Ich sitze im Arbeitszimmer und mein Rechner läuft leise vor sich hin. Er kommuniziert mit mir und der Welt. Fleißig sendet er Daten hinaus und holt noch viel mehr Daten herein zu mir. Der Herr Rechner macht vieles davon alleine und braucht mich nicht wirklich. Eigentlich läuft es ganz gut zwischen ihm und mir. Manchmal jedoch beschleicht mich leise das Gefühl, dass ich ihn störe. Wenn ich in solch einer Situation auf der Tastatur herumklimpere oder mit der Maus irgendwo Klicks setze, folgt er nicht mehr sofort. Dann ignoriert er mich sogar eine kleine Weile und lässt mich warten. Unverschämt! Der vergisst wohl völlig, wer hier die Chefin ist! Die bin natürlich ich! Schließlich habe ich ihn bezahlt, biete ihm hier ein warmes und gemütliches Zuhause und versorge ihn regelmäßig mit Strom und Updates. Sogar den Staub wische ich ihm von Zeit zu Zeit liebevoll von der Oberfläche.
Während einer kleinen Videokonferenz bemerke ich neulich, dass es deutlich hakt und ruckelt. Ton und Bild setzen abwechselnd kurz aus, die Konferenz wird zum Geduldsspiel. Das ist neu! Bisher funktionierte die Übertragung stets prima, schnell und störungsfrei. Was ist also da los? Und vor allen: Wie können wir das abstellen?
In Zeiten von Homeoffice und mit fortschreitender Digitalisierung unseres privaten Bereiches haben sich meine Ansprüche an die Technik deutlich gesteigert. Gitti sitzt oben und unterhält sich angeregt mit dem Fernseher, ihrem Smartphone und ihrem Rechner. Die Nachbarschaft ist auch vernetzt. Und so wollen wahrscheinlich gerade alle gleichzeitig etwas von der Welt da draußen. Niemand legt mehr LAN-Kabel durchs ganze Haus! Kabel sind Stolperfallen. Das ist echt gefährlich. Und sie stören uns, weil sie ständig herumhängen und einfach nicht schön aussehen. Das gemeine Stromkabel ist entweder zu kurz oder zu lang. Und Daten beziehen unsere Elektrogeräte heutzutage wireless, also ohne zusätzlichen Kabelsalat und lange Leitungen!
Neulich hat Gitti einen Repeater auf die Fensterbank im Wohnzimmer gestellt und ihn mit unserem Router bekanntgemacht. Der Router steht in der Küche. Ein Kabel verbindet ihn mit der altmodischen Telefonbuchse, über die alle Daten in unser Zuhause, aber auch von hier in die Welt hinaus gesendet werden. Und der Router funkt hier drinnen herum und makelt zwischen Sendern und Empfängern. Der Repeater verstärkt nun klaglos, aber kraftvoll vom Wohnzimmer aus die vielen Signale, die in unserem Netz herumschwirren. Sämtliche der kommunikativen Gerätschaften, die mit uns zusammenleben, können seither von allen Orten des gemeinsamen Zuhauses aus miteinander und mit der Welt reden. Sie tun das so leise und unauffällig, dass wir uns dessen gar nicht mehr bewusst sind.
Von der entlegensten Ecke des Hauses aus kann ich telefonieren, aber auch Mails versenden oder im Internet surfen, ohne nass zu werden. Und Gitti kann zeitgleich an einem anderen Ort dieses Hauses ähnliche Dinge tun. Wenn wir nicht aufpassen, gönnt sich derweil der Fernseher im Wohnzimmer ein leckeres Update. Weil er das nicht immer soll, drehen wir ihm zum Beispiel nachts den Strom ab und bilden uns ein, dass er dann schläft. Sobald er wieder Strom hat, holt er jedoch alles nach – ohne zu fragen! Wahrscheinlich nur zu unserem Besten.
Nach der verruckelten Videokonferenz heule ich mich bei Gitti aus. Wir beraten, wie wir das Problem beheben können. Mein Arbeitszimmer liegt aus funktechnischer Sicht an der ungünstigsten Stelle des Hauses. Weil das Phänomen der häufigen Signalabrisse neu ist, beharre ich darauf, dass es gehen muss. Schließlich ging es bisher ja auch!
