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Wo der Impuls Platz nimmt

Am kommenden Donnerstag begeht man hierzulande einen Feiertag, da bietet es sich geradezu an, den Freitag freizunehmen. Mein Chef sieht das genauso, flugs genehmigt er meinen Abwesenheitsantrag.  Für das auf diese Weise verlängerte Wochenende nehmen Gitti und ich uns vor, neben vergnüglichen Aktivitäten ein paar der Aufgaben zu erledigen, die wir schon ein Weilchen auf dem Zettel haben, die aber immer noch nicht erledigt sind.

Für anstrengende Gartenarbeiten bietet sich angesichts der Wetteraussichten eigentlich nur der Donnerstag an. An diesem Tag wird es nämlich noch einigermaßen kühl sein, während Freitag und Samstag deutlich höhere Temperaturen zu erwarten sind. Aber am Feiertag im Garten herumwühlen? Wir diskutieren und planen um, werfen die frischen Pläne wieder über den Haufen und wiederholen den Vorgang noch ein paar Mal.

Am frühen Morgen des Feiertages beschließe ich, wenigstens ein paar ganz leise Gartenarbeiten zu verrichten. Ich werde dabei niemanden aus unserer Nachbarschaft stören, das muss also vertretbar sein!

Währenddessen werden etliche Männer deutlich weniger leise in Grüppchen durch diverse Wälder streifen, Bollerwagen hinter sich herziehen und ihr Netzwerk mit einem ihre kleine Gemeinschaft stärkenden Besäufnis pflegen. Bei denen geht es gewiss nicht allzu feierlich zu! Sollte das meine eigenen Bedenken bezüglich der Arbeit, die ich hier an diesem Feiertag zu verrichten plane, zerstreuen? Ich komme zu dem Schluss, dass ich, wenn ich damit nicht meinen Frieden machen kann, die Aktion sein lassen muss!

Still krieche ich kurz darauf durchs Unterholz, sage dem fleißig sprießenden Unkraut den Kampf an und rücke zudem einer eigentlich niedrigen, dennoch überraschend ausufernd wuchernden Hecke wenigstens mit meiner kleinen Gartenschere zu Leibe. Die elektrische Heckenschere verbleibt im Haus.

Ich bin wahrlich keine Gartenfee. Wenn ich mich jedoch einmal in diese Art der Arbeit vertiefe, entspannt sich zugleich mein Geist.

Zuerst gerate ich dabei immer in einen fast meditativen Zustand, in dem ich nahezu gar nichts mehr denke. Nach einer Weile bin ich bereit für Impulse und Gedankenspiele aller Art.

Heute wabern während der Gartenarbeit ein paar Fragen durch meinen Kopf, und zwar diese: Impulse setzt man, oder? Man kann sie auch geben, stimmt‘s? Und wie war das noch mit dem Impulserhaltungssatz?

Vor meinen Augen steht die kleine Vektorgleichung . Der Impuls wird dabei mit p abgekürzt, um an „pellere“ zu erinnern, was im Lateinischen „stoßen“ oder „treiben“ bedeutet. Er setzt sich aus der Masse m und deren Geschwindigkeit v zusammen. Die kleinen Pfeile auf dem p und dem v sagen mir, dass die Dinger eine Richtung haben. Die Größe des Impulses ergibt sich aus dem Produkt der Masse und deren Geschwindigkeit. Wenn ich selbst also einen Impuls mit meinem Körper setze, dann zählt mein Gewicht ebenso, wie die Geschwindigkeit, mit der ich mich in eine bestimmte Richtung bewege. Und meinen Impuls setze ich dann quasi im Augenblick des Aufpralls auf einen anderen Körper oder Gegenstand.

Einem inneren Impuls folgend, balle ich sogleich meine, mit einem Gartenhandschuh verhüllte Hand zur Faust und verpasse dem Grünschnittbehälter vor mir einen ordentlichen Hieb. Das ganze Ding folgt meinem Impuls, den ich damit setze und wackelt wenigstens ein bisschen. Ich hole nochmal aus und gestalte den Aufprall heftiger, und das Ergebnis kann sich sehen lassen, denn der Behälter fällt fast um. Geht doch! Ich schnipfle friedlich weiter am Grün herum.

