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Shopping-Bad

Die Geschäfte sind geöffnet und wir dürfen ohne Gedingst-Papiere hinein! Also ohne einen Nachweis, dass wir geimpft, getestet oder genesen sind. Wir brauchen auch keinen Termin, wir dürfen einfach so hinein. Endlich!!

Gitti und ich gönnen uns also ein Shopping-Bad in der Stadt. Das öffentliche Verkehrsmittel setzt uns im Zentrum ab, an diesem Werktag sind nur wenige Menschen in der Stadt. Wir haben freie Bahn.

Als erstes steuern wir ein großes Kaufhaus an. Heute Morgen habe ich zu Hause schon den dramatisch abgesunkenen Pegelstand in meinem Parfumfläschchen beäugt, und auch Gitti meldet Duftbedarf an. Wir finden eine Verkäuferin, die uns mit kleinen Augen aber durchaus freudig bedient. Gestern ist ein heftiges Unwetter über die Stadt gezogen. Das Kupferdach des ehrwürdigen Opernhauses ist vom Wind zum Teil abgedeckt worden, und der starke Regen hat zu Überflutungen geführt. Auch hier im Kaufhaus. Im Untergeschoss, so erzählt uns die nette Verkäuferin, sind sie gestern bis in die Nacht hinein knietief durchs Wasser gewatet und haben versucht, Waren zu retten. Das erklärt auch die kunstvoll überschminkten Ringe unter ihren müden Augen, die sie kaum noch offenhalten kann. Die Feuerwehr hat tausende Liter Wasser aus den Aufzugsschächten abgepumpt. Welch eine Aufregung!

Zu allem Überfluss hat vor kurzem die Sanierung des gesamten Rolltreppen-Komplexes begonnen. Und jetzt müssen alle Kunden die Aufzüge oder das schlichte Treppenhaus nutzen, um in die verschiedenen Etagen zu gelangen. Heute sind ja nicht so viele Menschen hier, also klappt das auch einigermaßen gut. Gitti und ich lassen uns nicht abhalten und ziehen unsere Runden. Wir nehmen gefühlt ein richtiges Bad zwischen all den Regalen, Kleiderständern und Verkaufstischen und erstehen ein paar Hosen.

Jetzt ist uns warm, frische Luft schnappen wäre schön, außerdem verspüren wir Appetit, und so ziehen wir weiter. Das Wetter ist immer noch unentschlossen, ob die Stadt nicht doch noch ein bisschen Wasser vertragen könnte. Gitti und ich ziehen uns bald in ein Brauhaus zurück und tauschen uns bei Bier und Flammkuchen entzückt über unser Shopping-Bad aus. Sowas haben wir ja schon seit Monaten nicht mehr gemacht! Ach, wie schön!!

Frisch gestärkt gucken wir uns noch im Stadtpark um, staunen über die großen Teile des Kupferdaches, die regelrecht vom Wind verknüllt am Boden vor dem Opernhaus liegen und über die vielen entwurzelten Bäume. Bei uns zu Hause hat es gestern zwar auch ein Gewitter mit Starkregen gegeben, aber wir haben keinerlei Schäden zu beklagen. Ich klopfe mir kräftig an den Kopf, als Ersatz für‘s „Auf-Holz-Klopfen“. Das halte ich für angebracht, weil wir solch ein Glück hatten. Aua! Was muss ich auch immer so übertreiben, die nur angedeutete Klopfbewegung hätte doch sicher auch gereicht. Angesichts der Bilder, die wir hier sehen, erstaunt mich die Mail unserer Vermieterin nicht mehr. Sie hat sich danach erkundigt, ob bei uns alles in Ordnung ist.

Als Kinder, fällt mir ein, haben wir bei Gewitter immer die Sekunden zwischen Blitz und Donner gezählt. Dann haben wir die Anzahl der Sekunden durch drei geteilt, um zu errechnen, wie viele Kilometer das Gewitter von uns entfernt ist. Unsere Eltern haben uns damit beschäftigt und nebenbei erfolgreich vom Angsthaben abgelenkt. Wer im Kopf rechnen muss, der hat keine Zeit für Angst, so ihr Kalkül. Außerdem haben sie sich darauf verlassen, dass wir alles, was mehr als einen Kilometer von uns entfernt stattfindet, nicht als unmittelbar bedrohlich wahrnehmen. In den meisten Fällen mussten wir auf mehr als nur drei zählen und danach eben rechnen. Je heller und beeindruckender der Blitz, desto schwieriger war es für mich, die für den gewünschten Abstand zum Gewitter erforderlichen Sekunden nicht einfach schneller zu zählen. Wir haben immer brav in den Himmel gestarrt, gezählt und gerechnet. Und unsere Eltern haben immer so gegrinst …

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Mauro und Gianna

    Ein schönes Erlebnis, vor allem nach der langen Zeit der Entbehrungen, auch wenn das Gewitter weniger erfreulich war, bei all den entstandenen Schäden.
    Auch die Erinnerung aus der Kinderzeit ist sehr schön.
    Danke für das mentale Mitnehmen in euer Shopping-Bad! 🙏🏻🙏🏻

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