Gitti und ich stalken die Verbindungsgeschwindigkeiten, Netzfrequenzen und wechselnden Netzkanäle, die mein Rechner anzeigt. Dann gehen wir los und kaufen einen weiteren Repeater. Der soll jetzt auf dem letzten Stück nochmal ordentlich Gas geben. Gitti kümmert sich um die Installation und optimiert die Konfiguration des heimischen Netzes. Danach ist die Lage etwas besser, aber immer noch nicht stabil. Ich installiere eine App auf dem Smartphone, mit deren Hilfe ich Signalstärken messen kann. Nebenbei beschließe ich, eine Bierkiste umzusiedeln, die vor einiger Zeit in mein Arbeitszimmer eingezogen ist. Als ich fast an der Tür bin, klingelt das Telefon. Ich lasse die Kiste stehen und telefoniere. Danach wandere ich mit dem Smartphone in der Hand umher und messe fleißig Signalstärken. Die Schwankungen sind beeindruckend. Immer wieder mache ich einen weiten Bogen um die Bierkiste herum.
Gitti und ich beschließen, eine Pause einzulegen. Noch einmal reise ich messend durch das Zimmer – und dann liege ich plötzlich auf dem Boden. Das Smartphone hat sich zerlegt, meine Brille ist noch heil, liegt jedoch vor mir. Rote Tropfen tropfen schnell zu Boden.
Ich brauche ein Weilchen, bis ich mich sortiert habe. Dann beginne ich damit, den Schaden zu begrenzen. Ich sammle auch die Teile des Smartphones auf und setze es wieder zusammen. Notdürftig gesäubert und mit einem Taschentuch vor der Nase begebe ich mich nach oben zu Gitti und erkläre meinen Aufzug. Sie enteilt an den Ort des Geschehens, stellt die Bierkiste sicherheitshalber unter den Tisch und verwischt die Spuren, die ich hinterließ. Mir tut die Nase weh. Die Brille ist ein bisschen verbogen. Gitti und ich fahren zum Optiker, der die Sehhilfe wieder zurechtbiegt.
Am nächsten Morgen ziert ein großes Veilchen mein linkes Auge. „Da bin ich aber echt mit einem blauen Auge davongekommen!“, denke ich so vor mich hin und schüttle den Kopf über meinen dusseligen Sturz. Dann frage ich mich, ob man das eigentlich so sagen kann, weil ich doch sowieso blaue Augen habe. Gitti überlegt derweil zum Spaß, was die Leute ihr in Sachen häusliche Gewalt unterstellen werden. Ich verspreche, sie zu verteidigen und ihre Friedfertigkeit zu unterstreichen. Und zwar jedem gegenüber, der nicht bei drei auf einem Baum sitzt! Mein Augenlid ist geschwollen, die Nase auch. Das Veilchen wird zunehmend dunkler. Ich sehe zum Fürchten aus. Morgen sind Gitti und ich bei der Schwägerin eingeladen. Ich werde vorher alles überschminken und hinter der Brille verstecken, um niemandem Angst einzujagen.
Gitti recherchiert unser Signalproblem weiter und fragt ihren Neffen aus, der vom Fach ist. Er empfiehlt die Installation einer Powerline. Wir kaufen also mal wieder Gerätschaften ein. Aus dem Router in der Küche kommt jetzt ein zusätzliches Kabel heraus, das auf der anderen Seite in eine kleine Box eingesteckt ist. Die Box hat drei grüne Lämpchen und steckt in der Wandsteckdose. Eine zweite Box, ebenfalls mit grünen Lämpchen versehen, macht Gitti jetzt mit der ersten Box bekannt. Dann schickt sie mich mit dem Ding in mein Arbeitszimmer, wo ich es in die nächste Wandsteckdose stopfe. Wir haben die Lämpchen an, alles blinkert. Irgendwann leuchten die Lichtlein endlich stet. Ich werfe den Herrn Rechner an. Der stellt sich mit meiner Hilfe der neuen Box vor – und jetzt rasen die Daten nur so rein und raus, dass es eine wahre Freude ist.
Beim Abendessen überlegen Gitti und ich, wie das eigentlich funktioniert. Da transportieren die ollen Kupferkabel, die kreuz und quer im Haus installiert und beinahe so alt sind, wie ich selbst, scheinbar plötzlich Daten. Nicht nur ein bisschen Strom für Lampen, den Kühlschrank oder den Staubsauger, sondern richtige Daten. Wertvolle Informationen! Sachen, die es so noch gar nicht gab, als die Kabel verlegt wurden. Wir brauchen ein Weilchen, um uns zu vergegenwärtigen, dass es immer noch nur Strom ist, der da fließt. Doch die Fantasie geht von alleine auf Reisen. Genüsslich stellen wir uns kleine Lieferhelden vor, die mit Aktenbergen, Fotos und Videos bepackt durch unsere Leitungen sausen. Und heute Nacht hat einer von denen kurz mit einem Zettelhaufen auf dem Arm aus der Steckdose geguckt, sich über die tropfnasse Stirn gewischt und gestöhnt: „Hier ist es auch nicht! Ich habe mich verlaufen.“
Die geheime Welt der Daten, diese kleine Männchen halten uns ganz schön auf Trab, und dann lassen sie dich auch noch stolpern.
