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Schmoren lassen

Gitti und ich werkeln in der Küche. Wir wollen ein Rendang zubereiten. Das ist ein Festmahl aus der indonesischen Küche, und nebenbei bemerkt ist es eines meiner Lieblingsgerichte.

Wir verwenden dazu heute etwa 1,5 kg Rinderbug, also ein schönes Schulterstück. Gitti hat es gewaschen und sorgfältig trockengetupft. Nun schneidet sie das Stück in mittelgroße Würfel. Ich kümmere mich um das Würfeln wesentlich kleinerer Sachen: Mir kommen zwei Schalotten, ein paar Zehen Knoblauch und zwei mittelgroße Chilischoten unters Messer.

Danach stellen wir gemahlene Gewürze zusammen. Jeweils zwei großzügig bemessene Teelöffel Koriander und Kreuzkümmel gesellen sich zu einem flachen Teelöffel Fenchelsamen, einem Teelöffel Zitronengras und zu einem halben Teelöffel Nelken. In einer kleinen Tasse vermengt Gitti die köstlichen Pulver miteinander und stellt sie griffbereit neben den Herd.

Später wird Gitti noch eine Dose Kokosmilch, zwei Teelöffel braunen Zucker sowie ein oder zwei Esslöffel Zitronensaft benötigen. Wir haben immer noch ein paar Zitronen vom eigenen Bäumchen, und so presse ich eine halbe davon aus. Was fehlt jetzt noch? Gitti verlangt nach Erdnussöl, einer Pfanne zum Anbraten und der großen quadratischen Pfanne mit dem hohen Rand und dem Glasdeckel, in der sie das Gericht später im Ofen schmoren lassen möchte. Den Ofen heizen wir auf 175°C vor.

Die Kokosmilch wartet alsbald in der quadratischen Pfanne, bereit, aufzunehmen, was Gitti nun in der anderen Pfanne nebenan vorbereitet. Gitti startet. Zunächst dünstet sie die Schalotten, den Knoblauch und die Chilistückchen im leckeren Erdnussöl. Ein herrlicher Duft breitet sich aus, und als Zwiebeln und Knoblauch goldgelb gebräunt sind, zieht alles in die große Pfanne um und badet dort in der Kokosmilch. Portionsweise brät Gitti anschließend die Fleischwürfel scharf an. Sobald sie etwas Farbe angenommen haben, kommt jeweils ein Teil der gemahlenen Gewürze hinzu. Sie legen sich wie eine schützende Kruste um die Würfel. Dann zieht die Portion ebenfalls in die andere Pfanne um. Nach der letzten Fleischportion gibt Gitti den Zitronensaft in die Pfanne und löst damit die noch am Pfannenboden haftenden Gewürzreste ab. Hier soll nichts verbleiben, was lecker ist!

In der quadratischen Pfanne bringt Gitti alles noch einmal ein wenig durcheinander, schmeckt mit dem Zucker ab, entscheidet sich spontan für etwas Salz und Pfeffer und bemerkt, dass sich ein paar der Fleischstücke doch ein bisschen aus der Kokosmilch herausrecken. Wenn sie das jetzt ignoriert, dann werden die Dinger genau an diesen Stellen später trocken und schlimmstenfalls zäh. Deshalb gießt Gitti noch einen Schluck Wasser an und überzeugt die Fleischstücke davon, vollständig unterzutauchen und sich der köstlichen Soße hinzugeben, die sie umgibt. Der Glasdeckel nimmt auf der Pfanne Platz und wird seinen Teil dazu beitragen, dass unser Gericht nicht trockenfällt.

„Wenn es zart werden soll, musst Du es schmoren lassen!“, ruft Gitti mir zufrieden zu. Schwungvoll öffnet sie die Tür des Backofens. Warme Luft schlägt ihr entgegen und sorgt zunächst einmal für beschlagene Brillengläser. Die quadratische Pfanne wandert in den Ofen. Für den Schmorvorgang haben wir etwa zwei Stunden vorgesehen. Durch das Fenster der Backofentür winken Gitti und ich unserem Gericht noch einmal zu. Gitti wird zwischendurch kontrollieren, ob das Fleisch noch von Soße bedeckt ist und gegebenenfalls etwas Flüssigkeit nachgießen.

