Gitti sitzt gemütlich auf dem Sofa, im Fernsehen läuft ein Nachrichtenmagazin. Ich hocke daneben und höre mehr so nebenbei zu, während ich ein wenig auf dem Smartphone herumdaddle. Draußen ist es schon dunkel, drinnen ist es muckelig warm, alle Zeichen stehen auf Entspannung.
Plötzlich wird Gitti unruhig. Ohne hinzusehen, spüre ich, wie sie langsam zornig wird. Und dann bricht es aus ihr heraus: „Also unsere Eltern würden hier gar nichts mehr verstehen!“
Sie setzt mich kurz ins Bild. Ich erfahre, dass alle Berichte, die da seit einer halben Stunde über den Bildschirm flimmern mit Wörtern gespickt sind, die die Generation unserer Eltern mit Sicherheit noch nicht kannte. Gitti kann sich ja noch erschließen, worum es geht, schließlich kümmert sie sich aktiv darum, sprachlich auf der Höhe der Zeit zu bleiben, aber was ihr da heute geboten wird, das geht ihr dann doch entschieden zu weit! Überhaupt findet sie, dass dieser Trend schon länger zu beobachten ist. Sie beklagt ihn laut und vehement. Gitti findet es nämlich blöd, wenn ältere Menschen zunehmend ausgeschlossen werden. „Als ob man ihnen schon auffordernd die Rechnung auf den Tisch legen würde, obwohl sie noch gar nicht beim Nachtisch angekommen sind!“, untermalt Gitti ihre Beschwerde.
„Haben wir nicht in unserer Jugend auch versucht, unsere Eltern sprachlich ein bisschen auszuschließen? Gehört das nicht zum Abnabelungsprozess dazu?“, versuche ich, Gitti zu besänftigen. Sie allerdings findet, dass das etwas völlig anderes ist! Na ja, wir waren zumindest kein Nachrichtenmagazin, da hat sie schon Recht. Beim Netzwerken in den sozialen Medien hält Gitti sich fit, was die vielen Abkürzungen angeht. Ihr Vater hätte auf so etwas wie „LOL“ vielleicht mit Androhung einer Backpfeife reagiert, anstatt sich darüber zu freuen, dass sein eben gemachter Witz gut angekommen ist. Zu seiner Zeit fand man tolle Sachen einfach knorke, heute muss es schon cool sein.
Bei Wikipedia recherchiere ich kurz eine lange Liste mit Abkürzungen aus dem Netzjargon. Wer will, findet dort hilfreiche Hinweise zum Decodieren kryptischer Nachrichten. LOL kann übrigens neben „laughing out loud“ auch noch „lots of luck“ bedeuten! Aha, auch hier kommt es auf den Kontext an. Frage Dich also stets: Lacht der andere gerade herzhaft, vielleicht sogar mich aus, oder wünscht er mir Glück?
Die Jugendsprache ist schon lange nicht mehr vor uns Erwachsenen sicher. Denn wir, die wir vielleicht immer noch jugendlich wirken wollen, egal wie spärlich oder silbrig unsere Haarpracht daherkommt, oder zumindest geistig nicht so faltig, wie körperlich, wir springen behände in den Jungbrunnen moderner Sprache. Wenn es sein muss, in Zeitlupe, zur Not krallen wir uns dabei am Rand fest.
Die doofen Jugendlichen finden das gar nicht lustig. Ihnen ist es eher peinlich, wenn sie in Verdacht geraten, uns zu kennen. Sie schämen sich fremd. Für uns, das muss man sich mal vorstellen! Wie sind die denn drauf!?! Und sie haben ein Wort dafür: cringe!
Genau dieses Wort haben sie übrigens gerade zum Jugendwort des Jahres 2021 gewählt, die kleinen Racker! Peinliche Situationen nennen sie cringy. Auf Platz zwei ist „sus“ gelandet, das steht für suspekt. Mir ist das alles sus? Verwendet man das jetzt so? Oder muss man sich noch kürzer fassen, also nur fix und modisch „sus“ sagen? Ohne weitere Erklärung, nur: „sus“? Platz drei ist auch interessant; auf Platz drei haben sie „sheesh“ gewählt. Hä? Sheesh drückt Erstaunen aus, manchmal Ungläubigkeit. Es eignet sich auch, um etwas, was man gerade eben gesagt hat, noch zu dramatisieren! Sheesh!!! Wie intoniert man das richtig? So von unten nach oben, begleitet durch das Anheben einer Augenbraue? Was für ein Gesicht mache ich dazu? Ich muss unbedingt Anwendungsbeispiele überlegen und ausprobieren. Nicht, um junge Menschen zu einem „Cringe“ zu provozieren, sondern um deren Unterhaltung heimlich besser zu verstehen.
Mit dem Finger werden sie auf mich zeigen und „sus“ sagen. Oder sie machen wortlos ein Video von mir, posten es und schreiben drunter: „Sprachfehler? Sheesh!“
Bleibt zu erwähnen, dass die Wahl des Jugendwortes 2020 auf „lost“ fiel. Hihi, auf Ahnungslosigkeit und Unsicherheit! Passt gut zur heutigen Jugend, gell? Ich fühle mich auch manchmal „lost“.
Wo ist Gitti eigentlich hin verschwunden? Der Platz neben mir auf dem Sofa ist plötzlich leer. Ich denke: „Sheesh. Oder lieber: Hä? Besser noch: Hä bitte?“, und rufe laut: „Gitti?!?“
Solange wir versuchen, die Sprache der Jugend zu verstehen, solange werden sie immer nach neuen Wörtern suchen! Gönnen wir ihnen doch diesen Spaß, und auch ihre Geheimnisse 👍🏻
Im diesen Sinne, LOL 😂 (LOL tauchte bereits erstmals in den 1980er Jahren auf.)