Wollen wir mal der Fantasie nicht zu viel Raum geben, in der wir sehen, wie all die kleinen Männchen in der Technik das Kommando übernehmen.
Danke für deine abenteuerliche Story!
Der Erlkönig (EDV-Version)
(Autor unbekannt, frei nach Johann Wolfgang von Goethe)
Wer routet so spät durch Nacht und Wind?
Es ist der Router, er routet geschwind!
Bald routet er hier, bald routet er dort
Jedoch die Pakete, sie kommen nicht fort.
Sie sammeln und drängeln sich, warten recht lange
in einer zu niedrig priorisierten Schlange.
Die Schlangen sind voll, der Router im Stress,
da meldet sich vorlaut der Routingprozess
und ruft „All Ihr Päckchen, Ihr sorgt Euch zu viel,
nicht der IP-Host, nein, der Weg ist das Ziel!“
Es komme gar bald einem jeden zu Gute
eine sorgsam geplante und loopfreie Route.
Des Netzes verschlungene Topologie
entwirr‘ ich mit Dijkstras Zeremonie.
Der Lohn, eine herrliche Routingtabelle,
dort steh’n sogar Routen zu Himmel und Hölle.
Vergiftet der Rückweg, das Blickfeld gespalten,
mit RIP wird die Welt nur zum Narren gehalten.
Doch OSPF durchsucht schnell und bequem
Mein ganz und gar autonomes System.
Für kunstvolle Routen, das vergesst bitte nie,
benötigt man Kenntnis der Topologie.
Zu überraschungs- und Managementzwecken
durchsuch‘ ich mit RMON die hintersten Ecken.
Kein Winkel des Netzes bleibt vor mir verborgen,
mit SNMP kann ich alles besorgen.
Wohlan nun, Ihr Päckchen, die Reise beginnt,
Mit jeder Station Eure Lebenszeit rinnt.
Doch halt, Ihr Päckchen, bevor ich’s vergesse:
Besorgt euch mit NAT eine neue Adresse!“
„Mein Router, mein Router, was wird mir so bang!
Der Weg durch das WAN ist gefährlich und lang.“
„Mein Päckchen, mein Päckchen, so fürchte Dich nicht,
denn über Dich wacht eine Sicherungsschicht.“
„Mein Router, mein Router, was wird mir so flau!
Dort draussen am LAN-Port, da wartet die MAU!“
„Mein Päckchen, mein Päckchen Dir droht nicht der Tod,
denn über Dich wacht ja der Manchester-Code.
Doch halte dich fern von der flammenden Mauer.
Die sorgt selbst bei mir noch für ängstliche Schauer.“
„Mein Router, mein Router, wie glänzt dort voll Tücke
der schmale und schlüpfrige Weg auf der Brücke.“
„Oh weh! Das Netz ist mit Broadcasts geflutet.
Ach hätt‘ ich doch niemals zur Brücke geroutet!
Mein Päckchen, den Kopf hoch, Du musst nicht verzagen,
an Dich wird sich niemals ein Bitfehler wagen.“
Schnell wie der Wind geht die Reise nun weiter
durch helle und funkelnde Lichtwellenleiter.
„Mein Päckchen, mein Päckchen, willst Du mit mir gehen?
Die Wunder des Frame-Relay-Netzes ansehen?“
Mein Router, mein Router, ja hörst Du denn nicht,
was die WAN-Wolke lockend mir leise verspricht?“
„Glaub mir, mein Päckchen, im LAN, da entgeht
Dir sowieso Lebens- und Dienstqualität.
Reise nur weiter ganz ruhig und sacht
Quer durchs ATM-Netz mit FRF.8 .“
„Mein Router, mein Router, man hat mich verführt,
zerlegt, verschaltet und rekombiniert!“
„Mein Päckchen, das macht nichts, nun sparen wir viel,
ein VPN-Tunnel, der bringt Dich ans Ziel.
DiffSERV und TOS-Feld, merk‘ Dir die Worte,
die öffnen zu jedem Router die Pforte.“
Finster der Tunnel, die Bandbreite knapp,
wie schön war die Backplane im eigenen Hub.
Am Ende des Tunnels: Das Päckchen ist weg,
vernichtet vom Cyclic Redundancy Check.