Als Beilage wünscht Gitti sich heute kleine Kartoffel- und Möhren-Würfelchen. Wir teilen uns auf. Gitti schält und zerkleinert, assistiert von der Küchenmaschine, während ich damit beginne, einen Spülgang einzulegen. Ich liebe diese Gerichte, deren Zubereitung es zulässt, dass wir die Küche schon vor dem Essen in einen aufgeräumten Zustand versetzen können!

Die Gemüsewürfel wandern in einen Topf, Gitti gibt Wasser und etwas Brühe hinzu. Das muss später nur noch vor sich hinkochen. Diese Beilage macht sich ab jetzt fast von alleine.

Während ich frische Korianderblätter zum Dekorieren des Rendang zupfe, wabert Gittis Ausruf über das Schmorenlassen durch mein Hirn. Würde ich den Kontext ihrer Äußerung nicht kennen, könnte ich sie durchaus ganz anders verstehen! Meine liebe Freundin sieht mir an, was in mir vorgeht. Und so diskutieren wir fröhlich über die Spielarten des Schmorens.

Lässt man ein Schmorgericht schmoren, wird es zart. Lässt man hingegen einen Menschen schmoren, so lässt man ihn im Ungewissen. Der Mensch wird dabei sicher nicht zart, oder etwa doch?

Gitti wirft ein, dass man, wenn es blöd läuft, auch im Gefängnis schmoren kann. Ui. Macht dieses Schmoren den Insassen dann zart und reuig oder eher hart und verbittert? Wir hoffen inständig auf die erste der beiden Varianten! Um im Koch-Bild zu bleiben: Es wird darauf ankommen, ob die soziale und psychische Betreuung während der Haftzeit das Austrocknen verhindert, zur Resozialisierung beiträgt und künftige Straftaten verhindert. Das wird nicht immer gelingen, aber es ist eine Chance, die man nicht ungenutzt lassen sollte. Wenn es gelingt, haben später alle etwas davon!

Gehört das Schmorenlassen nicht sogar zum menschlichen Balzverhalten? Versucht man, sich damit interessanter zu machen? Oder geht es darum, eine zarte Verunsicherung zu erreichen, infolge derer sich der Balzpartner später umso mehr darüber freut, endlich erhört worden zu sein?

Ich mag diese Spielchen nicht und bevorzuge das Schmoren im Topf. Übrigens: Das Ergebnis unserer gemeinsamen Kochaktion ist heute ein unglaublich zartes und ausgesprochen delikates Essen. Satt und zufrieden werde ich auch morgen noch diesem köstlichen Geschmack nachspüren. Das ist ganz leicht, denn wir haben noch etwas übrig gelassen. Ich freue mich jetzt schon darauf!

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Tom

    Das Schmoren lassen passt sprachlich doch auch sehr gut: Beim Schmoren wird das, was bei einer anderen Zubereitungsart vieleicht hart bleibt oder hart wird, weich gekocht, Sehmen und Flexen zersetzen sich und das Geschmorte wird schön weich und zart und erhält einen besonderen Geschmack.

    Auch im Zwischenmenschlichen spricht man vom „weich werden“ oder „weichkochen“, das ist noch ein besseres Bild als deines vom „zart und reuig“ werden. Ganz besonders hat mich das Bild gefreut, dass ein Mensch im Gefängnis entweder „zart und reuig“, eben „weichgekocht“ wird, oder bei mangelnder Betreuung „austrocknet“ und erst recht hart und zäh wird.

    Im Zwischenmenschlichen ist es doch so, dass man sich mehr oder weniger einen Panzer gegen die Mitmenschen aufbaut, weil der zwischenmenschliche Umgang immer komplizierter wird. Gerade mit zunehmendem Alter wird es so zur Herausforderung, einen anderen Menschen so dicht an sich heran zu lassen, weil diese Nähe dem anderen die Möglichkeit bietet, umso verletzender vorzugehen. Insofern ist das Schmoren wirklich ein integraler Bestandteil des Balzverhaltens, denn es weicht den jeweiligen „emotionalen Panzer“ so weit auf, dass sich zwischen den Partnern die notwendige Nähe entwickeln kann.

    Abschließend zur Mahlzeit: Ich werde das vermutlich einmal nachkochen, es klingt köstlich und ich hoffe, dass ihr es von Herzen genossen habt.

    Viele Grüße!

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