Vor meinem inneren Auge sehe ich das typische Kugelstoßpendel. Das ist ein Gestell, an dem in einer Reihe fünf Metallkugeln an Fäden herunterhängen. Die Kugeln haben zueinander einen ganz kleinen Abstand. Wenn man eine der beiden äußeren Kugeln anhebt, zur Seite wegzieht und dann loslässt, schwingt sie zurück zu den anderen. Mit dem Aufprall auf die erste Nachbarkugel überträgt sich der Impuls, wird an die nächste Kugel weitergegeben und durchläuft die kleine Reihe. Die letzte Kugel auf der anderen Seite schlägt aus. Natürlich kehrt sie, der Schwerkraft folgend, nach einem gewissen Überschwung zurück, und dann geht die Übertragung des Impulses in die andere Richtung weiter. Hebt man zwei der Kugeln und lässt sie wieder los, so schlagen am anderen Ende ebenfalls zwei Kugeln aus. Das funktioniert, weil alle Kugeln im Ruhezustand einen winzigen Abstand zueinander haben.

Sobald Du eine oder mehrere Kugeln miteinander durch Knete oder Kleber verbindest, zerstörst Du die Harmonie, die dieses Pendel verströmt. Die Bewegungen folgen immer noch physikalischen Gesetzen, aber die Stelle mit dem Kleber oder der Knete macht aus dem bis dahin fast ideal elastischen Stoß einen zum Teil plastischen Stoß, bei dem sich Kleber oder Knete verformen und der dann nicht mehr so leicht zu berechnen ist. Außerdem sieht das nicht mehr schön aus. Die beruhigende Wirkung der gleichmäßig klackenden Kugelstöße geht dabei natürlich auch komplett verloren. Probiere es aus, wenn Du unbedingt musst, oder lasse es sein und genieße ungestört die Magie, die von dem Pendel ausgeht.

Natürlich fällt mir auch ein, dass wir Menschen uns in bestimmten Situationen ähnlich verhalten. Verbreitet einer von uns Stress, so wird der Stress von den anderen Leuten gerne einfach an den nächsten weitergereicht. Der arme Hund am Ende der Kette badet dann alles aus. Vielleicht kehrt er aber auch bald mit neuem Schwung zurück und verbreitet dann seinerseits Stress in der anderen Richtung – und dann kommt der Stress wieder da an, wo er hergekommen ist. Finde ich das tröstlich? Hm, ich weiß nicht so recht. Wieder entscheide ich mich, ganz friedlich weiter am Grün herumzuschnipfeln, welches in unserem Garten wuchert.

Am Ende trägt unsere kleine Hecke eine hübsche Frisur. Zwischen den Sträuchern ist wieder ein Weg zu erkennen, und die Platten, die den Weg markieren, sind freigelegt. All unsere Behälter, die sich zur Aufbewahrung von Gartenschnitt eignen, habe ich mit demselben prall gefüllt. In die Biotonne passt jetzt auch nichts mehr rein. Ich kehre mit hochrotem Kopf und verdreckten Klamotten zu Gitti zurück.

Gitti hat derweil diverse andere Arbeiten im Haus erledigt, die gewiss nicht minder anstrengend waren. Wir schwärmen aus, um das Werk der jeweils anderen gebührend zu würdigen. Jetzt sind wir beide erledigt. Das schöne Gefühl, etwas geschafft zu haben, entschädigt uns für die ungewohnte Anstrengung.

Meine Knochen und Muskeln verlangen nach einer kleinen Auszeit. Mein Hirn gewöhnt sich zum Glück schnell wieder an normale Gedanken – vermutlich bis zu dem Zeitpunkt, zu dem ein neuer Impuls wieder irgendwo Platz nimmt und mir genüsslich dabei zusieht, wie ich auf ihn reagiere.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Mona

    Heute fehlt mir der Impuls für Aktivitäten, aber es ist gemütlich
    Lieben Gruß Mona

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