Ich habe meine Arbeitswoche hinter mich gebracht. Zufrieden und ein wenig erschöpft fahre ich das Arbeitszimmer herunter. Dann folge ich neugierig schnuppernd dem köstlichen Duft, der durchs Treppenhaus wabert.
Gitti ist schon in der Küche aktiv. Sie hat bereits eine Paprika in Streifen, zwei Zucchini in Viertelscheibchen sowie eine rote Zwiebel in Viertelringe geschnitten. Der betörende Duft rührt daher, dass Gitti das Gemüse mit etwas Erdnussöl in einer Pfanne anröstet. Als ich in die Küche komme, hantiert sie gerade mit einer Orange, deren Schale sie mit dem Kartoffelschäler dünn abschält. Auf dem Herd steht noch eine zweite Pfanne. Darin hat Gitti etwa 75 g Butter zerlassen, und die bräunt nun vor sich hin. Ich gucke in die Pfanne und sehe dann fragend zu Gitti, die sofort „Nussbutter“ sagt.
Auf meiner Stirn liest sie die Frage nach der Art der Nüsse. Ich erfahre, dass man für Nussbutter keine Nüsse braucht. Die zerlassene Butter bekommt von alleine einen nussigen Geschmack. Man muss nur geduldig warten, bis sie in der Pfanne bei mittlerer Temperatur eine hellbraune Farbe annimmt.
Gitti freut sich, dass ich jetzt Feierabend habe und ihr endlich zur Hand gehen kann. Sofort erhalte ich den Auftrag, Knoblauch klein zu würfeln. Danach soll ich das Mark einer Vanilleschote auskratzen und die Orangenschale in ganz dünne Streifen schneiden. Bereitwillig mache ich mich ans Werk. Die Schnippelei tut mir gut, sie fühlt sich für mich fast wie ein meditativer Akt an. Zusehends entspanne ich mich.
Die Zwiebelringe und bald darauf auch ein Teil des Knoblauchs wandern derweil schräg hinter mir zum Gemüse in die Pfanne. Der Duft flutet meine Nase. Mir läuft jetzt schon das Wasser im Mund zusammen. Gitti würzt mit getrocknetem Thymian, mildem Paprikapulver, Salz und frisch gemahlenem Pfeffer. Nach kurzem Innehalten gibt sie noch etwas Chilipulver hinzu. Dann nickt Gitti zufrieden und zieht die Pfanne von der Platte herunter.
Der Hauptdarsteller unseres Abendessens wird ein Lachsfilet sein. Gitti hat sich von einer Kochsendung inspirieren lassen und möchte heute einmal testen, wie auf Niedrigtemperatur gegarter Lachs schmeckt.
Sie hat zwei schöne Filets erstanden. Zusammen bringen sie etwa 400 g auf die Waage. Leider gab es den Fisch nur mit Haut. Die wird bestimmt lätschig. Was nun? Die Haut muss auf jeden Fall ab, darüber sind wir uns schnell einig. Geschickt zerlegt Gitti das erste Filet in zwei Teile. Dabei liegt das Ding auf seiner Haut. Gitti setzt das Messer in der Mitte des Stückes von oben an. Als die Klinge unten an der Haut ankommt, wendet sie das Messer während ihres Schnittes schnell um 90° zur Seite und löst so die erste Hälfte des Filets entlang der Haut aus. Die andere Hälfte lässt sich danach auch problemlos von der Haut trennen. Analog verfährt Gitti mit dem zweiten Stück Fisch. Abschließend liegen vier wunderbare Filetstücke bereit.
Ratlos guckt Gitti nun auf die Haut. Gedankenversunken schwenkt sie einen der beiden Hautlappen ein wenig in der Luft hin und her. Die Dinger einfach wegzuwerfen, widerstrebt uns beiden. Wir stellen das Thema kurz zurück.
Ich erhalte den Auftrag, ein paar Zweige des frischen Estragons, der seit dem letzten Einkauf auf dem Kühlschrank wohnt, abzuzweigen. Wir brauchen also Estragonblätter, gerne halb so lang, wie sie da am Zweig hängen.
Inzwischen hält Gitti eine Rolle Frischhaltefolie in Händen. Schnell zaubert sie eine kleine Auflaufform herbei. Dann legt Gitti ein Stück der Folie hinein, vorne und hinten hängt die Folie über den Rand hinaus. „Soll ich wirklich?“, murmelt sie zweifelnd. Der Backofen ist vorgewärmt. Was will Gitti jetzt mit der Folie anfangen? Woher rühren ihre Zweifel?
