Freude darf und muss sein. Sich grämen macht bestimmt dick. Im Vergleich zu den vielen Jahren, in denen ich schon aktiv esse, nehme ich zurzeit weniger Nahrung zu mir als je zuvor. Stimmt das? Vermutlich schon. Bestimmt sogar! Mein Körper hat sich jedoch mittlerweile in Sachen Energieausbeute so optimiert, dass er es locker schafft, immer mehr für schlechte Zeiten einzulagern. Und zwar an Stellen!

Den Energieverbrauch erhöhen – ist das in der heutigen Zeit überhaupt zu verantworten? Grundlos herumlaufen, am Ende gar Sport treiben? Aber wenn ich mich mehr bewege, verbrauche ich mehr Energie und dann schmelzen die Pölsterchen bestimmt wie von alleine ab. Das dürfte eigentlich nicht so schwer sein!

Vorgestern noch habe ich nach der Arbeit dem Unkraut im Garten Einhalt geboten, vieles dabei von Hand herausgerissen. Ich kroch auf allen Vieren herum und bewegte Muskeln, von deren Existenz ich normalerweise gar nichts weiß. Der Hecke zeigte ich die elektrische und die mechanische Gartenschere und strengte mich dabei mächtig an. Nach zwei Stunden war ich schweißgebadet. Die Biotonne, prall gefüllt mit Gartenschnitt, rollte ich stolz heraus. Für den kommenden Tag war laut Abfallkalender die Abfuhr ihres Inhalts geplant, besser hätte mein Timing nicht sein können. Das war doch ein toller Anfang!

Allerdings stellte sich im Anschluss ein ordentlicher Appetit ein. Kopfüber fiel ich also in eine große Schüssel voller Spaghetti Bolognese, liebevoll von Gitti zubereitet und serviert, garniert mit frisch gehobeltem Parmigiano und flankiert von einem oder zwei Gläschen köstlichen roten Weines.

Gestern testeten Gitti und ich eine andere Herangehensweise. Nach Feierabend liefen wir mit den Walking-Stöcken gen Nachbarort, dort pausierten wir beim Italiener und nach dem Essen stocherten wir im Eiltempo zurück. Das verbrauchte bestimmt eine Menge Energie. Wir waren mächtig stolz auf uns. Weil es dann doch zwei große Gläser Bier zur Pizza gab, machten wir auf dem Heimweg keinen Umweg und schafften es gerade noch rechtzeitig zur heimischen Toilette. Erschöpft schliefen wir beide im Anschluss vor dem Fernseher ein.

Heute wurde der Schredder geliefert. Gitti schreddert damit jetzt uralte, von ihr als vertraulich eingestufte Unterlagen. Dies ist ihre Schlankheitskur fürs Regal. Zur Versüßung des lästigen Verwaltungsaktes dröhnt aus der Soundbar laute Musik. Gitti wiegt sich im Takt und stopft ein Stäpelchen Papier nach dem anderen in den hungrigen Schlund des Schredders. Nach einer Weile versagt das Gerät seinen Dienst. Das Ding hat einen Überlastschutz, der sich schützend zwischen Gitti und des Schredders Stromzufuhr wirft. Sie konsultiert die Gebrauchsanleitung und entnimmt ihr den Hinweis, dass der Schredder nicht länger als zwei Minuten am Stück betrieben werden darf. Welch eine Zeitspanne! Wer denkt sich denn sowas aus?!?

So leicht jedoch entkommt der Aktenberg meiner Gitti nicht! Sie pendelt fleißig zwischen Schredder und Rechner hin und her, findet Rechnungen im Spamordner, tätigt Überweisungen und druckt neue Belege aus. Deren Abheftung steht vermutlich noch aus. Gitti kann schließlich nicht alles auf einmal machen! Manch einen der Pendelwege nutzt Gitti zudem, um unsere durstigen Blumen mit frischem Wasser zu versorgen. Ich bin schwer beeindruckt, als Gitti auf einem dieser vielen Wege zu mir kommt und mir ihr Schredder-Leid klagt.

Nachher brechen wir wieder auf, uns fleißig zu bewegen. Mal sehen, was wir erreichen können … und welche Leckereien sich uns diesmal in den Weg legen …

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Es sind wohl nur die kleinen Männchen in der Nacht, die Kalorien heißen, die deine Kleidung im Schrank enger nähen 😄🤣!
    Nur keinen Frust aufkommen lassen!

Schreibe einen Kommentar