Schon wieder ist das Jahr fast vorbei. Das ging schnell, finde ich. Gerade war doch erst …
Wie in jedem Jahr werde ich speziell zu dieser Jahreszeit überall aufgefordert, mich zuerst auf die besinnliche Zeit zu besinnen und dann aber zügig Bilanz zu ziehen. Genervt frage ich mich, welcher Schelm eigentlich diese blöden Meilensteine ins private Kalenderjahr gesetzt hat. Mein Jahr ist doch kein Projekt! Wenn ich den erwische!!
Natürlich arbeite ich fleißig ab, was noch ansteht. Wie immer! Also vor dem Urlaub, vor bestimmten Terminen – und ganz banal: vor Feierabend, vor dem Essen oder vor dem zu-Bett-Gehen! Ich priorisiere meine Aufgaben, wenn es erforderlich ist. Bleibt ein unerledigter Rest, so muss er warten. Vor irgendetwas anderem wird er an die Reihe kommen. Vermutlich sogar schon sehr bald und nicht erst kurz vor Sankt Nimmerlein. Das ist nichts Besonderes, und andere Leute machen das genauso. Nicht vergessen: Nach dem Feierabend ist vor dem Feierabend. Und sollte ich aus unerfindlichen Gründen einmal an Gewicht zulegen müssen, so lässt sich das bestimmt locker und stressfrei nach Weihnachten erledigen!!
Draußen ist es schon wieder dunkel. Gitti und ich machen uns auf den Weg, unserer Lieblings-Pizzeria einen Besuch abzustatten. Weil es neben dunkel auch noch kalt ist, hüllen wir uns in Daunenjacken, schützen unsere Hälse mit kuschelweichen Schals und unsere Füße mit warmem Schuhwerk.
Die Weihnachtsbeleuchtung unserer Nachbarn besteht aus diversen Lichterketten und sonstigen Leuchtmitteln. Sie taucht die Straße in ein besonderes Licht. Leider jedoch nicht in besinnlich warmes Licht, welches das Zeug dazu hätte, unsere Herzen zu erwärmen. Unsere lieben Nachbarn haben sich dieses Jahr nämlich für äußerst grelle Farben entschieden. Als Gitti und ich an deren Vorgartenzaun vorbeikommen, beginnen plötzlich alle diese Lichter damit, hektisch entlang des gesamten Grundstücks, aus jedem Fenster heraus und drinnen vermutlich sowohl in der Besenkammer als auch im Kühlschrank zu blinken. Vor lauter Schreck stößt Gitti einen spitzen Schrei aus und macht einen Satz zur Seite. Sie landet sicher in meinem Arm.
Auf dem Weg zum Restaurant bestaunen wir weitere Weihnachtsdekorationen. Wir kommen am Grundstück von Hubsi und Henni vorbei. Dieses Jahr haben sie ordentlich aufgerüstet. Ich könnte wetten, dass Nachbar Hubsi für die Außen-Installationen verantwortlich zeichnet, während seine Frau Henni im Inneren des Hauses dafür sorgt, dass weihnachtliche Stimmung aufkommt. Insgeheim bin ich froh, dass Gitti und ich uns dem Lichter- und Deko-Wahn konsequent entzogen haben. Mit gemütlichem Licht tauchen wir unser Zuhause ganzjährig in eine entspannte Atmosphäre.
In der Pizzeria gehören wir zur Frühschicht. Das bedeutet, dass wir längst wieder zu Hause sein werden, wenn sich dort der Gastraum mit Menschengruppen füllen wird, auf deren Agenda heute noch eine geschäftliche Weihnachtsfeier steht. Für die Gastronomen ist diese Zeit gewiss alles andere als besinnlich.
Gitti und ich studieren in Ruhe die Speisekarte. Der Pizzabäcker schlendert vom offenen Holzofen aus in Richtung Küche und winkt. Verschmitzt lachend ruft er uns zu: „Heute gibt es keine Pizza!“
Wenig später geben wir unsere Bestellung auf. Die Pizzen sind in diesem gastlichen Haus hervorragend, und deshalb wählen wir jede eine davon. Unsere Gastgeber kennen uns bereits. Sie wissen, dass wir fast immer zwei unterschiedliche Pizzen bestellen und sie dann miteinander teilen. Inzwischen belegen sie unsere Pizzen ungefragt halb und halb in den beiden Varianten, die wir ausgesucht haben. Heute kombinieren wir eine Prosciutto Crudo mit einer Siciliana.
Während der Pizzabäcker sein Werk vollbringt, beraten Gitti und ich darüber, wie wir unsere nächsten Tage verbringen werden. Gitti hat für einen der folgenden Abende Theaterkarten ergattert. Gut, dass sie mich daran erinnert, denn so kann ich mich noch ein paar Tage der Vorfreude hingeben! Einen Besuch der griechischen Taverne, die bei uns um die Ecke liegt, setzen wir spontan zusätzlich auf unsere vorweihnachtliche Wunschliste, denn da waren wir schon ein Weilchen nicht mehr. Dann wenden wir uns gedanklich den Menschen zu, die wir schon viel zu lange nicht mehr gesehen haben.
Mitten in unsere Überlegungen und Planungen platzt die Wirtin der Pizzeria. Sie serviert unsere Pizzen, schenkt uns dabei ein warmes, strahlendes Lächeln und sagt: „Von Herzen!“
Gitti und ich sind vom Anblick unserer Teller überwältigt. Die beiden Pizzen wurden zu unserer großen Überraschung in Herzform gebacken. Wie süß ist das denn!
Wir sind echt gerührt. Das ist so schön, und vor allem empfinden wir es als Kompliment. Die Gastgeber lassen uns spüren, dass sie uns mögen – aus welchen Gründen auch immer. Den anderen Gästen werden die Pizzen heute so serviert, wie uns sonst auch: reich belegt, lecker und rund.
Eine tiefe Dankbarkeit macht sich in mir breit. Ich empfinde die Geste mit der herzförmigen Pizza als ein großes Geschenk und fühle die Wertschätzung, die mir entgegengebracht wird.
Gitti und ich beschließen, künftig noch mehr darauf zu achten, den Menschen unsere Wertschätzung zu zeigen. Wir erleben ja gerade selbst, wie unglaublich schön das ist, wenn etwas von Herzen kommt.
Eine wunderschöne Geschichte. Sie hat mich berührt und erinnert meine Wertschätzung an Andere auch öfter zu zeigen.
Danke dafür liebe Miriam