Ein Ruck geht durch Gittis Körper. Entschlossen richtet sie sich auf. Aus der Pfanne gießt sie einen Teil der Nussbutter auf die Folie, in die Form!
„Wieviel Grad?“, frage ich. In meiner Stimme liegt ein skeptischer Kontrollton. Es sind Achtzig. Nur Mut, das müsste gehen! Und wenn nicht, dann gehen halt wir – und zwar zum Essen aus dem Haus.
Die Fischfilets liegen bald dicht gedrängt nebeneinander auf der Nussbutter. Die restliche Nussbutter gießt Gitti über die Filets. Dann verteilen wir das Mark der Vanilleschote sowie den noch verfügbaren Teil des Knoblauchs auf dem Fisch und garnieren ihn anschließend mit den schmalen Orangenschalenstreifen und den Estragonblättern. Salz und Pfeffer werden schnell darübergemahlen. Gitti klappt die Folie nach innen und packt den hübsch garnierten Fisch liebevoll in der Folie ein. Die nächsten 15 Minuten verbringt der Star unseres Abendessens bei 80°C im Ofen.
Was gibt es noch zu tun? Und was machen wir bloß mit der Fischhaut? Meine allerliebste Freundin hat eine Idee. Sie erhitzt noch einmal die Pfanne, in der sie die Nussbutter zubereitet hat. Die beiden Fischhautstücke legt sie in die heiße Pfanne. Sofort kringeln sich die Ränder der Haut. „So geht es nicht, das wird ja nie knusprig!“, ruft Gitti. Dann stürmt sie auf mich zu und reißt die Topfschublade auf, vor der ich stehe. Ich springe spontan zur Seite, um eine Kollision der Schublade mit meinem Knie zu vermeiden. Gitti sucht sich schnell einen Topf aus und stürmt zurück zum Herd. Dort stellt sie den Topf einfach mit dessen Boden auf die Haut in der Pfanne. Zwischen Topf und Pfanne kringelt sich jetzt nichts mehr! Triumphierend erntet Gitti meine Anerkennung.
Ich widme mich nun der Orange. Auch die soll nicht übrig bleiben. Mit einem großen scharfen Messer entferne ich die innere weiße Schale. Die Frucht liegt rund, orange leuchtend und duftend vor mir. Ich setze das Messer jeweils neben den Lamellen der Orangenscheiben an und löse mit routinierten Schnitten Orangenfilets aus. Wir garnieren unsere Teller damit. Etwas Grünes fehlt noch! Erst jetzt entdecke ich die frische Minze, die Gitti in weiser Voraussicht auf einem extra Brettchen neben der Gemüsepfanne bereitgestellt hat. Mit ihrer Zustimmung gesellen sich ein paar Blättchen der Minze zu den Orangenfilets. Deko ist halt auch wichtig!
Auf meinem Schneidebrett hat sich ein kleiner See mit Orangensaft gebildet. Dafür gibt es jetzt keinen besseren Ort als die Gemüsepfanne. Also los, hinein damit!
Überhaupt wird es jetzt Zeit, das Gemüse noch einmal auf der Platte zu erhitzen. Gitti gibt die verbliebenen Minzeblättchen über das Gemüse und mengt sie unter. Ich verschwinde derweil gen Keller und kehre alsbald mit einem vielversprechenden Wein zurück.
Als der Tisch gedeckt ist, ein leckerer Rosé bereitsteht und der Fisch gegart ist, sind auch die Fischhautstücke knusprig wie Chips. Wir legen die Hautchips auf unsere Teller, geben das warme Gemüse in eine Schüssel und stellen die Auflaufform mit dem Fisch auf den Tisch. Dann nehmen wir feierlich Platz, richten unsere erste Portion an und atmen tief den herrlichen Duft ein, der von unseren Tellern emporsteigt.
Gitti und ich wünschen uns einen guten Appetit, stoßen miteinander an und widmen uns ganz dem Genuss.
Der Fisch ist so zart gegart, dass er sich schon angesichts meiner Gabel bereitwillig in Lamellen auffächert. Die Chips lassen sich leicht brechen und machen dabei leise krachende Geräusche. Das Gemüse ist würzig, stiehlt aber niemandem die Schau. Zusammen mit den Oragenstreifen stellt es sich geschmacklich ganz in den Dienst, den herrlichen Fisch zu präsentieren. Alle Bestandteile des Mahls wirken harmonisch zusammen. So stelle ich mir den Geschmacks-Himmel vor!
Nach einer von gefräßiger Stille geprägten Weile entfährt Gitti und mir zeitgleich ein wohliges: „Boah, das hat sich echt gelohnt!“