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Stammelvarianten

Über den Fernsehschirm flimmert eine Diskussionsrunde. Gitti wird zunehmend unruhig. „Jetzt reicht es mir!“, ruft sie ungehalten. Dann tastet Gitti genervt ihre nähere Umgebung ab, findet endlich die Fernbedienung und schaltet mit einem energischen Druck auf eine der Tasten auf ein anderes Programm um.

Bald nach diesem Vorgang entspannen sich Gittis Gesichtszüge. Ihre Zornesfalte glättet sich. Deutlich kann ich sehen und spüren, wie sich in ihr wieder Zufriedenheit ausbreitet.

Etwas später erkundige ich mich danach, was sie so genervt hat. Mir ging die Diskussion auch auf den Keks, aber vielleicht ja aus anderen Gründen. Wer nicht fragt, bleibt dumm.

Wir sind uns einig: Es lag weder am Thema noch am Inhalt der Äußerungen, sondern am Gestammel der Diskussionsteilnehmer. Offensichtlich fiel es Gitti und mir heute besonders schwer, uns auf die eigentlichen Aussagen zu konzentrieren. Zu viele Füllwörter, zu viel „äh“ und „em“ und viel zu fahrig vorgetragene Gedanken machen wir als Ursachen für unsere Schwierigkeiten aus, dem Gespräch zu folgen. Erschwerend kommt hinzu, dass der Abend schon weit fortgeschritten ist. Eine gewisse Müdigkeit lässt sich nicht verleugnen. Und so gähnen wir erstmal herzhaft im Chor.

Es ist gar nicht so einfach, sich unter Druck flüssig zu artikulieren. Je größer die Aufregung, desto schlimmer wird es. Ich kenne das nur zu gut. Zum Leidwesen meiner Umwelt brauche ich manchmal etwas Zeit, um meine Gedanken ordentlich zu artikulieren. Ich merke schnell, wie sich unter den Zuhörern die Ungeduld breit macht. „Komm endlich zum Punkt!“, schreit es aus ihren Gesichtern. Innerlich rufe ich mir diese Aufforderung längst selbst zu.

Ich möchte etwas sagen und ringe damit, meine Botschaft gleich im ersten Wurf sauber formuliert zu senden. Was einmal gesagt ist, löst beim Zuhörer in der Regel unmittelbare Reaktionen aus. Ich möchte Missverständnisse vermeiden. Es ist so mühsam, die später wieder auszuräumen – falls sich überhaupt je die Gelegenheit dazu bieten wird. Deshalb bin ich bereits beim Sprechen damit beschäftigt, alle Eventualitäten abzuklopfen. Das kostet Konzentration. Unter Stress kann ich nicht gut denken. Ich versuche also, den Stress auszublenden, mich wieder voll zu konzentrieren und den Sinn meiner Rede in einen möglichst kurzen Satz zu gießen. Differenziert und zugleich kurz soll es sein! Natürlich scheitere ich. Das passiert alles gleichzeitig. Es hemmt meinen Redefluss. Dadurch steigt der innere Druck. Mein Anspruch an mich selbst steht mir im Weg. Wenn ich den Mund aber erst aufmache, wenn meine Formulierung steht, komme ich bestimmt gar nicht zu Wort.

Leider passiert mir das auch in lockerer Runde. Der Mechanismus schlägt erbarmungslos zu, auch wenn es mal überhaupt nicht darauf ankommt, wie ich etwas sage. Wacker trainiere ich seit vielen Jahren dagegen an. Es ist schon besser geworden, aber der Erfolg meines steten Trainings ist leider immer noch mäßig. Ich bleibe dran!

Kurze Sätze haben weniger Füllworte. Dennoch reservieren die Füllworte ein wenig Redezeit und signalisieren, dass man mit seiner Ausführung noch nicht am Ende ist. Das Stammeln von „äh, äh, äh“ oder „em, em, em“ ist nervig und außerdem aus der Mode geraten. Heutzutage trennt man seine gesprochenen Absätze durch das Ausrufen eines einzelnen Wortes. Zur Verfügung stehen: „genau“, „so“ und „ja“.

Zum ersten Mal habe ich das bemerkt, als eine sehr junge Frau ein neues Konzept für das Intranet meiner damaligen Firma vorgestellt hat. Unter den Zuhörern saßen lauter Leute, die sie nicht kannte, vor denen sie aber doch höllischen Respekt hatte. Allein die Anwesenheit ihres direkten Chefs, flankiert von dessen Chef und umrahmt von der ganzen restlichen Führungsriege steigerte den Druck, unter dem sie stand. Aus dem langen blonden Haar, deren Strähnen ihr andauernd ins Gesicht fielen, leuchteten rote Bäckchen. Sie schlug sich eigentlich ganz gut. Scheinbar half es ihr enorm, nach spätestens drei kurzen Sätzen jeweils ein enthusiastisches „Ja!“ in die Menge zu rufen.

Seither habe ich vielen weiteren Vorträgen gelauscht. Dieser Ausruf der jungen Frau begegnete mir dabei noch oft. Er wurde irgendwann durch ein feststellendes „So“ abgelöst, dass überall eingestreut wurde, wo sich die Konzentration der Vortragenden neu sammeln musste. Mittlerweile scheint sich die Welt weitergedreht zu haben. Inzwischen stellen die Rednerinnen und Redner gerne ein entschlossenes „Genau!“ zwischen ihre Sätze.

Manchmal überraschen sie uns und sich selbst mit einem „Tatsächlich“ an unpassender Stelle. Wie neulich, als einer sich vorstellen musste und uns wissen ließ: „Ich studiere tatsächlich im dritten Semester das Fach …“ Potzblitz!

Insgesamt kommt das etwas besser bei mir an als das früher übliche Äh-und-em-Gestammel, gegen das ich bei mir selbst noch ankämpfe. So richtig gut gefallen mir diese aktuell in Mode gekommenen Stammelvarianten aber auch nicht.

Gitti stimmt mir zu. Dann fällt uns zeitgleich der französische Komiker Louis de Funès ein. Und so rufen wir statt seines berühmten „Nein! Doch! Oh!“ nun gemeinsam: „So! Genau! Ja!“

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